Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Richard Wagners parsifal.

zu haben. In seinen Büchern erklärt Wagner die Sage für das ausschließliche
und einzig mögliche Stoffgebiet des musikalischen Dramas, und zwar deshalb,
weil uur in der Sage sich einfache, menschliche Verhältnisse bieten. In seinem
"Ring des Nibelungen" aber entwickelt er eine Sage von solcher Koinplizirtheit,
daß man ganze Kommentare studiren muß, um nur über den nackten Inhalt
und Gang der Handlung klug zu werden. Ähnlich verhält es sich auch mit dem
"Pnrsifal."

Jeder gebildete Mann weiß, daß die Geschichte des Parsifal schon einmal
von einem großen deutschen Dichter ausgeführt worden ist, von Wolfram von
Eschenbach, und die rio eingeschworenen Interpreten Richard Wagners haben
sich eifrig bemüht durch Vergleiche zwischen dem Epos Wolframs und dem
Drama Wagners den großen mittelalterlichen Dichter von Eschenbach zu einer
Folie des lebenden Meisters von Bayreuth herabzudrücken.^) Das war mindestens
unnötig. Denn die Fabel vom "Parzival" -- so lautet die allgemein übliche
Schreibart -- reicht weit hinter die Tage des Wolfram von Eschenbach zurück.
Sie gehört zu denn ältesten Familienschatze der indogermanischen Völker und
weist auf eine Periode zurück, wo die Verehrung der Naturmächte noch die
Religion der Menschheit bildete. Parzival ist einer jener Svnnenjünglinge, welche
der Macht des Lichtes zum Siege über die Finsternis, über Nacht und Tod
verhelfen.

Nach der Einführung des Christentums erfuhr auch die Sage vom Parzival
eine dogmatische Umgestaltung. Aus der Sonnenkugel wurde eine leuchtende
Schale, der "Gral" genannt, welche mit der Passionsgeschichte des Heilands
in unmittelbaren Zusammenhang gebracht wurde. Nach einer Version war in
ihr das Blut des Gekreuzigten aufgefangen worden, nach einer andern hatte aus
dieser Schale Christus das Abendmahl gespendet. In einem wunderbaren Schlosse
des fernen Ostens wurde der "Gral" aufbewahrt, und eine Schaar auserlesener
Ritter hatte sich dort zu seinem Dienste versammelt. Der Glanz der heiligen
Schale weihte ihnen Speise und Trank und verlieh ihnen ewiges irdisches Leben.
Unter den Gegendiensten, dnrch welche die Ritter der Gnade des Grills würdig
wurden, war unbedingte Reinheit des Lebenswandels die erste Forderung. Wie
bei den römischen Vestalinnen der Fehltritt einer Priesterin das Erlöschen des
heiligen Feuers uach sich zog, so hörte der Gral auf zu leuchten, wenn seine
Ritter sündigten.

In einem solchen kritischen Momente der Gralsgenossenschaft ist es, wo
Wolfram von Eschenbach seinen Parzival die Burg des Grals -- Muusalväsche
genannt -- betreten läßt. Amfvrtns, der König, hat sich sträflicher Liebe hiu-



Gründliches und Objektives über daS Verhältnis Wenn^'s zu Wolfram und den
ältern Quellen erfährt man ans einem Aufsätze R, Bechsteins in der "Neuen Zeitschrift für
Musik," Jahriiann 1881.
Richard Wagners parsifal.

zu haben. In seinen Büchern erklärt Wagner die Sage für das ausschließliche
und einzig mögliche Stoffgebiet des musikalischen Dramas, und zwar deshalb,
weil uur in der Sage sich einfache, menschliche Verhältnisse bieten. In seinem
„Ring des Nibelungen" aber entwickelt er eine Sage von solcher Koinplizirtheit,
daß man ganze Kommentare studiren muß, um nur über den nackten Inhalt
und Gang der Handlung klug zu werden. Ähnlich verhält es sich auch mit dem
„Pnrsifal."

Jeder gebildete Mann weiß, daß die Geschichte des Parsifal schon einmal
von einem großen deutschen Dichter ausgeführt worden ist, von Wolfram von
Eschenbach, und die rio eingeschworenen Interpreten Richard Wagners haben
sich eifrig bemüht durch Vergleiche zwischen dem Epos Wolframs und dem
Drama Wagners den großen mittelalterlichen Dichter von Eschenbach zu einer
Folie des lebenden Meisters von Bayreuth herabzudrücken.^) Das war mindestens
unnötig. Denn die Fabel vom „Parzival" — so lautet die allgemein übliche
Schreibart — reicht weit hinter die Tage des Wolfram von Eschenbach zurück.
Sie gehört zu denn ältesten Familienschatze der indogermanischen Völker und
weist auf eine Periode zurück, wo die Verehrung der Naturmächte noch die
Religion der Menschheit bildete. Parzival ist einer jener Svnnenjünglinge, welche
der Macht des Lichtes zum Siege über die Finsternis, über Nacht und Tod
verhelfen.

Nach der Einführung des Christentums erfuhr auch die Sage vom Parzival
eine dogmatische Umgestaltung. Aus der Sonnenkugel wurde eine leuchtende
Schale, der „Gral" genannt, welche mit der Passionsgeschichte des Heilands
in unmittelbaren Zusammenhang gebracht wurde. Nach einer Version war in
ihr das Blut des Gekreuzigten aufgefangen worden, nach einer andern hatte aus
dieser Schale Christus das Abendmahl gespendet. In einem wunderbaren Schlosse
des fernen Ostens wurde der „Gral" aufbewahrt, und eine Schaar auserlesener
Ritter hatte sich dort zu seinem Dienste versammelt. Der Glanz der heiligen
Schale weihte ihnen Speise und Trank und verlieh ihnen ewiges irdisches Leben.
Unter den Gegendiensten, dnrch welche die Ritter der Gnade des Grills würdig
wurden, war unbedingte Reinheit des Lebenswandels die erste Forderung. Wie
bei den römischen Vestalinnen der Fehltritt einer Priesterin das Erlöschen des
heiligen Feuers uach sich zog, so hörte der Gral auf zu leuchten, wenn seine
Ritter sündigten.

In einem solchen kritischen Momente der Gralsgenossenschaft ist es, wo
Wolfram von Eschenbach seinen Parzival die Burg des Grals — Muusalväsche
genannt — betreten läßt. Amfvrtns, der König, hat sich sträflicher Liebe hiu-



Gründliches und Objektives über daS Verhältnis Wenn^'s zu Wolfram und den
ältern Quellen erfährt man ans einem Aufsätze R, Bechsteins in der „Neuen Zeitschrift für
Musik," Jahriiann 1881.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193837"/>
          <fw type="header" place="top"> Richard Wagners parsifal.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1674" prev="#ID_1673"> zu haben. In seinen Büchern erklärt Wagner die Sage für das ausschließliche<lb/>
und einzig mögliche Stoffgebiet des musikalischen Dramas, und zwar deshalb,<lb/>
weil uur in der Sage sich einfache, menschliche Verhältnisse bieten. In seinem<lb/>
&#x201E;Ring des Nibelungen" aber entwickelt er eine Sage von solcher Koinplizirtheit,<lb/>
daß man ganze Kommentare studiren muß, um nur über den nackten Inhalt<lb/>
und Gang der Handlung klug zu werden. Ähnlich verhält es sich auch mit dem<lb/>
&#x201E;Pnrsifal."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1675"> Jeder gebildete Mann weiß, daß die Geschichte des Parsifal schon einmal<lb/>
von einem großen deutschen Dichter ausgeführt worden ist, von Wolfram von<lb/>
Eschenbach, und die rio eingeschworenen Interpreten Richard Wagners haben<lb/>
sich eifrig bemüht durch Vergleiche zwischen dem Epos Wolframs und dem<lb/>
Drama Wagners den großen mittelalterlichen Dichter von Eschenbach zu einer<lb/>
Folie des lebenden Meisters von Bayreuth herabzudrücken.^) Das war mindestens<lb/>
unnötig. Denn die Fabel vom &#x201E;Parzival" &#x2014; so lautet die allgemein übliche<lb/>
Schreibart &#x2014; reicht weit hinter die Tage des Wolfram von Eschenbach zurück.<lb/>
Sie gehört zu denn ältesten Familienschatze der indogermanischen Völker und<lb/>
weist auf eine Periode zurück, wo die Verehrung der Naturmächte noch die<lb/>
Religion der Menschheit bildete. Parzival ist einer jener Svnnenjünglinge, welche<lb/>
der Macht des Lichtes zum Siege über die Finsternis, über Nacht und Tod<lb/>
verhelfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1676"> Nach der Einführung des Christentums erfuhr auch die Sage vom Parzival<lb/>
eine dogmatische Umgestaltung. Aus der Sonnenkugel wurde eine leuchtende<lb/>
Schale, der &#x201E;Gral" genannt, welche mit der Passionsgeschichte des Heilands<lb/>
in unmittelbaren Zusammenhang gebracht wurde. Nach einer Version war in<lb/>
ihr das Blut des Gekreuzigten aufgefangen worden, nach einer andern hatte aus<lb/>
dieser Schale Christus das Abendmahl gespendet. In einem wunderbaren Schlosse<lb/>
des fernen Ostens wurde der &#x201E;Gral" aufbewahrt, und eine Schaar auserlesener<lb/>
Ritter hatte sich dort zu seinem Dienste versammelt. Der Glanz der heiligen<lb/>
Schale weihte ihnen Speise und Trank und verlieh ihnen ewiges irdisches Leben.<lb/>
Unter den Gegendiensten, dnrch welche die Ritter der Gnade des Grills würdig<lb/>
wurden, war unbedingte Reinheit des Lebenswandels die erste Forderung. Wie<lb/>
bei den römischen Vestalinnen der Fehltritt einer Priesterin das Erlöschen des<lb/>
heiligen Feuers uach sich zog, so hörte der Gral auf zu leuchten, wenn seine<lb/>
Ritter sündigten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1677" next="#ID_1678"> In einem solchen kritischen Momente der Gralsgenossenschaft ist es, wo<lb/>
Wolfram von Eschenbach seinen Parzival die Burg des Grals &#x2014; Muusalväsche<lb/>
genannt &#x2014; betreten läßt.  Amfvrtns, der König, hat sich sträflicher Liebe hiu-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_40" place="foot"> Gründliches und Objektives über daS Verhältnis Wenn^'s zu Wolfram und den<lb/>
ältern Quellen erfährt man ans einem Aufsätze R, Bechsteins in der &#x201E;Neuen Zeitschrift für<lb/>
Musik," Jahriiann 1881.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0496] Richard Wagners parsifal. zu haben. In seinen Büchern erklärt Wagner die Sage für das ausschließliche und einzig mögliche Stoffgebiet des musikalischen Dramas, und zwar deshalb, weil uur in der Sage sich einfache, menschliche Verhältnisse bieten. In seinem „Ring des Nibelungen" aber entwickelt er eine Sage von solcher Koinplizirtheit, daß man ganze Kommentare studiren muß, um nur über den nackten Inhalt und Gang der Handlung klug zu werden. Ähnlich verhält es sich auch mit dem „Pnrsifal." Jeder gebildete Mann weiß, daß die Geschichte des Parsifal schon einmal von einem großen deutschen Dichter ausgeführt worden ist, von Wolfram von Eschenbach, und die rio eingeschworenen Interpreten Richard Wagners haben sich eifrig bemüht durch Vergleiche zwischen dem Epos Wolframs und dem Drama Wagners den großen mittelalterlichen Dichter von Eschenbach zu einer Folie des lebenden Meisters von Bayreuth herabzudrücken.^) Das war mindestens unnötig. Denn die Fabel vom „Parzival" — so lautet die allgemein übliche Schreibart — reicht weit hinter die Tage des Wolfram von Eschenbach zurück. Sie gehört zu denn ältesten Familienschatze der indogermanischen Völker und weist auf eine Periode zurück, wo die Verehrung der Naturmächte noch die Religion der Menschheit bildete. Parzival ist einer jener Svnnenjünglinge, welche der Macht des Lichtes zum Siege über die Finsternis, über Nacht und Tod verhelfen. Nach der Einführung des Christentums erfuhr auch die Sage vom Parzival eine dogmatische Umgestaltung. Aus der Sonnenkugel wurde eine leuchtende Schale, der „Gral" genannt, welche mit der Passionsgeschichte des Heilands in unmittelbaren Zusammenhang gebracht wurde. Nach einer Version war in ihr das Blut des Gekreuzigten aufgefangen worden, nach einer andern hatte aus dieser Schale Christus das Abendmahl gespendet. In einem wunderbaren Schlosse des fernen Ostens wurde der „Gral" aufbewahrt, und eine Schaar auserlesener Ritter hatte sich dort zu seinem Dienste versammelt. Der Glanz der heiligen Schale weihte ihnen Speise und Trank und verlieh ihnen ewiges irdisches Leben. Unter den Gegendiensten, dnrch welche die Ritter der Gnade des Grills würdig wurden, war unbedingte Reinheit des Lebenswandels die erste Forderung. Wie bei den römischen Vestalinnen der Fehltritt einer Priesterin das Erlöschen des heiligen Feuers uach sich zog, so hörte der Gral auf zu leuchten, wenn seine Ritter sündigten. In einem solchen kritischen Momente der Gralsgenossenschaft ist es, wo Wolfram von Eschenbach seinen Parzival die Burg des Grals — Muusalväsche genannt — betreten läßt. Amfvrtns, der König, hat sich sträflicher Liebe hiu- Gründliches und Objektives über daS Verhältnis Wenn^'s zu Wolfram und den ältern Quellen erfährt man ans einem Aufsätze R, Bechsteins in der „Neuen Zeitschrift für Musik," Jahriiann 1881.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/496
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/496>, abgerufen am 03.07.2024.