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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zur Geschichte des deutschen Liberalismus.

echtes Regiment. Und da es für das Gemüt des Menschen, besonders des
Jünglings, nichts gefährlicheres und verderblicheres giebt als fortdauernden
heimlichen Groll und wühlenden Haß gegen allgemeine öffentliche Verhältnisse,
so verfielen auch solche patriotisch-revolutionäre Phantasien bald einer noch
schlimmeren Entartung, bei der sich der politische Huf; allmählich auf alle
ethischen und religiösen Verhältnisse übertrug, ja zuletzt die Vaterlandsliebe selbst
angriff und von jenen heroischen Knospcntränmen deutscher Wiedergeburt nichts
übrig ließ als eine Windsaat internationaler Freiycitsdoktriuen und sozialer
Gleichheitsntopien, von jenem patriotischen Selbstopferungsfencr nichts als einen
Aschenhaufen Jung - Hegelscher Selbstvergötterung.

Auf den meisten deutschen Universitäten fand sich schon seit Mitte der
zwanziger Jahre die Burschenschaft in zwei mehr oder minder deutlich ausge¬
sprochene Richtungen gespalten: gegenüber der ursprünglichen, jetzt als altdeutsch
oder christlichdeutsch verhöhnten Richtung, eine neue jungenropüische, die über
das künftige deutsche Reich hinweg mit der Zukunft einer großen Völkcrrepnblik
liebäugelte, anstatt für deutsches Volkstum für amerikanisches Menschenrecht
und französische nackte Vernunft Propaganda machte und nicht minder die ge¬
schichtlichen als die religiös-symbolischen Bedingungen und Formen des mensch¬
lichen Lebens als Romantik verspottete. Ein Jahrzehnt später aber war, unter
Mitwirkung der Julirevolution, diese letztere Richtung nicht nnr ans den Uni¬
versitäten, sondern auch, besonders vermittelst der Hallischen Jahrbücher, in der
deutschen Literatur und dem gebildeten Mittelstande die herrschende geworden,
und feierte, gegenüber der kurzen -- sofort als "deutscher Michel" verhöhnten --
nationalen Regung von 1840, in Heines "Atta Troll," seinen "Reisebildern"
und ähnlichen Gedichten den höchsten frechsten Triumph ihrer Entartung. Es
war ein, bisher kaum gehörig gewürdigtes, großes Verdienst der nchtnndvierziger
Erhebung, daß sie dieser während eines Menschennlters gesammelten deutschen
Blutvergiftung Luft machte und zwischen dein entarteten und dem deutschver-
bliebcnen Liberalismus den Ausbruch einer Reihe parlamentarischer Kämpfe her¬
vorrief, bei denen sich die psendo-ideale Rohheit und demagogische Selbstsucht
und Vaterlandsverräterci des ersteren, zum lehrreichen Schrecken nicht minder
des unmittelbaren Gegners als des gesammten Deutschlands, fürchterlich ent¬
hüllte, bei denen aber freilich auch dieser Gegner, obgleich schließlicher Sieger,
doch seine beste Zeit und Kraft einbüßte und das eigentliche Ziel der Erhebung,
die Stiftung des neuen preußisch-deutschen Reiches, nun kaum noch zu erkennen,
geschweige denn zu erreichen vermochte. Auf die in Frankfurt, Stuttgart und
Rastatt besiegelte Niederlage der einen liberalen Partei folgte die in Erfurt
und Olmütz besiegelte der andern; und der über beiden Niederlagen in Frank¬
furt, Wien und Petersburg gefeierte, in Berlin erduldete Triumph bildete zu
der dreiunddreißigjährigcn Herrschaft des von seiner "Sündflut" weggeschwemmten
^etternichschen Systems noch einen traurigen zehnjährigen Nachwinter, in dessen


Zur Geschichte des deutschen Liberalismus.

echtes Regiment. Und da es für das Gemüt des Menschen, besonders des
Jünglings, nichts gefährlicheres und verderblicheres giebt als fortdauernden
heimlichen Groll und wühlenden Haß gegen allgemeine öffentliche Verhältnisse,
so verfielen auch solche patriotisch-revolutionäre Phantasien bald einer noch
schlimmeren Entartung, bei der sich der politische Huf; allmählich auf alle
ethischen und religiösen Verhältnisse übertrug, ja zuletzt die Vaterlandsliebe selbst
angriff und von jenen heroischen Knospcntränmen deutscher Wiedergeburt nichts
übrig ließ als eine Windsaat internationaler Freiycitsdoktriuen und sozialer
Gleichheitsntopien, von jenem patriotischen Selbstopferungsfencr nichts als einen
Aschenhaufen Jung - Hegelscher Selbstvergötterung.

Auf den meisten deutschen Universitäten fand sich schon seit Mitte der
zwanziger Jahre die Burschenschaft in zwei mehr oder minder deutlich ausge¬
sprochene Richtungen gespalten: gegenüber der ursprünglichen, jetzt als altdeutsch
oder christlichdeutsch verhöhnten Richtung, eine neue jungenropüische, die über
das künftige deutsche Reich hinweg mit der Zukunft einer großen Völkcrrepnblik
liebäugelte, anstatt für deutsches Volkstum für amerikanisches Menschenrecht
und französische nackte Vernunft Propaganda machte und nicht minder die ge¬
schichtlichen als die religiös-symbolischen Bedingungen und Formen des mensch¬
lichen Lebens als Romantik verspottete. Ein Jahrzehnt später aber war, unter
Mitwirkung der Julirevolution, diese letztere Richtung nicht nnr ans den Uni¬
versitäten, sondern auch, besonders vermittelst der Hallischen Jahrbücher, in der
deutschen Literatur und dem gebildeten Mittelstande die herrschende geworden,
und feierte, gegenüber der kurzen — sofort als „deutscher Michel" verhöhnten —
nationalen Regung von 1840, in Heines „Atta Troll," seinen „Reisebildern"
und ähnlichen Gedichten den höchsten frechsten Triumph ihrer Entartung. Es
war ein, bisher kaum gehörig gewürdigtes, großes Verdienst der nchtnndvierziger
Erhebung, daß sie dieser während eines Menschennlters gesammelten deutschen
Blutvergiftung Luft machte und zwischen dein entarteten und dem deutschver-
bliebcnen Liberalismus den Ausbruch einer Reihe parlamentarischer Kämpfe her¬
vorrief, bei denen sich die psendo-ideale Rohheit und demagogische Selbstsucht
und Vaterlandsverräterci des ersteren, zum lehrreichen Schrecken nicht minder
des unmittelbaren Gegners als des gesammten Deutschlands, fürchterlich ent¬
hüllte, bei denen aber freilich auch dieser Gegner, obgleich schließlicher Sieger,
doch seine beste Zeit und Kraft einbüßte und das eigentliche Ziel der Erhebung,
die Stiftung des neuen preußisch-deutschen Reiches, nun kaum noch zu erkennen,
geschweige denn zu erreichen vermochte. Auf die in Frankfurt, Stuttgart und
Rastatt besiegelte Niederlage der einen liberalen Partei folgte die in Erfurt
und Olmütz besiegelte der andern; und der über beiden Niederlagen in Frank¬
furt, Wien und Petersburg gefeierte, in Berlin erduldete Triumph bildete zu
der dreiunddreißigjährigcn Herrschaft des von seiner „Sündflut" weggeschwemmten
^etternichschen Systems noch einen traurigen zehnjährigen Nachwinter, in dessen


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[0451] Zur Geschichte des deutschen Liberalismus. echtes Regiment. Und da es für das Gemüt des Menschen, besonders des Jünglings, nichts gefährlicheres und verderblicheres giebt als fortdauernden heimlichen Groll und wühlenden Haß gegen allgemeine öffentliche Verhältnisse, so verfielen auch solche patriotisch-revolutionäre Phantasien bald einer noch schlimmeren Entartung, bei der sich der politische Huf; allmählich auf alle ethischen und religiösen Verhältnisse übertrug, ja zuletzt die Vaterlandsliebe selbst angriff und von jenen heroischen Knospcntränmen deutscher Wiedergeburt nichts übrig ließ als eine Windsaat internationaler Freiycitsdoktriuen und sozialer Gleichheitsntopien, von jenem patriotischen Selbstopferungsfencr nichts als einen Aschenhaufen Jung - Hegelscher Selbstvergötterung. Auf den meisten deutschen Universitäten fand sich schon seit Mitte der zwanziger Jahre die Burschenschaft in zwei mehr oder minder deutlich ausge¬ sprochene Richtungen gespalten: gegenüber der ursprünglichen, jetzt als altdeutsch oder christlichdeutsch verhöhnten Richtung, eine neue jungenropüische, die über das künftige deutsche Reich hinweg mit der Zukunft einer großen Völkcrrepnblik liebäugelte, anstatt für deutsches Volkstum für amerikanisches Menschenrecht und französische nackte Vernunft Propaganda machte und nicht minder die ge¬ schichtlichen als die religiös-symbolischen Bedingungen und Formen des mensch¬ lichen Lebens als Romantik verspottete. Ein Jahrzehnt später aber war, unter Mitwirkung der Julirevolution, diese letztere Richtung nicht nnr ans den Uni¬ versitäten, sondern auch, besonders vermittelst der Hallischen Jahrbücher, in der deutschen Literatur und dem gebildeten Mittelstande die herrschende geworden, und feierte, gegenüber der kurzen — sofort als „deutscher Michel" verhöhnten — nationalen Regung von 1840, in Heines „Atta Troll," seinen „Reisebildern" und ähnlichen Gedichten den höchsten frechsten Triumph ihrer Entartung. Es war ein, bisher kaum gehörig gewürdigtes, großes Verdienst der nchtnndvierziger Erhebung, daß sie dieser während eines Menschennlters gesammelten deutschen Blutvergiftung Luft machte und zwischen dein entarteten und dem deutschver- bliebcnen Liberalismus den Ausbruch einer Reihe parlamentarischer Kämpfe her¬ vorrief, bei denen sich die psendo-ideale Rohheit und demagogische Selbstsucht und Vaterlandsverräterci des ersteren, zum lehrreichen Schrecken nicht minder des unmittelbaren Gegners als des gesammten Deutschlands, fürchterlich ent¬ hüllte, bei denen aber freilich auch dieser Gegner, obgleich schließlicher Sieger, doch seine beste Zeit und Kraft einbüßte und das eigentliche Ziel der Erhebung, die Stiftung des neuen preußisch-deutschen Reiches, nun kaum noch zu erkennen, geschweige denn zu erreichen vermochte. Auf die in Frankfurt, Stuttgart und Rastatt besiegelte Niederlage der einen liberalen Partei folgte die in Erfurt und Olmütz besiegelte der andern; und der über beiden Niederlagen in Frank¬ furt, Wien und Petersburg gefeierte, in Berlin erduldete Triumph bildete zu der dreiunddreißigjährigcn Herrschaft des von seiner „Sündflut" weggeschwemmten ^etternichschen Systems noch einen traurigen zehnjährigen Nachwinter, in dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/451>, abgerufen am 22.07.2024.