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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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parlamentarische Wiederaufnahme des preußisch-deutschen Programms von 1848
gerichteten deutschen Vereins sich während der letzten sieben Jahre das deutsche
Bewußtsein reiner und frischer erhalten hatten als der landtägliche OppositionS-
liberaliSmns. Ans den Mnnuen? dieses Vereins aber, in Verbindung mit den
Altliberalen und einem Teil der Fortschrittspartei, bildete sich dann die große
nationnlliberale Partei, von allen Parteien jedenfalls dermalen die treueste und
würdigste Epigvnin des ursprünglichen deutschen Liberalismus und nationalen
Gedankens, und deshalb jedenfalls auch die geeignetste, um im Jahre 1871 dem
Kaiser und Bundesrat als parlamentarische Regierungspartei beim legislativen
Ausbau des neuen Reiches vorzugsweise behilflich zu sein, eines Reichs, das
ohne jenen nationalen Gedanken, ohne seine sowohl politisch leitende als kriegerisch
begeisternde Mitwirkung, sich niemals verwirklicht haben würde. Und so fand
sich nun der deutsche Liberalismus, nachdem er fünfzig Jahre lang zu eiuer
bloß idealen und interimistisch-revolutionären Znkunfspolitik verurteilt gewesen
und auch im Zoll- und Norddeutschen Parlament nnr mit halben Verhältnissen
zu rechnen gehabt hatte, jetzt zum erstenmale auf den festen Boden einer öffent¬
lichen gesetzlichen Wirksamkeit gestellt und hatte zu zeigen, ob er der ihm zu¬
gewandten hohen Aufgabe gewachsen, ob er derselben nach allen früheren Mi߬
verhältnissen noch würdig geblieben, oder auch durch den letzten Krieg wieder
würdig geworden sei.

Und daß eine solche reformatorische Wirkung des Krieges in der That nicht
ganz ausgeblieben, daß der siegreiche Aufschwung der Gemüter anch einen ge¬
wissen Umschwung der politischen, namentlich liberalen, Anschauungen mit sich
gebracht, das zeigte sich am deutlichsten bei der eines solchen Umschwunges am
meisten bedürftigen Fortschrittspartei, die sofort in Presse und Rede ihr früheres
Liebäugeln mit dem Frauzosentnm von 1789 aufgab, und insbesondre ihre
während des Konflikts so lant erkluugcueu antimilitärischen Lobpreisungen eiuer
Vvlksmiliz und 1<zö6"z ein in-Wo verstummen ließ. Jene dereinst in der Linken
des Frankfurter Parlaments (zuerst gelegentlich der polnischen Frage) einge¬
tretene Trennung einer wieder national denkenden Hälfte von der andern um-
bekehrten wiederholte und vervollständigte sich jetzt ans die Weise, daß anch von
den (teilweise im Auslande lebenden) Männern dieser letzteren Hälfte die größere
Zahl zu dem antifrauzösischcn deutscheu Banner zurückkehrte, und daß namentlich
der Gründer der (oben erwähnten) Hallischen Jahrbücher sich von den franzö-
sirenoen Juugdeutschlaudsideeu dieser Zeitschrift lossagte und deu ursprünglichen
Gefühlen seiner deutschen Jngend neue Treue bekannte.

Aber leider hatte diese ganze, sowohl moralische als physische, deutsche
Emigration viel zu lange gedauert und hatte wahrend dieser Zeit viel zu viel
Falsches gelernt und Irriges gelehrt, als daß sie, und daß mehr oder minder
der gesammte deutsche Liberalismus, die bereits Fleisch und Blut gewordene
Sophistik aller solcher falschen Lehren jetzt mit einemmale hätte von sich stoßen


parlamentarische Wiederaufnahme des preußisch-deutschen Programms von 1848
gerichteten deutschen Vereins sich während der letzten sieben Jahre das deutsche
Bewußtsein reiner und frischer erhalten hatten als der landtägliche OppositionS-
liberaliSmns. Ans den Mnnuen? dieses Vereins aber, in Verbindung mit den
Altliberalen und einem Teil der Fortschrittspartei, bildete sich dann die große
nationnlliberale Partei, von allen Parteien jedenfalls dermalen die treueste und
würdigste Epigvnin des ursprünglichen deutschen Liberalismus und nationalen
Gedankens, und deshalb jedenfalls auch die geeignetste, um im Jahre 1871 dem
Kaiser und Bundesrat als parlamentarische Regierungspartei beim legislativen
Ausbau des neuen Reiches vorzugsweise behilflich zu sein, eines Reichs, das
ohne jenen nationalen Gedanken, ohne seine sowohl politisch leitende als kriegerisch
begeisternde Mitwirkung, sich niemals verwirklicht haben würde. Und so fand
sich nun der deutsche Liberalismus, nachdem er fünfzig Jahre lang zu eiuer
bloß idealen und interimistisch-revolutionären Znkunfspolitik verurteilt gewesen
und auch im Zoll- und Norddeutschen Parlament nnr mit halben Verhältnissen
zu rechnen gehabt hatte, jetzt zum erstenmale auf den festen Boden einer öffent¬
lichen gesetzlichen Wirksamkeit gestellt und hatte zu zeigen, ob er der ihm zu¬
gewandten hohen Aufgabe gewachsen, ob er derselben nach allen früheren Mi߬
verhältnissen noch würdig geblieben, oder auch durch den letzten Krieg wieder
würdig geworden sei.

Und daß eine solche reformatorische Wirkung des Krieges in der That nicht
ganz ausgeblieben, daß der siegreiche Aufschwung der Gemüter anch einen ge¬
wissen Umschwung der politischen, namentlich liberalen, Anschauungen mit sich
gebracht, das zeigte sich am deutlichsten bei der eines solchen Umschwunges am
meisten bedürftigen Fortschrittspartei, die sofort in Presse und Rede ihr früheres
Liebäugeln mit dem Frauzosentnm von 1789 aufgab, und insbesondre ihre
während des Konflikts so lant erkluugcueu antimilitärischen Lobpreisungen eiuer
Vvlksmiliz und 1<zö6«z ein in-Wo verstummen ließ. Jene dereinst in der Linken
des Frankfurter Parlaments (zuerst gelegentlich der polnischen Frage) einge¬
tretene Trennung einer wieder national denkenden Hälfte von der andern um-
bekehrten wiederholte und vervollständigte sich jetzt ans die Weise, daß anch von
den (teilweise im Auslande lebenden) Männern dieser letzteren Hälfte die größere
Zahl zu dem antifrauzösischcn deutscheu Banner zurückkehrte, und daß namentlich
der Gründer der (oben erwähnten) Hallischen Jahrbücher sich von den franzö-
sirenoen Juugdeutschlaudsideeu dieser Zeitschrift lossagte und deu ursprünglichen
Gefühlen seiner deutschen Jngend neue Treue bekannte.

Aber leider hatte diese ganze, sowohl moralische als physische, deutsche
Emigration viel zu lange gedauert und hatte wahrend dieser Zeit viel zu viel
Falsches gelernt und Irriges gelehrt, als daß sie, und daß mehr oder minder
der gesammte deutsche Liberalismus, die bereits Fleisch und Blut gewordene
Sophistik aller solcher falschen Lehren jetzt mit einemmale hätte von sich stoßen


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[0454] parlamentarische Wiederaufnahme des preußisch-deutschen Programms von 1848 gerichteten deutschen Vereins sich während der letzten sieben Jahre das deutsche Bewußtsein reiner und frischer erhalten hatten als der landtägliche OppositionS- liberaliSmns. Ans den Mnnuen? dieses Vereins aber, in Verbindung mit den Altliberalen und einem Teil der Fortschrittspartei, bildete sich dann die große nationnlliberale Partei, von allen Parteien jedenfalls dermalen die treueste und würdigste Epigvnin des ursprünglichen deutschen Liberalismus und nationalen Gedankens, und deshalb jedenfalls auch die geeignetste, um im Jahre 1871 dem Kaiser und Bundesrat als parlamentarische Regierungspartei beim legislativen Ausbau des neuen Reiches vorzugsweise behilflich zu sein, eines Reichs, das ohne jenen nationalen Gedanken, ohne seine sowohl politisch leitende als kriegerisch begeisternde Mitwirkung, sich niemals verwirklicht haben würde. Und so fand sich nun der deutsche Liberalismus, nachdem er fünfzig Jahre lang zu eiuer bloß idealen und interimistisch-revolutionären Znkunfspolitik verurteilt gewesen und auch im Zoll- und Norddeutschen Parlament nnr mit halben Verhältnissen zu rechnen gehabt hatte, jetzt zum erstenmale auf den festen Boden einer öffent¬ lichen gesetzlichen Wirksamkeit gestellt und hatte zu zeigen, ob er der ihm zu¬ gewandten hohen Aufgabe gewachsen, ob er derselben nach allen früheren Mi߬ verhältnissen noch würdig geblieben, oder auch durch den letzten Krieg wieder würdig geworden sei. Und daß eine solche reformatorische Wirkung des Krieges in der That nicht ganz ausgeblieben, daß der siegreiche Aufschwung der Gemüter anch einen ge¬ wissen Umschwung der politischen, namentlich liberalen, Anschauungen mit sich gebracht, das zeigte sich am deutlichsten bei der eines solchen Umschwunges am meisten bedürftigen Fortschrittspartei, die sofort in Presse und Rede ihr früheres Liebäugeln mit dem Frauzosentnm von 1789 aufgab, und insbesondre ihre während des Konflikts so lant erkluugcueu antimilitärischen Lobpreisungen eiuer Vvlksmiliz und 1<zö6«z ein in-Wo verstummen ließ. Jene dereinst in der Linken des Frankfurter Parlaments (zuerst gelegentlich der polnischen Frage) einge¬ tretene Trennung einer wieder national denkenden Hälfte von der andern um- bekehrten wiederholte und vervollständigte sich jetzt ans die Weise, daß anch von den (teilweise im Auslande lebenden) Männern dieser letzteren Hälfte die größere Zahl zu dem antifrauzösischcn deutscheu Banner zurückkehrte, und daß namentlich der Gründer der (oben erwähnten) Hallischen Jahrbücher sich von den franzö- sirenoen Juugdeutschlaudsideeu dieser Zeitschrift lossagte und deu ursprünglichen Gefühlen seiner deutschen Jngend neue Treue bekannte. Aber leider hatte diese ganze, sowohl moralische als physische, deutsche Emigration viel zu lange gedauert und hatte wahrend dieser Zeit viel zu viel Falsches gelernt und Irriges gelehrt, als daß sie, und daß mehr oder minder der gesammte deutsche Liberalismus, die bereits Fleisch und Blut gewordene Sophistik aller solcher falschen Lehren jetzt mit einemmale hätte von sich stoßen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/454>, abgerufen am 22.07.2024.