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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zur Geschichte des deutschen Liberalismus.

letzten drei Jahren sich jedoch bereits der kommende siegreiche Frühling deutlich
verkündete.

Der so lange als idealer Wahn und revolutionärer Frevel verurteilte und
teilweise dann wirklich dazu entartete nationale Gedanke hätte die Realität und
Gesetzlichkeit seiner ursprünglichen Bedeutung uicht glänzender rechtfertigen können
als dnrch diesen seinen schließlichen Sieg, durch seine in den Kriegen von 1864,
1866 und 1870 stufenweise errungene und sofort durch bundesstaatliche Ver¬
träge und parlamentarische Gesetzgebung ausgebildete und befestigte staats¬
männisch-kriegerische Verwirklichung. Das neue Reich, von dem der zerrissene
und zerfahrene Vvlkswille des Frankfurter Parlaments nichts zu schaffen ver¬
mocht hatte, als einerseits den zweifelhaften Beschluß einer uunusführbaren Kaiser¬
wahl, andrerseits den verzweifelten Versuch eines dreiköpfigen Zerrbildes, trat
jetzt durch den einheitlichen Willen und Entschluß des Kaisers und seines Mi¬
nisters fest und sicher ins Leben, und vollendete sich, so wie es die deutsche
Jugend dereinst geträumt und auch Friedrich Wilhelm IV. geahnt hatte, ans den
siegreichen Spuren des großen Erhebnngslrieges von 181J, als die alle einzelnen
Fürsten und Staaten freiwillig umfassende, alle Bedingungen des Landes und
der Geschichte, der Vergangenheit und Gegenwart gerecht ausgleichende, be¬
geisterte That des ganzen deutschen Volkes. Und indem die junge Borussia-
Germania ihre Kniservcrkündigung im Tempel der dreihnndertjährigeu Feindin,
der übermütigen France, selbst vollzog und die Säulen ihrer kaiserliche" Wieder¬
geburt über dem Sturz des gallischen Kaisertums, über den wiederervberten
Trophäen ihres eignen ehemaligen Sturzes aufrichtete, verkündete sie der Welt
zugleich die große internationale Bedeutung ihres Sieges, verkündete sie die an
die Wiederherstellung ihrer alten Macht geknüpfte Wiederherstellung des euro¬
päischen Gleichgewichtes, den aus dem Ende jenes letzten Interregnums auf¬
steigenden Beginn eines neuen Reichs des Friedens und der Gerechtigkeit auf
Erden.

Wohl Hütte mau erwarten sollen, daß ein solches mächtiges Ereignis, eine
solche von der Vorsehung Schritt auf Schritt und Schlacht auf Schlacht so
wunderbar geführte große That sofort im neuen Reiche und Reichstage selbst
allen Hader der Parteien schlichten und Alt- und Jungliberale, zusammen mit
den Konservativen, zu einer großen Reichspartei vereinigen werde, um, Hand in
Hand mit Kaiser und Bundesrat, den durch kriegerische Begeisterung errungenen
Sieg "um auch dnrch männlichen patriotischen Verstand zu befestigen und nach
innen und außen gegen alte und neue Feinde sicherzustellen. Denn wie stark
auch das, bald wieder mit Österreich verbündete, neue Reich jetzt dastand und
wie mächtig es bereits in der russisch-orientalischen Frage sein altes kaiserliche!-'
Schiedsrichteramt wieder auszuüben wußte, so war diese seine zurückeroberte
Stellung doch noch viel zu jung und noch mit zu vielen Erinnerungen und
Nachwirkungen der alten sechshundertjährigen, vom Beginn des einen bis zur"


Zur Geschichte des deutschen Liberalismus.

letzten drei Jahren sich jedoch bereits der kommende siegreiche Frühling deutlich
verkündete.

Der so lange als idealer Wahn und revolutionärer Frevel verurteilte und
teilweise dann wirklich dazu entartete nationale Gedanke hätte die Realität und
Gesetzlichkeit seiner ursprünglichen Bedeutung uicht glänzender rechtfertigen können
als dnrch diesen seinen schließlichen Sieg, durch seine in den Kriegen von 1864,
1866 und 1870 stufenweise errungene und sofort durch bundesstaatliche Ver¬
träge und parlamentarische Gesetzgebung ausgebildete und befestigte staats¬
männisch-kriegerische Verwirklichung. Das neue Reich, von dem der zerrissene
und zerfahrene Vvlkswille des Frankfurter Parlaments nichts zu schaffen ver¬
mocht hatte, als einerseits den zweifelhaften Beschluß einer uunusführbaren Kaiser¬
wahl, andrerseits den verzweifelten Versuch eines dreiköpfigen Zerrbildes, trat
jetzt durch den einheitlichen Willen und Entschluß des Kaisers und seines Mi¬
nisters fest und sicher ins Leben, und vollendete sich, so wie es die deutsche
Jugend dereinst geträumt und auch Friedrich Wilhelm IV. geahnt hatte, ans den
siegreichen Spuren des großen Erhebnngslrieges von 181J, als die alle einzelnen
Fürsten und Staaten freiwillig umfassende, alle Bedingungen des Landes und
der Geschichte, der Vergangenheit und Gegenwart gerecht ausgleichende, be¬
geisterte That des ganzen deutschen Volkes. Und indem die junge Borussia-
Germania ihre Kniservcrkündigung im Tempel der dreihnndertjährigeu Feindin,
der übermütigen France, selbst vollzog und die Säulen ihrer kaiserliche» Wieder¬
geburt über dem Sturz des gallischen Kaisertums, über den wiederervberten
Trophäen ihres eignen ehemaligen Sturzes aufrichtete, verkündete sie der Welt
zugleich die große internationale Bedeutung ihres Sieges, verkündete sie die an
die Wiederherstellung ihrer alten Macht geknüpfte Wiederherstellung des euro¬
päischen Gleichgewichtes, den aus dem Ende jenes letzten Interregnums auf¬
steigenden Beginn eines neuen Reichs des Friedens und der Gerechtigkeit auf
Erden.

Wohl Hütte mau erwarten sollen, daß ein solches mächtiges Ereignis, eine
solche von der Vorsehung Schritt auf Schritt und Schlacht auf Schlacht so
wunderbar geführte große That sofort im neuen Reiche und Reichstage selbst
allen Hader der Parteien schlichten und Alt- und Jungliberale, zusammen mit
den Konservativen, zu einer großen Reichspartei vereinigen werde, um, Hand in
Hand mit Kaiser und Bundesrat, den durch kriegerische Begeisterung errungenen
Sieg »um auch dnrch männlichen patriotischen Verstand zu befestigen und nach
innen und außen gegen alte und neue Feinde sicherzustellen. Denn wie stark
auch das, bald wieder mit Österreich verbündete, neue Reich jetzt dastand und
wie mächtig es bereits in der russisch-orientalischen Frage sein altes kaiserliche!-'
Schiedsrichteramt wieder auszuüben wußte, so war diese seine zurückeroberte
Stellung doch noch viel zu jung und noch mit zu vielen Erinnerungen und
Nachwirkungen der alten sechshundertjährigen, vom Beginn des einen bis zur"


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[0452] Zur Geschichte des deutschen Liberalismus. letzten drei Jahren sich jedoch bereits der kommende siegreiche Frühling deutlich verkündete. Der so lange als idealer Wahn und revolutionärer Frevel verurteilte und teilweise dann wirklich dazu entartete nationale Gedanke hätte die Realität und Gesetzlichkeit seiner ursprünglichen Bedeutung uicht glänzender rechtfertigen können als dnrch diesen seinen schließlichen Sieg, durch seine in den Kriegen von 1864, 1866 und 1870 stufenweise errungene und sofort durch bundesstaatliche Ver¬ träge und parlamentarische Gesetzgebung ausgebildete und befestigte staats¬ männisch-kriegerische Verwirklichung. Das neue Reich, von dem der zerrissene und zerfahrene Vvlkswille des Frankfurter Parlaments nichts zu schaffen ver¬ mocht hatte, als einerseits den zweifelhaften Beschluß einer uunusführbaren Kaiser¬ wahl, andrerseits den verzweifelten Versuch eines dreiköpfigen Zerrbildes, trat jetzt durch den einheitlichen Willen und Entschluß des Kaisers und seines Mi¬ nisters fest und sicher ins Leben, und vollendete sich, so wie es die deutsche Jugend dereinst geträumt und auch Friedrich Wilhelm IV. geahnt hatte, ans den siegreichen Spuren des großen Erhebnngslrieges von 181J, als die alle einzelnen Fürsten und Staaten freiwillig umfassende, alle Bedingungen des Landes und der Geschichte, der Vergangenheit und Gegenwart gerecht ausgleichende, be¬ geisterte That des ganzen deutschen Volkes. Und indem die junge Borussia- Germania ihre Kniservcrkündigung im Tempel der dreihnndertjährigeu Feindin, der übermütigen France, selbst vollzog und die Säulen ihrer kaiserliche» Wieder¬ geburt über dem Sturz des gallischen Kaisertums, über den wiederervberten Trophäen ihres eignen ehemaligen Sturzes aufrichtete, verkündete sie der Welt zugleich die große internationale Bedeutung ihres Sieges, verkündete sie die an die Wiederherstellung ihrer alten Macht geknüpfte Wiederherstellung des euro¬ päischen Gleichgewichtes, den aus dem Ende jenes letzten Interregnums auf¬ steigenden Beginn eines neuen Reichs des Friedens und der Gerechtigkeit auf Erden. Wohl Hütte mau erwarten sollen, daß ein solches mächtiges Ereignis, eine solche von der Vorsehung Schritt auf Schritt und Schlacht auf Schlacht so wunderbar geführte große That sofort im neuen Reiche und Reichstage selbst allen Hader der Parteien schlichten und Alt- und Jungliberale, zusammen mit den Konservativen, zu einer großen Reichspartei vereinigen werde, um, Hand in Hand mit Kaiser und Bundesrat, den durch kriegerische Begeisterung errungenen Sieg »um auch dnrch männlichen patriotischen Verstand zu befestigen und nach innen und außen gegen alte und neue Feinde sicherzustellen. Denn wie stark auch das, bald wieder mit Österreich verbündete, neue Reich jetzt dastand und wie mächtig es bereits in der russisch-orientalischen Frage sein altes kaiserliche!-' Schiedsrichteramt wieder auszuüben wußte, so war diese seine zurückeroberte Stellung doch noch viel zu jung und noch mit zu vielen Erinnerungen und Nachwirkungen der alten sechshundertjährigen, vom Beginn des einen bis zur"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/452>, abgerufen am 22.07.2024.