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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Gcnnbettistische Velleitäten,

sie Arbeit, Gedeihen und Freiheit auf dem Boden Frankreichs suchen, welches
sie gemartert haben, wollen wir hingehen lassen. Daß sie in unsre Fabriken
und Werkstätten eintreten, um uns unsre Kunstgriffe und Zeichnungen abzulauschen
und uus daun in der Rheinprovinz oder in Sachsen eine mehr oder minder
ehrliche Konkurrenz zu machen, wollen wir gleichfalls übersehen. Daß sie aber,
nachdem sie uns ausgeplündert, unsre Städte verwüstet, unsre Grenzen verstümmelt
und unsre Gefangenen haben verhungern und erfrieren lassen, jetzt nach Paris
kommen und hier die "Wacht am Rhein" singen, das überschreitet alles Maß,
und soweit darf unsre Höflichkeit nicht gehen, daß sie solche Herausforderungen
duldete. Die Gastfreundschaft legt dem, der sie empfängt, Pflichten auf, und
der Fremde, der sich gegen seineu Gastfreund vergeht, ist ein Flegel oder ein
Barbar, der keine Schonung verdient."

In ähnlichem Tone erging sich ein erheblicher Teil der Gambetta geneigten
Presse. Indeß fehlte es auch uicht an Stimmen, die sich mehr oder minder
entschieden gegen diese Hetzereien aussprachen. Sehr verständig sagte der weit¬
verbreitete "Figaro": "Ist es mir möglich, daß vernünftige Menschen sich mit
solchen Albernheiten Vergnügen, und giebt es in Paris wirklich Leser, welche
glauben, daß die jungen Leute, die von ihren Angehörigen aus Berlin, Frankfurt,
Mainz und Dresden hierher geschickt sind, um den Handel und Gewerbfleiß
Frankreichs kennen zu lernen, ihre Zeit damit ausfüllen, Pläne der neuen Forts
aufzunehmen und Artilleriestellungen für eine neue Beschießung von Paris
auszuwählen?" Nachdem das Blatt weiter auseinandergesetzt, daß man mit
Gewimmer über die deutsche Spionage die Wiedererstarkung Frankreichs nicht
herbeiführen werde, und daß der deutsche Turnverein sich uicht entfernt Tadelns¬
wertes habe zu Schulden kommen lassen, schließt er seine Betrachtung mit den
Worten: "Drängt man den Parisern nicht eine sehr wenig anständige Rolle auf,
indem man sie als Jagdhunde erscheinen läßt, die fortwährend auf der Jagd
nach dem ersten besten Deutschen sind, der ihnen aufstößt? Hütet euch, daß ihr
mit den grundlosen Klagen, die ihr jetzt so zu lieben scheint, nicht dem Fluche
der Lächerlichkeit anheimfallt. Ahmt die deutschen Offiziere, die militärische Zucht,
vielleicht anch die deutschen Gesetze nach, die Beamten der Eisenbahnen und andrer
Anstalten. Studirt die Deutschen in Deutschland, das wird für unser Land bessere
Folgen haben, als wenn wir ohne Unterlaß über preußische Anstundschaftung
schreien." Auch der "Pays" hat sich überzeugt, daß die Affäre der Rue Se. Marc
'.eine heillos dumme Geschichte" ist, und meint: "Nicht die Deutschen haben
mit uns Händel gesucht, sondern wir haben sie leichtfertig herausgefordert. Dieser
Chauvinismus ist in dem Zustande der Verkommenheit, in welchem sich das nach
Frieden dürstende Frankreich befindet, durchaus uicht an der rechte:, Stelle und
kann uns eine garstige Verlegenheit zuziehen. Man wird sehen, daß der "eiserne
Kanzler" nicht unterlassen wird, von unsrer Regierung Entschuldigungen und
vielleicht Entschädigungen zu fordern. ^Sicherlich weder das eine noch das andres


Gcnnbettistische Velleitäten,

sie Arbeit, Gedeihen und Freiheit auf dem Boden Frankreichs suchen, welches
sie gemartert haben, wollen wir hingehen lassen. Daß sie in unsre Fabriken
und Werkstätten eintreten, um uns unsre Kunstgriffe und Zeichnungen abzulauschen
und uus daun in der Rheinprovinz oder in Sachsen eine mehr oder minder
ehrliche Konkurrenz zu machen, wollen wir gleichfalls übersehen. Daß sie aber,
nachdem sie uns ausgeplündert, unsre Städte verwüstet, unsre Grenzen verstümmelt
und unsre Gefangenen haben verhungern und erfrieren lassen, jetzt nach Paris
kommen und hier die »Wacht am Rhein« singen, das überschreitet alles Maß,
und soweit darf unsre Höflichkeit nicht gehen, daß sie solche Herausforderungen
duldete. Die Gastfreundschaft legt dem, der sie empfängt, Pflichten auf, und
der Fremde, der sich gegen seineu Gastfreund vergeht, ist ein Flegel oder ein
Barbar, der keine Schonung verdient."

In ähnlichem Tone erging sich ein erheblicher Teil der Gambetta geneigten
Presse. Indeß fehlte es auch uicht an Stimmen, die sich mehr oder minder
entschieden gegen diese Hetzereien aussprachen. Sehr verständig sagte der weit¬
verbreitete „Figaro": „Ist es mir möglich, daß vernünftige Menschen sich mit
solchen Albernheiten Vergnügen, und giebt es in Paris wirklich Leser, welche
glauben, daß die jungen Leute, die von ihren Angehörigen aus Berlin, Frankfurt,
Mainz und Dresden hierher geschickt sind, um den Handel und Gewerbfleiß
Frankreichs kennen zu lernen, ihre Zeit damit ausfüllen, Pläne der neuen Forts
aufzunehmen und Artilleriestellungen für eine neue Beschießung von Paris
auszuwählen?" Nachdem das Blatt weiter auseinandergesetzt, daß man mit
Gewimmer über die deutsche Spionage die Wiedererstarkung Frankreichs nicht
herbeiführen werde, und daß der deutsche Turnverein sich uicht entfernt Tadelns¬
wertes habe zu Schulden kommen lassen, schließt er seine Betrachtung mit den
Worten: „Drängt man den Parisern nicht eine sehr wenig anständige Rolle auf,
indem man sie als Jagdhunde erscheinen läßt, die fortwährend auf der Jagd
nach dem ersten besten Deutschen sind, der ihnen aufstößt? Hütet euch, daß ihr
mit den grundlosen Klagen, die ihr jetzt so zu lieben scheint, nicht dem Fluche
der Lächerlichkeit anheimfallt. Ahmt die deutschen Offiziere, die militärische Zucht,
vielleicht anch die deutschen Gesetze nach, die Beamten der Eisenbahnen und andrer
Anstalten. Studirt die Deutschen in Deutschland, das wird für unser Land bessere
Folgen haben, als wenn wir ohne Unterlaß über preußische Anstundschaftung
schreien." Auch der „Pays" hat sich überzeugt, daß die Affäre der Rue Se. Marc
'.eine heillos dumme Geschichte" ist, und meint: „Nicht die Deutschen haben
mit uns Händel gesucht, sondern wir haben sie leichtfertig herausgefordert. Dieser
Chauvinismus ist in dem Zustande der Verkommenheit, in welchem sich das nach
Frieden dürstende Frankreich befindet, durchaus uicht an der rechte:, Stelle und
kann uns eine garstige Verlegenheit zuziehen. Man wird sehen, daß der »eiserne
Kanzler« nicht unterlassen wird, von unsrer Regierung Entschuldigungen und
vielleicht Entschädigungen zu fordern. ^Sicherlich weder das eine noch das andres


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[0491] Gcnnbettistische Velleitäten, sie Arbeit, Gedeihen und Freiheit auf dem Boden Frankreichs suchen, welches sie gemartert haben, wollen wir hingehen lassen. Daß sie in unsre Fabriken und Werkstätten eintreten, um uns unsre Kunstgriffe und Zeichnungen abzulauschen und uus daun in der Rheinprovinz oder in Sachsen eine mehr oder minder ehrliche Konkurrenz zu machen, wollen wir gleichfalls übersehen. Daß sie aber, nachdem sie uns ausgeplündert, unsre Städte verwüstet, unsre Grenzen verstümmelt und unsre Gefangenen haben verhungern und erfrieren lassen, jetzt nach Paris kommen und hier die »Wacht am Rhein« singen, das überschreitet alles Maß, und soweit darf unsre Höflichkeit nicht gehen, daß sie solche Herausforderungen duldete. Die Gastfreundschaft legt dem, der sie empfängt, Pflichten auf, und der Fremde, der sich gegen seineu Gastfreund vergeht, ist ein Flegel oder ein Barbar, der keine Schonung verdient." In ähnlichem Tone erging sich ein erheblicher Teil der Gambetta geneigten Presse. Indeß fehlte es auch uicht an Stimmen, die sich mehr oder minder entschieden gegen diese Hetzereien aussprachen. Sehr verständig sagte der weit¬ verbreitete „Figaro": „Ist es mir möglich, daß vernünftige Menschen sich mit solchen Albernheiten Vergnügen, und giebt es in Paris wirklich Leser, welche glauben, daß die jungen Leute, die von ihren Angehörigen aus Berlin, Frankfurt, Mainz und Dresden hierher geschickt sind, um den Handel und Gewerbfleiß Frankreichs kennen zu lernen, ihre Zeit damit ausfüllen, Pläne der neuen Forts aufzunehmen und Artilleriestellungen für eine neue Beschießung von Paris auszuwählen?" Nachdem das Blatt weiter auseinandergesetzt, daß man mit Gewimmer über die deutsche Spionage die Wiedererstarkung Frankreichs nicht herbeiführen werde, und daß der deutsche Turnverein sich uicht entfernt Tadelns¬ wertes habe zu Schulden kommen lassen, schließt er seine Betrachtung mit den Worten: „Drängt man den Parisern nicht eine sehr wenig anständige Rolle auf, indem man sie als Jagdhunde erscheinen läßt, die fortwährend auf der Jagd nach dem ersten besten Deutschen sind, der ihnen aufstößt? Hütet euch, daß ihr mit den grundlosen Klagen, die ihr jetzt so zu lieben scheint, nicht dem Fluche der Lächerlichkeit anheimfallt. Ahmt die deutschen Offiziere, die militärische Zucht, vielleicht anch die deutschen Gesetze nach, die Beamten der Eisenbahnen und andrer Anstalten. Studirt die Deutschen in Deutschland, das wird für unser Land bessere Folgen haben, als wenn wir ohne Unterlaß über preußische Anstundschaftung schreien." Auch der „Pays" hat sich überzeugt, daß die Affäre der Rue Se. Marc '.eine heillos dumme Geschichte" ist, und meint: „Nicht die Deutschen haben mit uns Händel gesucht, sondern wir haben sie leichtfertig herausgefordert. Dieser Chauvinismus ist in dem Zustande der Verkommenheit, in welchem sich das nach Frieden dürstende Frankreich befindet, durchaus uicht an der rechte:, Stelle und kann uns eine garstige Verlegenheit zuziehen. Man wird sehen, daß der »eiserne Kanzler« nicht unterlassen wird, von unsrer Regierung Entschuldigungen und vielleicht Entschädigungen zu fordern. ^Sicherlich weder das eine noch das andres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/491>, abgerufen am 03.07.2024.