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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ende des andern Interregnums reichenden Ohnmacht verflochten, als daß sie
nicht neben Furcht und Achtung auch deu gesteigerten Haß und Neid des Aus¬
landes, deu gesteigerten Trotz und Widerstand der innern Abtrüuuigkeir hätte
hervorrufen und gegen diese zwiefache Gefahr des eignen patriotischen Schutzes
und Trutzes dringend hätte bedürfen sollen. Dein Revanchegeschrei des Pariser
Chauvinismus antwortete der Moskaner Deutschenhaß, und zu diesen beiden
ausländischen Feindschaften gesellte sich ein doppeltes feindseliges Ausland im
eignen Innern: hier der alte Feind, der Romanismus, für deu das protestantische
Kaisertum ein neuer Grund der Entfremdung und Reichsseindlichkeit wurde;
dort das neugebildete, dem Juuglibernlismus als selbständige Partei entwachsene
internationale Sozialdemvkrateutum, das den parlamentarischen Beginn des neuen
Reichs nicht besser zu feiern wußte als durch eine Vergötterung der Pariser
Kommune. Und wem: durch die seit 1849 vollzogene Ablösung der sozial¬
demokratischen Partei von der jungliberaleu die letztere eine glückliche Reinigung
erfahren und diese dünn auch dadurch bestätigt hatte, daß sie sich in Berlin bei
den Lnndtagswahlen von 1861 als eine "deutsche" Fortschrittspartei aufthat,
so war doch auch diese sogenannte deutsche Fraktion mit den militärisch-deutschen
Absichten der Regierung sofort in einen heftigen Widerstreit geraten und aus
eiuer uvminalen Vuudesgcuvssiu des werdenden Reiches dessen erbitterte mehr¬
jährige Gegnerin -- gleichsam ein drittes feindliches Ausland im eignen
Innern -- geworden. Zur Entnntionalifirnng des Liberalismus in Preußen
hat vielleicht nichts so sehr beigetragen, als dieser, anch die nltliberale Partei
mit sich fortreißende, sogenannte Konflikt, der, einerseits ans die Staats- und
Reichsraisou des militärischen Bedürfnisses, andrerseits auf deu Buchstaben eiues
Versassuugsartikels gestützt, deu liberalen Verstand mehr als je gegen die realen
Verhältnisse und Bedingungen der zu lösenden deutschen Frage verblendete, und
anstatt aller der aus der Erinnerung von 1848 zu schöpfenden politischen Lehren
nichts in ihm aufkommen ließ, als die Lust zur Wiederaufnahme der in der
Paulskirche und der Singakademie geführten rechthaberischen Verfasfnngsstreitig-
keiten. Hat doch die Erbitterung dieses Konflikts von feiten der liberalen Oppo¬
sition nicht uur den Sieg von Königgrätz, sondern auch die erbetene und er¬
teilte Amnestirung überdauert; ja hat doch mancher Fortschrittsmann anch die
Siege von 1870 mir mit der Besorgnis begrüßt, es könne durch dieselben das
Recht des Parlamentarismus gefährdet und der Opposition die Aussicht auf
einen neuen siegreichen Konflikt abgeschnitten werden.

Ein glückliches untionales Gegengewicht indessen erhielt dieser fortschrittliche
Berliner Liberalismus im Jahre 1866 durch die zu Landtag und Parlament
entsandten Abgeordneten ans dem neu- und nußerprenßischen Deutschland, einmal
eben weil dieselben vou dem Konflikt nicht unmittelbar berührt worden waren,
dann aber auch, weil die meisten dem Natioualverein angehört und als Mit¬
glieder dieses zur Abwehr ausländischer Gefahren gestifteten und auf eine vor-


Ende des andern Interregnums reichenden Ohnmacht verflochten, als daß sie
nicht neben Furcht und Achtung auch deu gesteigerten Haß und Neid des Aus¬
landes, deu gesteigerten Trotz und Widerstand der innern Abtrüuuigkeir hätte
hervorrufen und gegen diese zwiefache Gefahr des eignen patriotischen Schutzes
und Trutzes dringend hätte bedürfen sollen. Dein Revanchegeschrei des Pariser
Chauvinismus antwortete der Moskaner Deutschenhaß, und zu diesen beiden
ausländischen Feindschaften gesellte sich ein doppeltes feindseliges Ausland im
eignen Innern: hier der alte Feind, der Romanismus, für deu das protestantische
Kaisertum ein neuer Grund der Entfremdung und Reichsseindlichkeit wurde;
dort das neugebildete, dem Juuglibernlismus als selbständige Partei entwachsene
internationale Sozialdemvkrateutum, das den parlamentarischen Beginn des neuen
Reichs nicht besser zu feiern wußte als durch eine Vergötterung der Pariser
Kommune. Und wem: durch die seit 1849 vollzogene Ablösung der sozial¬
demokratischen Partei von der jungliberaleu die letztere eine glückliche Reinigung
erfahren und diese dünn auch dadurch bestätigt hatte, daß sie sich in Berlin bei
den Lnndtagswahlen von 1861 als eine „deutsche" Fortschrittspartei aufthat,
so war doch auch diese sogenannte deutsche Fraktion mit den militärisch-deutschen
Absichten der Regierung sofort in einen heftigen Widerstreit geraten und aus
eiuer uvminalen Vuudesgcuvssiu des werdenden Reiches dessen erbitterte mehr¬
jährige Gegnerin — gleichsam ein drittes feindliches Ausland im eignen
Innern — geworden. Zur Entnntionalifirnng des Liberalismus in Preußen
hat vielleicht nichts so sehr beigetragen, als dieser, anch die nltliberale Partei
mit sich fortreißende, sogenannte Konflikt, der, einerseits ans die Staats- und
Reichsraisou des militärischen Bedürfnisses, andrerseits auf deu Buchstaben eiues
Versassuugsartikels gestützt, deu liberalen Verstand mehr als je gegen die realen
Verhältnisse und Bedingungen der zu lösenden deutschen Frage verblendete, und
anstatt aller der aus der Erinnerung von 1848 zu schöpfenden politischen Lehren
nichts in ihm aufkommen ließ, als die Lust zur Wiederaufnahme der in der
Paulskirche und der Singakademie geführten rechthaberischen Verfasfnngsstreitig-
keiten. Hat doch die Erbitterung dieses Konflikts von feiten der liberalen Oppo¬
sition nicht uur den Sieg von Königgrätz, sondern auch die erbetene und er¬
teilte Amnestirung überdauert; ja hat doch mancher Fortschrittsmann anch die
Siege von 1870 mir mit der Besorgnis begrüßt, es könne durch dieselben das
Recht des Parlamentarismus gefährdet und der Opposition die Aussicht auf
einen neuen siegreichen Konflikt abgeschnitten werden.

Ein glückliches untionales Gegengewicht indessen erhielt dieser fortschrittliche
Berliner Liberalismus im Jahre 1866 durch die zu Landtag und Parlament
entsandten Abgeordneten ans dem neu- und nußerprenßischen Deutschland, einmal
eben weil dieselben vou dem Konflikt nicht unmittelbar berührt worden waren,
dann aber auch, weil die meisten dem Natioualverein angehört und als Mit¬
glieder dieses zur Abwehr ausländischer Gefahren gestifteten und auf eine vor-


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[0453] Ende des andern Interregnums reichenden Ohnmacht verflochten, als daß sie nicht neben Furcht und Achtung auch deu gesteigerten Haß und Neid des Aus¬ landes, deu gesteigerten Trotz und Widerstand der innern Abtrüuuigkeir hätte hervorrufen und gegen diese zwiefache Gefahr des eignen patriotischen Schutzes und Trutzes dringend hätte bedürfen sollen. Dein Revanchegeschrei des Pariser Chauvinismus antwortete der Moskaner Deutschenhaß, und zu diesen beiden ausländischen Feindschaften gesellte sich ein doppeltes feindseliges Ausland im eignen Innern: hier der alte Feind, der Romanismus, für deu das protestantische Kaisertum ein neuer Grund der Entfremdung und Reichsseindlichkeit wurde; dort das neugebildete, dem Juuglibernlismus als selbständige Partei entwachsene internationale Sozialdemvkrateutum, das den parlamentarischen Beginn des neuen Reichs nicht besser zu feiern wußte als durch eine Vergötterung der Pariser Kommune. Und wem: durch die seit 1849 vollzogene Ablösung der sozial¬ demokratischen Partei von der jungliberaleu die letztere eine glückliche Reinigung erfahren und diese dünn auch dadurch bestätigt hatte, daß sie sich in Berlin bei den Lnndtagswahlen von 1861 als eine „deutsche" Fortschrittspartei aufthat, so war doch auch diese sogenannte deutsche Fraktion mit den militärisch-deutschen Absichten der Regierung sofort in einen heftigen Widerstreit geraten und aus eiuer uvminalen Vuudesgcuvssiu des werdenden Reiches dessen erbitterte mehr¬ jährige Gegnerin — gleichsam ein drittes feindliches Ausland im eignen Innern — geworden. Zur Entnntionalifirnng des Liberalismus in Preußen hat vielleicht nichts so sehr beigetragen, als dieser, anch die nltliberale Partei mit sich fortreißende, sogenannte Konflikt, der, einerseits ans die Staats- und Reichsraisou des militärischen Bedürfnisses, andrerseits auf deu Buchstaben eiues Versassuugsartikels gestützt, deu liberalen Verstand mehr als je gegen die realen Verhältnisse und Bedingungen der zu lösenden deutschen Frage verblendete, und anstatt aller der aus der Erinnerung von 1848 zu schöpfenden politischen Lehren nichts in ihm aufkommen ließ, als die Lust zur Wiederaufnahme der in der Paulskirche und der Singakademie geführten rechthaberischen Verfasfnngsstreitig- keiten. Hat doch die Erbitterung dieses Konflikts von feiten der liberalen Oppo¬ sition nicht uur den Sieg von Königgrätz, sondern auch die erbetene und er¬ teilte Amnestirung überdauert; ja hat doch mancher Fortschrittsmann anch die Siege von 1870 mir mit der Besorgnis begrüßt, es könne durch dieselben das Recht des Parlamentarismus gefährdet und der Opposition die Aussicht auf einen neuen siegreichen Konflikt abgeschnitten werden. Ein glückliches untionales Gegengewicht indessen erhielt dieser fortschrittliche Berliner Liberalismus im Jahre 1866 durch die zu Landtag und Parlament entsandten Abgeordneten ans dem neu- und nußerprenßischen Deutschland, einmal eben weil dieselben vou dem Konflikt nicht unmittelbar berührt worden waren, dann aber auch, weil die meisten dem Natioualverein angehört und als Mit¬ glieder dieses zur Abwehr ausländischer Gefahren gestifteten und auf eine vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/453>, abgerufen am 22.07.2024.