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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Richard Wagners Parsifal.

werden soll. Und der musikalische Kern jener Szene ist ein einziges Motiv, das
nach dem Gange der Stimmung "verarbeitet" wird.

In der freieren und reicheren Verwendung der Instrumentalmusik zu dra¬
matischen Zwecken besteht nach unsrer Meinung das historische Verdienst, welches
sich Wagner um die Oper erworben hat. Die ganze Entwicklung der Instrumental¬
musik hat zu diesem Schritte hingedrängt, und hätte ihn nicht Wagner gethan,
so wäre früher oder später ein anderer gekommen und hätte ihn ausgeführt.
Das System der angewendeten Instrumentalmusik lag in der Luft. Für das
Lied ist es in ausgedehntem Maße von Schubert, nach diesem von Schumann
benutzt worden, ja schon, wenn auch nur schüchterner, von älteren Lieder¬
komponisten, wie dem Magdeburger Herbing. Bach und Händel namentlich haben
in ihren Arien manches poetische Motiv von den Instrumenten ausführen lassen,
welches der Singstimme nicht erreichbar war. Auch in der Oper lassen sich die
Spuren dieses Systems weit zurückverfolgen, namentlich in der komischen Oper.
Sind sie auch uicht zahlreich, so sind sie doch da. Wir wiederholen es nochmals:
das Prinzip, durch Instrumentalmusik innere oder äußere Vorgänge darstellen
zu wollen und seine ausgedehnte Anwendung auf die Oper ist berechtigt. Wagner
hat diesen letztern Prozeß durch seine Werke nachdrücklich angeregt, eine spätere
Zeit wird ihn zum vollen Abschlüsse bringen. Wir stehen jetzt mitten drin und
haben dadurch das unangenehme Schicksal, die Wirren und Streitigkeiten er¬
tragen zu müssen, welche mit jeder Neubildung im geistigen Leben, sei sie noch
so klein, verknüpft sind. Daß dieses -- sagen wir einmal -- Wagnersche
Prinzip, die dramatischen Vorgänge dnrch Instrumentalmusik zu glossiren und
auszumalen, neben seinen unbestreitbaren Vorteilen auch Veranlassung zu starken
Mißbräuchen bietet, werden wir im Verlaufe unseres Berichtes über den "Parsifal"
zu zeigen reichliche Gelegenheit haben.

Man kann ruhig behaupten, daß diese Benutzung des Orchesters für die
Oper den Ausgangspunkt der Reformen bilde, welche Wagner für das musi¬
kalische Drama aufgestellt hat. Jedenfalls liegt in ihr der wichtigste Teil seiner
Neuerungen; ja -- für die kunstgeschichtliche Betrachtung wenigstens -- erscheinen
dieser einen Idee gegenüber alle die andern Theorien des moderne" Opern¬
rebellen von untergeordneter Bedeutung. Diese Auffassung erhält durch die That¬
sache eine gewisse Bestätigung, daß Wagner der Praktiker zu guter Stunde gnr
keinen Anstand genommen hat, den Theoretiker Wagner zu desavouiren. Als
begeisterter Sophist hat er jede Art von geschlossener Form und von Emsembles
für verwerflich, ja in seiner heißblütigen Art fast für niederträchtig erklärt. Als
Komponist der "Meistersinger" und der "Walküre" hat er hinterher einige aus¬
geführte und geschlossene Sätze in Liedform, hat er Emsembles und Chöre ge¬
schrieben, auf denen ein Hauptteil des mächtigen Eindruckes beruht, welchen jene
Werke auf das große Publikum ausüben. Eine Zeit lang durfte nach Wagner
nur im Stabreim gedichtet werde", heute scheint er ihn wieder aufgegeben


Richard Wagners Parsifal.

werden soll. Und der musikalische Kern jener Szene ist ein einziges Motiv, das
nach dem Gange der Stimmung „verarbeitet" wird.

In der freieren und reicheren Verwendung der Instrumentalmusik zu dra¬
matischen Zwecken besteht nach unsrer Meinung das historische Verdienst, welches
sich Wagner um die Oper erworben hat. Die ganze Entwicklung der Instrumental¬
musik hat zu diesem Schritte hingedrängt, und hätte ihn nicht Wagner gethan,
so wäre früher oder später ein anderer gekommen und hätte ihn ausgeführt.
Das System der angewendeten Instrumentalmusik lag in der Luft. Für das
Lied ist es in ausgedehntem Maße von Schubert, nach diesem von Schumann
benutzt worden, ja schon, wenn auch nur schüchterner, von älteren Lieder¬
komponisten, wie dem Magdeburger Herbing. Bach und Händel namentlich haben
in ihren Arien manches poetische Motiv von den Instrumenten ausführen lassen,
welches der Singstimme nicht erreichbar war. Auch in der Oper lassen sich die
Spuren dieses Systems weit zurückverfolgen, namentlich in der komischen Oper.
Sind sie auch uicht zahlreich, so sind sie doch da. Wir wiederholen es nochmals:
das Prinzip, durch Instrumentalmusik innere oder äußere Vorgänge darstellen
zu wollen und seine ausgedehnte Anwendung auf die Oper ist berechtigt. Wagner
hat diesen letztern Prozeß durch seine Werke nachdrücklich angeregt, eine spätere
Zeit wird ihn zum vollen Abschlüsse bringen. Wir stehen jetzt mitten drin und
haben dadurch das unangenehme Schicksal, die Wirren und Streitigkeiten er¬
tragen zu müssen, welche mit jeder Neubildung im geistigen Leben, sei sie noch
so klein, verknüpft sind. Daß dieses — sagen wir einmal — Wagnersche
Prinzip, die dramatischen Vorgänge dnrch Instrumentalmusik zu glossiren und
auszumalen, neben seinen unbestreitbaren Vorteilen auch Veranlassung zu starken
Mißbräuchen bietet, werden wir im Verlaufe unseres Berichtes über den „Parsifal"
zu zeigen reichliche Gelegenheit haben.

Man kann ruhig behaupten, daß diese Benutzung des Orchesters für die
Oper den Ausgangspunkt der Reformen bilde, welche Wagner für das musi¬
kalische Drama aufgestellt hat. Jedenfalls liegt in ihr der wichtigste Teil seiner
Neuerungen; ja — für die kunstgeschichtliche Betrachtung wenigstens — erscheinen
dieser einen Idee gegenüber alle die andern Theorien des moderne» Opern¬
rebellen von untergeordneter Bedeutung. Diese Auffassung erhält durch die That¬
sache eine gewisse Bestätigung, daß Wagner der Praktiker zu guter Stunde gnr
keinen Anstand genommen hat, den Theoretiker Wagner zu desavouiren. Als
begeisterter Sophist hat er jede Art von geschlossener Form und von Emsembles
für verwerflich, ja in seiner heißblütigen Art fast für niederträchtig erklärt. Als
Komponist der „Meistersinger" und der „Walküre" hat er hinterher einige aus¬
geführte und geschlossene Sätze in Liedform, hat er Emsembles und Chöre ge¬
schrieben, auf denen ein Hauptteil des mächtigen Eindruckes beruht, welchen jene
Werke auf das große Publikum ausüben. Eine Zeit lang durfte nach Wagner
nur im Stabreim gedichtet werde«, heute scheint er ihn wieder aufgegeben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/495>, abgerufen am 03.07.2024.