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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

El Kind, was machst du hier? Du bist wohl nicht recht bei Trost, und
du mußt auf der Stelle in deine Stube zurückgehen. Und Cynthy war auf¬
gestanden und zog Julien bereits um Arme.

Ich bin wohl bei Troste, Cyuthy Ami, und ich will nicht in meine Stube
zurück, wenigstens nicht eher, als bis ich mit dir gesprochen habe.

Was giebts denn, Julchen? sagte Cynthy, indem sie sich ans das Bett
setzte und sich anschickte, ihren alten Kampf zwischen Pflicht und Neigung wieder
zu beginnen. Cynthy erwartete immer eine Versuchung. Sie hatte oft im
Claßmeeting gesagt, daß Versuchungen aller Orten in der Luft schwebten, und
sobald Julia ihr gesagt, daß sie ihr eine Mitteilung zu machen habe, war Cynthy
sicher, sie werde darin eine Versuchung des Teufels finden, etwas zu thun, was
sie nach der Bibel oder nach strenger Deutung der methodistischen Disziplin
nicht thun dürfe. Und Cynthy war eine sehr strenge Ausdeuterin.

Julia faud es jetzt, wo sie ihren Entschluß, eine Unterhaltung zu erzwingen,
angekündigt, und wo ihre ZuHörerin wartete, nicht so leicht, etwas zu sagen.
Es ist der schlechteste Anfang von der Welt, wenn man eine Unterhaltung damit
beginnt, daß man sagt, man beabsichtige sich zu unterhalten. Wenn ein Indianer
seine Absicht angekündigt hat, ein "langes Gespräch" zu haben, so zündet er
augenblicklich seine Pfeife an und versinkt in Schweigen, bis das lange Gespräch
zufällig und natürlich losgeht. Aber Julia, die weder die Pfeife noch die
Stumpfheit des Indianers besaß, sah sich genötigt, rasch zu beginnen. Jede
Minute des Zögerns verschlimmerte ihre Position; denn jede Minute verstärkte
ihren Zweifel an der Sympathie Cynthy Anns.

O Cynthy Ann, mir ist so elend zu Mute.

Ja, ich sagte deiner Mutter diesen Morgen, daß dn elend aussähest, und
daß sie dir Sassafras eingeben sollte, um das Blut zu reinigen, aber deine
Mutter ist so eingenommen für das Dottern mit Dampf, daß sie an nichts glaubt
als an Schwitzbäder und solches Zeug.

O, aber Cyuthy, das ist es ja nicht. Ich fühle mich elend im Gemüt.
Ich wollte, ich wüßte, was ich thun soll.

Ich dachte, du hättest dich schon entschlossen. Deine Mutter sagte mir, du
hättest dich mit Herrn Hnmphreys verlobt.

Ich habe mich nicht mit ihm verlobt, und ich hasse ihn. Er brachte mich
dahin, sozusagen, als ich von Sinnen war, und ich glaube, er hat es angelegt,
was mich fast von Sinnen bringt. Denkst du, daß er el" guter Mann ist,
Cynthy Ann?

Na, nein, obschon ich über niemanden zu Gerichte sitzen will. Aber ich
kann nicht begreifen, wie er gut sein soll, wo er all das köstliche Geschmeide



*) Konventikel der Methodisten, die sich nach Klassen oder Unterabteilungen der Ge¬
meinde zu frommen Gesprächen versammeln.
Der jüngste Tag.

El Kind, was machst du hier? Du bist wohl nicht recht bei Trost, und
du mußt auf der Stelle in deine Stube zurückgehen. Und Cynthy war auf¬
gestanden und zog Julien bereits um Arme.

Ich bin wohl bei Troste, Cyuthy Ami, und ich will nicht in meine Stube
zurück, wenigstens nicht eher, als bis ich mit dir gesprochen habe.

Was giebts denn, Julchen? sagte Cynthy, indem sie sich ans das Bett
setzte und sich anschickte, ihren alten Kampf zwischen Pflicht und Neigung wieder
zu beginnen. Cynthy erwartete immer eine Versuchung. Sie hatte oft im
Claßmeeting gesagt, daß Versuchungen aller Orten in der Luft schwebten, und
sobald Julia ihr gesagt, daß sie ihr eine Mitteilung zu machen habe, war Cynthy
sicher, sie werde darin eine Versuchung des Teufels finden, etwas zu thun, was
sie nach der Bibel oder nach strenger Deutung der methodistischen Disziplin
nicht thun dürfe. Und Cynthy war eine sehr strenge Ausdeuterin.

Julia faud es jetzt, wo sie ihren Entschluß, eine Unterhaltung zu erzwingen,
angekündigt, und wo ihre ZuHörerin wartete, nicht so leicht, etwas zu sagen.
Es ist der schlechteste Anfang von der Welt, wenn man eine Unterhaltung damit
beginnt, daß man sagt, man beabsichtige sich zu unterhalten. Wenn ein Indianer
seine Absicht angekündigt hat, ein „langes Gespräch" zu haben, so zündet er
augenblicklich seine Pfeife an und versinkt in Schweigen, bis das lange Gespräch
zufällig und natürlich losgeht. Aber Julia, die weder die Pfeife noch die
Stumpfheit des Indianers besaß, sah sich genötigt, rasch zu beginnen. Jede
Minute des Zögerns verschlimmerte ihre Position; denn jede Minute verstärkte
ihren Zweifel an der Sympathie Cynthy Anns.

O Cynthy Ann, mir ist so elend zu Mute.

Ja, ich sagte deiner Mutter diesen Morgen, daß dn elend aussähest, und
daß sie dir Sassafras eingeben sollte, um das Blut zu reinigen, aber deine
Mutter ist so eingenommen für das Dottern mit Dampf, daß sie an nichts glaubt
als an Schwitzbäder und solches Zeug.

O, aber Cyuthy, das ist es ja nicht. Ich fühle mich elend im Gemüt.
Ich wollte, ich wüßte, was ich thun soll.

Ich dachte, du hättest dich schon entschlossen. Deine Mutter sagte mir, du
hättest dich mit Herrn Hnmphreys verlobt.

Ich habe mich nicht mit ihm verlobt, und ich hasse ihn. Er brachte mich
dahin, sozusagen, als ich von Sinnen war, und ich glaube, er hat es angelegt,
was mich fast von Sinnen bringt. Denkst du, daß er el» guter Mann ist,
Cynthy Ann?

Na, nein, obschon ich über niemanden zu Gerichte sitzen will. Aber ich
kann nicht begreifen, wie er gut sein soll, wo er all das köstliche Geschmeide



*) Konventikel der Methodisten, die sich nach Klassen oder Unterabteilungen der Ge¬
meinde zu frommen Gesprächen versammeln.
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[0439] Der jüngste Tag. El Kind, was machst du hier? Du bist wohl nicht recht bei Trost, und du mußt auf der Stelle in deine Stube zurückgehen. Und Cynthy war auf¬ gestanden und zog Julien bereits um Arme. Ich bin wohl bei Troste, Cyuthy Ami, und ich will nicht in meine Stube zurück, wenigstens nicht eher, als bis ich mit dir gesprochen habe. Was giebts denn, Julchen? sagte Cynthy, indem sie sich ans das Bett setzte und sich anschickte, ihren alten Kampf zwischen Pflicht und Neigung wieder zu beginnen. Cynthy erwartete immer eine Versuchung. Sie hatte oft im Claßmeeting gesagt, daß Versuchungen aller Orten in der Luft schwebten, und sobald Julia ihr gesagt, daß sie ihr eine Mitteilung zu machen habe, war Cynthy sicher, sie werde darin eine Versuchung des Teufels finden, etwas zu thun, was sie nach der Bibel oder nach strenger Deutung der methodistischen Disziplin nicht thun dürfe. Und Cynthy war eine sehr strenge Ausdeuterin. Julia faud es jetzt, wo sie ihren Entschluß, eine Unterhaltung zu erzwingen, angekündigt, und wo ihre ZuHörerin wartete, nicht so leicht, etwas zu sagen. Es ist der schlechteste Anfang von der Welt, wenn man eine Unterhaltung damit beginnt, daß man sagt, man beabsichtige sich zu unterhalten. Wenn ein Indianer seine Absicht angekündigt hat, ein „langes Gespräch" zu haben, so zündet er augenblicklich seine Pfeife an und versinkt in Schweigen, bis das lange Gespräch zufällig und natürlich losgeht. Aber Julia, die weder die Pfeife noch die Stumpfheit des Indianers besaß, sah sich genötigt, rasch zu beginnen. Jede Minute des Zögerns verschlimmerte ihre Position; denn jede Minute verstärkte ihren Zweifel an der Sympathie Cynthy Anns. O Cynthy Ann, mir ist so elend zu Mute. Ja, ich sagte deiner Mutter diesen Morgen, daß dn elend aussähest, und daß sie dir Sassafras eingeben sollte, um das Blut zu reinigen, aber deine Mutter ist so eingenommen für das Dottern mit Dampf, daß sie an nichts glaubt als an Schwitzbäder und solches Zeug. O, aber Cyuthy, das ist es ja nicht. Ich fühle mich elend im Gemüt. Ich wollte, ich wüßte, was ich thun soll. Ich dachte, du hättest dich schon entschlossen. Deine Mutter sagte mir, du hättest dich mit Herrn Hnmphreys verlobt. Ich habe mich nicht mit ihm verlobt, und ich hasse ihn. Er brachte mich dahin, sozusagen, als ich von Sinnen war, und ich glaube, er hat es angelegt, was mich fast von Sinnen bringt. Denkst du, daß er el» guter Mann ist, Cynthy Ann? Na, nein, obschon ich über niemanden zu Gerichte sitzen will. Aber ich kann nicht begreifen, wie er gut sein soll, wo er all das köstliche Geschmeide *) Konventikel der Methodisten, die sich nach Klassen oder Unterabteilungen der Ge¬ meinde zu frommen Gesprächen versammeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/439>, abgerufen am 03.07.2024.