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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zur Geschichte des deutschen Liberalismus.

parlamentarischen Einrichtungen, mit denen Deutschland dieses neue Reich, nach
dem Beispiele Englands, bekleidet zu sehen wünschte, und doch auch wieder für
diesen (von Männern wie Stein, Hardenberg und Humboldt vertretenen) Wunsch
sowohl in der alten Reichsverfassung als in den schon seit 360 Jahren (seit
1.455) versuchten Reformvorschlägen eine historisch-konservative Rechtfertigung
faud. Wenn also gerade dieser an sich konservative deutsche Liberalismus schneller
und schroffer als irgend ein andrer -- nnr vielleicht mit Ausnahme des jeden¬
falls historisch weit weniger berechtigten italienischen -- dem konservativen Hasse
seiner Regierungen verfiel und von denselben als Hochverrat verurteilt wurde,
so entsprang diese seltsame Thatsache zunächst eben mir ans der zweifelhaften
Natur jenes staatenbnndlichen Interims, das, vermöge seiner unbedingten Nicht¬
anerkennung einerseits und unbedingten Anerkennung nud Festhaltung andrer¬
seits, fünfzig Jahre lang der böse Pfahl in unserm deutscheu Fleische, die
hemmende Klippe im Strom unsers nationalen Lebens gewesen ist und der
Hauptanlaß nicht nnr zu einer immer wachsenden Verfeindung der liberalen und
der konservativen Partei, sondern anch zu einer immer wachsenden, sich gegen¬
seitig reizenden, antinationalen Entartung der einen wie der andern.

Die Entartung des deutschen Liberalisinus läßt sich am deutlichsten, na¬
mentlich während ihrer ersten Epoche (1818--1.830), um der Geschichte der
deutschen Burschenschaft verfolgen, dieses jugendlichen deutschen Selbsterziehuugs-
vereines, der, vou Mitkämpfern der Freiheitskriege gestiftet, dnrch die Wartbnrg-
feier geweiht und im Nachklang Körnerscher, Schenkendvrffscher und Arndtscher
Kriegslieder erwachsen, sich wohl berufen finden dürfte, eine friedliche Fortsetzung
jenes großen kriegerischen Rcformwerkes darzustellen, der sich aber leider bald im
Zwiespalt mit jenem Interim, unter dem dreifachen bösen Einfluß eigner Verblen¬
dung, internationaler Verführung und kurzsichtiger buudestaglicher Verfolgung,
seinem ursprünglichen Trieb und Beruf mehr und mehr entfremdete. Die dem
französischen Jakobinismus und italienischen Carbonarismus entnommenen wahn¬
sinnigen Doktrinen Karl Follens und seiner schwarzen Vundesgenosseuschaft (wie
wir dieselben namentlich ans Heinrich Leos Jugenderinnerungen kennen) bildeten
in den: reinen Blute der deutschen Jngend gewiß zuerst nur eiuen einzelnen
schwarzen Tropfen, gewannen aber durch die Sandhase That, und zwar be¬
sonders infolge der gegen dieselbe und ihren vermeintlichen burschenschaftlichen
Zusammenhang gerichteten Untersuchungen und Verurteilungen, eine tiefer um
sich greifende Bedeutung. Das vereinzelte krankhafte Verbrechen, das von Wie"
und Frankfurt aus als das Erzeugnis einer große", geheimen Verschwörung
ausgerufen und gerichtet wurde, verlor durch diese Behandlung das Abschreckende
seines ersten Eindrucks und erschien, gleich so manchem andern an die Wand
gemalten Teufel, manchem jugendlichen Ange nun in dem verklärten HalbduntÄ
eines heroischen Beispiels, eines mahnenden Ausrufs zu Vorkmnpf und Opfertod
in dein neuen Teutoburger Verschwöruugskriege gegen falsches Recht und um-


Zur Geschichte des deutschen Liberalismus.

parlamentarischen Einrichtungen, mit denen Deutschland dieses neue Reich, nach
dem Beispiele Englands, bekleidet zu sehen wünschte, und doch auch wieder für
diesen (von Männern wie Stein, Hardenberg und Humboldt vertretenen) Wunsch
sowohl in der alten Reichsverfassung als in den schon seit 360 Jahren (seit
1.455) versuchten Reformvorschlägen eine historisch-konservative Rechtfertigung
faud. Wenn also gerade dieser an sich konservative deutsche Liberalismus schneller
und schroffer als irgend ein andrer — nnr vielleicht mit Ausnahme des jeden¬
falls historisch weit weniger berechtigten italienischen — dem konservativen Hasse
seiner Regierungen verfiel und von denselben als Hochverrat verurteilt wurde,
so entsprang diese seltsame Thatsache zunächst eben mir ans der zweifelhaften
Natur jenes staatenbnndlichen Interims, das, vermöge seiner unbedingten Nicht¬
anerkennung einerseits und unbedingten Anerkennung nud Festhaltung andrer¬
seits, fünfzig Jahre lang der böse Pfahl in unserm deutscheu Fleische, die
hemmende Klippe im Strom unsers nationalen Lebens gewesen ist und der
Hauptanlaß nicht nnr zu einer immer wachsenden Verfeindung der liberalen und
der konservativen Partei, sondern anch zu einer immer wachsenden, sich gegen¬
seitig reizenden, antinationalen Entartung der einen wie der andern.

Die Entartung des deutschen Liberalisinus läßt sich am deutlichsten, na¬
mentlich während ihrer ersten Epoche (1818—1.830), um der Geschichte der
deutschen Burschenschaft verfolgen, dieses jugendlichen deutschen Selbsterziehuugs-
vereines, der, vou Mitkämpfern der Freiheitskriege gestiftet, dnrch die Wartbnrg-
feier geweiht und im Nachklang Körnerscher, Schenkendvrffscher und Arndtscher
Kriegslieder erwachsen, sich wohl berufen finden dürfte, eine friedliche Fortsetzung
jenes großen kriegerischen Rcformwerkes darzustellen, der sich aber leider bald im
Zwiespalt mit jenem Interim, unter dem dreifachen bösen Einfluß eigner Verblen¬
dung, internationaler Verführung und kurzsichtiger buudestaglicher Verfolgung,
seinem ursprünglichen Trieb und Beruf mehr und mehr entfremdete. Die dem
französischen Jakobinismus und italienischen Carbonarismus entnommenen wahn¬
sinnigen Doktrinen Karl Follens und seiner schwarzen Vundesgenosseuschaft (wie
wir dieselben namentlich ans Heinrich Leos Jugenderinnerungen kennen) bildeten
in den: reinen Blute der deutschen Jngend gewiß zuerst nur eiuen einzelnen
schwarzen Tropfen, gewannen aber durch die Sandhase That, und zwar be¬
sonders infolge der gegen dieselbe und ihren vermeintlichen burschenschaftlichen
Zusammenhang gerichteten Untersuchungen und Verurteilungen, eine tiefer um
sich greifende Bedeutung. Das vereinzelte krankhafte Verbrechen, das von Wie»
und Frankfurt aus als das Erzeugnis einer große», geheimen Verschwörung
ausgerufen und gerichtet wurde, verlor durch diese Behandlung das Abschreckende
seines ersten Eindrucks und erschien, gleich so manchem andern an die Wand
gemalten Teufel, manchem jugendlichen Ange nun in dem verklärten HalbduntÄ
eines heroischen Beispiels, eines mahnenden Ausrufs zu Vorkmnpf und Opfertod
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[0450] Zur Geschichte des deutschen Liberalismus. parlamentarischen Einrichtungen, mit denen Deutschland dieses neue Reich, nach dem Beispiele Englands, bekleidet zu sehen wünschte, und doch auch wieder für diesen (von Männern wie Stein, Hardenberg und Humboldt vertretenen) Wunsch sowohl in der alten Reichsverfassung als in den schon seit 360 Jahren (seit 1.455) versuchten Reformvorschlägen eine historisch-konservative Rechtfertigung faud. Wenn also gerade dieser an sich konservative deutsche Liberalismus schneller und schroffer als irgend ein andrer — nnr vielleicht mit Ausnahme des jeden¬ falls historisch weit weniger berechtigten italienischen — dem konservativen Hasse seiner Regierungen verfiel und von denselben als Hochverrat verurteilt wurde, so entsprang diese seltsame Thatsache zunächst eben mir ans der zweifelhaften Natur jenes staatenbnndlichen Interims, das, vermöge seiner unbedingten Nicht¬ anerkennung einerseits und unbedingten Anerkennung nud Festhaltung andrer¬ seits, fünfzig Jahre lang der böse Pfahl in unserm deutscheu Fleische, die hemmende Klippe im Strom unsers nationalen Lebens gewesen ist und der Hauptanlaß nicht nnr zu einer immer wachsenden Verfeindung der liberalen und der konservativen Partei, sondern anch zu einer immer wachsenden, sich gegen¬ seitig reizenden, antinationalen Entartung der einen wie der andern. Die Entartung des deutschen Liberalisinus läßt sich am deutlichsten, na¬ mentlich während ihrer ersten Epoche (1818—1.830), um der Geschichte der deutschen Burschenschaft verfolgen, dieses jugendlichen deutschen Selbsterziehuugs- vereines, der, vou Mitkämpfern der Freiheitskriege gestiftet, dnrch die Wartbnrg- feier geweiht und im Nachklang Körnerscher, Schenkendvrffscher und Arndtscher Kriegslieder erwachsen, sich wohl berufen finden dürfte, eine friedliche Fortsetzung jenes großen kriegerischen Rcformwerkes darzustellen, der sich aber leider bald im Zwiespalt mit jenem Interim, unter dem dreifachen bösen Einfluß eigner Verblen¬ dung, internationaler Verführung und kurzsichtiger buudestaglicher Verfolgung, seinem ursprünglichen Trieb und Beruf mehr und mehr entfremdete. Die dem französischen Jakobinismus und italienischen Carbonarismus entnommenen wahn¬ sinnigen Doktrinen Karl Follens und seiner schwarzen Vundesgenosseuschaft (wie wir dieselben namentlich ans Heinrich Leos Jugenderinnerungen kennen) bildeten in den: reinen Blute der deutschen Jngend gewiß zuerst nur eiuen einzelnen schwarzen Tropfen, gewannen aber durch die Sandhase That, und zwar be¬ sonders infolge der gegen dieselbe und ihren vermeintlichen burschenschaftlichen Zusammenhang gerichteten Untersuchungen und Verurteilungen, eine tiefer um sich greifende Bedeutung. Das vereinzelte krankhafte Verbrechen, das von Wie» und Frankfurt aus als das Erzeugnis einer große», geheimen Verschwörung ausgerufen und gerichtet wurde, verlor durch diese Behandlung das Abschreckende seines ersten Eindrucks und erschien, gleich so manchem andern an die Wand gemalten Teufel, manchem jugendlichen Ange nun in dem verklärten HalbduntÄ eines heroischen Beispiels, eines mahnenden Ausrufs zu Vorkmnpf und Opfertod in dein neuen Teutoburger Verschwöruugskriege gegen falsches Recht und um-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/450>, abgerufen am 03.07.2024.