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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Richard Wagners parsifal.

mit der Idee, in die klansnerische Abgeschiedenheit des Fichtelgebirges den
Mittelpunkt der musikalischen Kunst und der musischen Künste Deutschlands zu
verlegen.

Diese Pläne haben sich bis jetzt nicht verwirklicht, und sie haben anch, trotz
der idealen Motive, die ihnen mit zu Grnnde liegen, wenig Aussicht, jemals
verwirklicht zu werden. Immerhin liegt schon in der einen Thatsache, daß
dieses abgelegene Vayrenth wieder ans längere Zeit das Interesse aller an sich
zieht, welche sich diesseits und jenseits des Ozeans um Theater und Musik
ernstlicher kümmern, so viel außerordentliches, daß auch die Grenzboten von den
dortigen Vorgängen Notiz nehmen dürfen.

Die Stellung dieser Blätter zu Richard Wagner erscheint einigermaßen
bestimmt durch die monumentalen Kritiken, welche Otto Jahr hier seinerzeit
über den "Tannhäuser" und den "Lohengrin" veröffentlichte. Ein großer Teil
der von Jahr gegen Wagner und die Grenzen seiner Individualität ausge¬
sprochenen Bedenken gilt noch heute nach fast dreißig Jahren. An etlichen Punkten
aber würde jetzt selbst der berühmte Verfasser der epochemachenden Mozartbiv-
graphie sein Urteil über die Kunst Wagners geändert haben. Nicht etwa ge¬
beugt dnrch die Macht des äußern Erfolges, sondern darum, weil sich die Kunst
Wagners selbst geändert hat. Zwischen "Lohengrin" und "Triften" hat Wagner
eine bedeutende Entwicklung durchgemacht und namentlich als Musiker erstaun¬
lich viel hinzugelernt. Wenn damals der Versuch Wagners, einen Teil der Hand¬
lung vom Orchester darstelle!? zu lassen, unserm Jahr kaum mehr wert erschien
als eine prätensiöse Stümperei, so war der scharfsinnige und wissensreiche Kri¬
tiker doch weit davou entfernt, die Methode an sich verwerfen zu wollen. "Soll
-- so kaltem Indus Worte -- ein künstlerischer Organismus zustande kommen,
so müssen die zu wiederholenden Motive nicht fix und fertig dazu gethan, son¬
dern von neuem in Fluß gebracht werden, um dem Bedürfnis der Form gemäß
modifizirt, mit der Umgebung verschmolzen, kurz verarbeitet zu werden." Um
solche Bedingungen erfüllen zu können, hat sich Wagner ohne Zweifel manches
Semester strengster musikalischer Arbeit auferlegt. Seine bisherigem Biographen,
die leider nur als Pauegyriker auftreten, erzählen von diesen ehrenden Perioden
stillen Fleißes allerdings nichts, aber um so unwiderleglicher thun dies seine
Werke von den "Meistersingern" ab. Was durch die meisterhafte Verwendung
der Instrumentalmusik auch für die Oper zu gewinnen ist, das hat der spätere
Wagner deutlich und für alle Zeiten unanfechtbar bewiesen, am glänzendsten Wohl
in jener ersten Szene der "Walküre," wo das Orchester den Übergang vom
Mitleid zur Liebe schildert, der sich im Innern der Sieglinde vollzieht. Das
ist ein vollendetes Stück, in welchem Musik und Drama vollständig in einander
aufgehen, einer jener Fälle, wo sich die Situation durch nichts anderes als
durch Musik voll aussprechen kann, und zwar durch keine andre Musik als
durch Instrumentalmusik, wenn nicht der dramatische Fortgang beeinträchtigt


Richard Wagners parsifal.

mit der Idee, in die klansnerische Abgeschiedenheit des Fichtelgebirges den
Mittelpunkt der musikalischen Kunst und der musischen Künste Deutschlands zu
verlegen.

Diese Pläne haben sich bis jetzt nicht verwirklicht, und sie haben anch, trotz
der idealen Motive, die ihnen mit zu Grnnde liegen, wenig Aussicht, jemals
verwirklicht zu werden. Immerhin liegt schon in der einen Thatsache, daß
dieses abgelegene Vayrenth wieder ans längere Zeit das Interesse aller an sich
zieht, welche sich diesseits und jenseits des Ozeans um Theater und Musik
ernstlicher kümmern, so viel außerordentliches, daß auch die Grenzboten von den
dortigen Vorgängen Notiz nehmen dürfen.

Die Stellung dieser Blätter zu Richard Wagner erscheint einigermaßen
bestimmt durch die monumentalen Kritiken, welche Otto Jahr hier seinerzeit
über den „Tannhäuser" und den „Lohengrin" veröffentlichte. Ein großer Teil
der von Jahr gegen Wagner und die Grenzen seiner Individualität ausge¬
sprochenen Bedenken gilt noch heute nach fast dreißig Jahren. An etlichen Punkten
aber würde jetzt selbst der berühmte Verfasser der epochemachenden Mozartbiv-
graphie sein Urteil über die Kunst Wagners geändert haben. Nicht etwa ge¬
beugt dnrch die Macht des äußern Erfolges, sondern darum, weil sich die Kunst
Wagners selbst geändert hat. Zwischen „Lohengrin" und „Triften" hat Wagner
eine bedeutende Entwicklung durchgemacht und namentlich als Musiker erstaun¬
lich viel hinzugelernt. Wenn damals der Versuch Wagners, einen Teil der Hand¬
lung vom Orchester darstelle!? zu lassen, unserm Jahr kaum mehr wert erschien
als eine prätensiöse Stümperei, so war der scharfsinnige und wissensreiche Kri¬
tiker doch weit davou entfernt, die Methode an sich verwerfen zu wollen. „Soll
— so kaltem Indus Worte — ein künstlerischer Organismus zustande kommen,
so müssen die zu wiederholenden Motive nicht fix und fertig dazu gethan, son¬
dern von neuem in Fluß gebracht werden, um dem Bedürfnis der Form gemäß
modifizirt, mit der Umgebung verschmolzen, kurz verarbeitet zu werden." Um
solche Bedingungen erfüllen zu können, hat sich Wagner ohne Zweifel manches
Semester strengster musikalischer Arbeit auferlegt. Seine bisherigem Biographen,
die leider nur als Pauegyriker auftreten, erzählen von diesen ehrenden Perioden
stillen Fleißes allerdings nichts, aber um so unwiderleglicher thun dies seine
Werke von den „Meistersingern" ab. Was durch die meisterhafte Verwendung
der Instrumentalmusik auch für die Oper zu gewinnen ist, das hat der spätere
Wagner deutlich und für alle Zeiten unanfechtbar bewiesen, am glänzendsten Wohl
in jener ersten Szene der „Walküre," wo das Orchester den Übergang vom
Mitleid zur Liebe schildert, der sich im Innern der Sieglinde vollzieht. Das
ist ein vollendetes Stück, in welchem Musik und Drama vollständig in einander
aufgehen, einer jener Fälle, wo sich die Situation durch nichts anderes als
durch Musik voll aussprechen kann, und zwar durch keine andre Musik als
durch Instrumentalmusik, wenn nicht der dramatische Fortgang beeinträchtigt


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[0494] Richard Wagners parsifal. mit der Idee, in die klansnerische Abgeschiedenheit des Fichtelgebirges den Mittelpunkt der musikalischen Kunst und der musischen Künste Deutschlands zu verlegen. Diese Pläne haben sich bis jetzt nicht verwirklicht, und sie haben anch, trotz der idealen Motive, die ihnen mit zu Grnnde liegen, wenig Aussicht, jemals verwirklicht zu werden. Immerhin liegt schon in der einen Thatsache, daß dieses abgelegene Vayrenth wieder ans längere Zeit das Interesse aller an sich zieht, welche sich diesseits und jenseits des Ozeans um Theater und Musik ernstlicher kümmern, so viel außerordentliches, daß auch die Grenzboten von den dortigen Vorgängen Notiz nehmen dürfen. Die Stellung dieser Blätter zu Richard Wagner erscheint einigermaßen bestimmt durch die monumentalen Kritiken, welche Otto Jahr hier seinerzeit über den „Tannhäuser" und den „Lohengrin" veröffentlichte. Ein großer Teil der von Jahr gegen Wagner und die Grenzen seiner Individualität ausge¬ sprochenen Bedenken gilt noch heute nach fast dreißig Jahren. An etlichen Punkten aber würde jetzt selbst der berühmte Verfasser der epochemachenden Mozartbiv- graphie sein Urteil über die Kunst Wagners geändert haben. Nicht etwa ge¬ beugt dnrch die Macht des äußern Erfolges, sondern darum, weil sich die Kunst Wagners selbst geändert hat. Zwischen „Lohengrin" und „Triften" hat Wagner eine bedeutende Entwicklung durchgemacht und namentlich als Musiker erstaun¬ lich viel hinzugelernt. Wenn damals der Versuch Wagners, einen Teil der Hand¬ lung vom Orchester darstelle!? zu lassen, unserm Jahr kaum mehr wert erschien als eine prätensiöse Stümperei, so war der scharfsinnige und wissensreiche Kri¬ tiker doch weit davou entfernt, die Methode an sich verwerfen zu wollen. „Soll — so kaltem Indus Worte — ein künstlerischer Organismus zustande kommen, so müssen die zu wiederholenden Motive nicht fix und fertig dazu gethan, son¬ dern von neuem in Fluß gebracht werden, um dem Bedürfnis der Form gemäß modifizirt, mit der Umgebung verschmolzen, kurz verarbeitet zu werden." Um solche Bedingungen erfüllen zu können, hat sich Wagner ohne Zweifel manches Semester strengster musikalischer Arbeit auferlegt. Seine bisherigem Biographen, die leider nur als Pauegyriker auftreten, erzählen von diesen ehrenden Perioden stillen Fleißes allerdings nichts, aber um so unwiderleglicher thun dies seine Werke von den „Meistersingern" ab. Was durch die meisterhafte Verwendung der Instrumentalmusik auch für die Oper zu gewinnen ist, das hat der spätere Wagner deutlich und für alle Zeiten unanfechtbar bewiesen, am glänzendsten Wohl in jener ersten Szene der „Walküre," wo das Orchester den Übergang vom Mitleid zur Liebe schildert, der sich im Innern der Sieglinde vollzieht. Das ist ein vollendetes Stück, in welchem Musik und Drama vollständig in einander aufgehen, einer jener Fälle, wo sich die Situation durch nichts anderes als durch Musik voll aussprechen kann, und zwar durch keine andre Musik als durch Instrumentalmusik, wenn nicht der dramatische Fortgang beeinträchtigt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/494>, abgerufen am 01.07.2024.