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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zur Reform der innern Verwaltung in Preußen.

bemerkbar. Die Urtel dieser zweiten Instanz bewegten sich daher immer mehr
im Fahrwasser des juristischen Formalismus. Unterstützt wurde dieser in der
Natur der Sache begründete Haug zum Formalismus dadurch, daß das Bezirks¬
verwaltungsgericht nicht genügende Beschäftigung hatte. Letzteres lag einmal
in der Abnahme der Verwaltungsstreitsachen, das anderemal in der Kleinheit der
Verwaltungsgerichtsbezirke. Fanden doch beispielshcilber in einigen Verwaltnngs-
gerichtsbezirken nach der Geschäftsübersicht für den 1. Dezember 1380 bis dahin
1881 noch nicht einmal in jedem Monat Sitzungen statt. Die Zahl der Jvurnal-
nnmmern betrug in den am meisten beschäftigten Bezirksverwaltungsgerichten die
eines mittelmäßig belasteten Kreisansschnsses; die niedrigste Zahl neuer Streit¬
sachen im Geschäftsjahre 1880--81 belief sich auf 47, die höchste auf 609.

Neben den so zahlreich das Verwaltungsstreitversahren treffenden Vor¬
würfen kann dasselbe demnach auch den der Verschwendung von Arbeitskräften
uicht von sich abwenden. Klagen der Direktoren der Bezirksverwaltuugsgerichte
über nicht hinreichende Beschäftigung waren nicht selten.

Ein wirklicher Verwaltnngsbeamter, d. h. ein Verwaltungsbeamter, nicht
bloß dem Namen sondern auch der Sache nach, mußte ein geschworner Feind
des so charakterisirten Streitoerfcchrens sein. Es war von Interesse zu sehen,
wie Verwaltungsbeamte, welche früher dem richterlichen Stande angehört hatten,
auch keine Verfechter dieses Verfahrens waren. Für eine gesunde Verwaltung,
bei der alles darauf ankommt, daß die Sache gefördert, bestehende Übelstände
beseitigt werden, konnte das Streitverfahren mit seinen Formalien und Fristen
nur die Bedeutung einer Fesselung haben, die wo irgend angänglich, umgangen
wurde. Aber auch das Publikum fühlte instinktiv, daß sein Vorteil in dem in
seinem Ausgange ungewissen Streitverfahren nicht gewahrt wurde. Dasselbe
ergriff insbesondre das ihm gegen polizeiliche Verfügungen alternativ neben der
Streitklage gewährte Rechtsmittel der Beschwerde an die vorgesetzten Aufsichts¬
behörden lieber als das Streitverfahren.

Im letzten Grunde war ja auch, wie die oben angeführten Motive zum
Verwaltungsgerichtsgesetze ergeben, das Verwaltungsstreitversahren einem Mi߬
trauen gegen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Verwaltung, einem
Argwohn gegen die so oft betonte angeblich administrative Willkür entsprungen.
Gerade darum fand die Einführung des Verwaltungsstreitverfahrens so großen
Anklang bei den liberalen Parteien, umsomehr, als dasselbe eine Schwächung
der Exekutive involoirte.

Nach den obigen Erörterungen ist der einzig richtige Weg, durch dessen
Beschreidung den unzweifelhaft bestehenden Übelständen abzuhelfen ist, natürlich
der der völligen Beseitigung der jetzigen sogenannten Verwaltungsstreitsachen
und deren Vereinigung mit den Beschlußsachen.

Mit der Vereinigung dieser bisher getrennt gewesenen Gegenstände kann
die Struktur der Behörden, welche zur Entscheidung über sie berufen sind, nur


Zur Reform der innern Verwaltung in Preußen.

bemerkbar. Die Urtel dieser zweiten Instanz bewegten sich daher immer mehr
im Fahrwasser des juristischen Formalismus. Unterstützt wurde dieser in der
Natur der Sache begründete Haug zum Formalismus dadurch, daß das Bezirks¬
verwaltungsgericht nicht genügende Beschäftigung hatte. Letzteres lag einmal
in der Abnahme der Verwaltungsstreitsachen, das anderemal in der Kleinheit der
Verwaltungsgerichtsbezirke. Fanden doch beispielshcilber in einigen Verwaltnngs-
gerichtsbezirken nach der Geschäftsübersicht für den 1. Dezember 1380 bis dahin
1881 noch nicht einmal in jedem Monat Sitzungen statt. Die Zahl der Jvurnal-
nnmmern betrug in den am meisten beschäftigten Bezirksverwaltungsgerichten die
eines mittelmäßig belasteten Kreisansschnsses; die niedrigste Zahl neuer Streit¬
sachen im Geschäftsjahre 1880—81 belief sich auf 47, die höchste auf 609.

Neben den so zahlreich das Verwaltungsstreitversahren treffenden Vor¬
würfen kann dasselbe demnach auch den der Verschwendung von Arbeitskräften
uicht von sich abwenden. Klagen der Direktoren der Bezirksverwaltuugsgerichte
über nicht hinreichende Beschäftigung waren nicht selten.

Ein wirklicher Verwaltnngsbeamter, d. h. ein Verwaltungsbeamter, nicht
bloß dem Namen sondern auch der Sache nach, mußte ein geschworner Feind
des so charakterisirten Streitoerfcchrens sein. Es war von Interesse zu sehen,
wie Verwaltungsbeamte, welche früher dem richterlichen Stande angehört hatten,
auch keine Verfechter dieses Verfahrens waren. Für eine gesunde Verwaltung,
bei der alles darauf ankommt, daß die Sache gefördert, bestehende Übelstände
beseitigt werden, konnte das Streitverfahren mit seinen Formalien und Fristen
nur die Bedeutung einer Fesselung haben, die wo irgend angänglich, umgangen
wurde. Aber auch das Publikum fühlte instinktiv, daß sein Vorteil in dem in
seinem Ausgange ungewissen Streitverfahren nicht gewahrt wurde. Dasselbe
ergriff insbesondre das ihm gegen polizeiliche Verfügungen alternativ neben der
Streitklage gewährte Rechtsmittel der Beschwerde an die vorgesetzten Aufsichts¬
behörden lieber als das Streitverfahren.

Im letzten Grunde war ja auch, wie die oben angeführten Motive zum
Verwaltungsgerichtsgesetze ergeben, das Verwaltungsstreitversahren einem Mi߬
trauen gegen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Verwaltung, einem
Argwohn gegen die so oft betonte angeblich administrative Willkür entsprungen.
Gerade darum fand die Einführung des Verwaltungsstreitverfahrens so großen
Anklang bei den liberalen Parteien, umsomehr, als dasselbe eine Schwächung
der Exekutive involoirte.

Nach den obigen Erörterungen ist der einzig richtige Weg, durch dessen
Beschreidung den unzweifelhaft bestehenden Übelständen abzuhelfen ist, natürlich
der der völligen Beseitigung der jetzigen sogenannten Verwaltungsstreitsachen
und deren Vereinigung mit den Beschlußsachen.

Mit der Vereinigung dieser bisher getrennt gewesenen Gegenstände kann
die Struktur der Behörden, welche zur Entscheidung über sie berufen sind, nur


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[0434] Zur Reform der innern Verwaltung in Preußen. bemerkbar. Die Urtel dieser zweiten Instanz bewegten sich daher immer mehr im Fahrwasser des juristischen Formalismus. Unterstützt wurde dieser in der Natur der Sache begründete Haug zum Formalismus dadurch, daß das Bezirks¬ verwaltungsgericht nicht genügende Beschäftigung hatte. Letzteres lag einmal in der Abnahme der Verwaltungsstreitsachen, das anderemal in der Kleinheit der Verwaltungsgerichtsbezirke. Fanden doch beispielshcilber in einigen Verwaltnngs- gerichtsbezirken nach der Geschäftsübersicht für den 1. Dezember 1380 bis dahin 1881 noch nicht einmal in jedem Monat Sitzungen statt. Die Zahl der Jvurnal- nnmmern betrug in den am meisten beschäftigten Bezirksverwaltungsgerichten die eines mittelmäßig belasteten Kreisansschnsses; die niedrigste Zahl neuer Streit¬ sachen im Geschäftsjahre 1880—81 belief sich auf 47, die höchste auf 609. Neben den so zahlreich das Verwaltungsstreitversahren treffenden Vor¬ würfen kann dasselbe demnach auch den der Verschwendung von Arbeitskräften uicht von sich abwenden. Klagen der Direktoren der Bezirksverwaltuugsgerichte über nicht hinreichende Beschäftigung waren nicht selten. Ein wirklicher Verwaltnngsbeamter, d. h. ein Verwaltungsbeamter, nicht bloß dem Namen sondern auch der Sache nach, mußte ein geschworner Feind des so charakterisirten Streitoerfcchrens sein. Es war von Interesse zu sehen, wie Verwaltungsbeamte, welche früher dem richterlichen Stande angehört hatten, auch keine Verfechter dieses Verfahrens waren. Für eine gesunde Verwaltung, bei der alles darauf ankommt, daß die Sache gefördert, bestehende Übelstände beseitigt werden, konnte das Streitverfahren mit seinen Formalien und Fristen nur die Bedeutung einer Fesselung haben, die wo irgend angänglich, umgangen wurde. Aber auch das Publikum fühlte instinktiv, daß sein Vorteil in dem in seinem Ausgange ungewissen Streitverfahren nicht gewahrt wurde. Dasselbe ergriff insbesondre das ihm gegen polizeiliche Verfügungen alternativ neben der Streitklage gewährte Rechtsmittel der Beschwerde an die vorgesetzten Aufsichts¬ behörden lieber als das Streitverfahren. Im letzten Grunde war ja auch, wie die oben angeführten Motive zum Verwaltungsgerichtsgesetze ergeben, das Verwaltungsstreitversahren einem Mi߬ trauen gegen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Verwaltung, einem Argwohn gegen die so oft betonte angeblich administrative Willkür entsprungen. Gerade darum fand die Einführung des Verwaltungsstreitverfahrens so großen Anklang bei den liberalen Parteien, umsomehr, als dasselbe eine Schwächung der Exekutive involoirte. Nach den obigen Erörterungen ist der einzig richtige Weg, durch dessen Beschreidung den unzweifelhaft bestehenden Übelständen abzuhelfen ist, natürlich der der völligen Beseitigung der jetzigen sogenannten Verwaltungsstreitsachen und deren Vereinigung mit den Beschlußsachen. Mit der Vereinigung dieser bisher getrennt gewesenen Gegenstände kann die Struktur der Behörden, welche zur Entscheidung über sie berufen sind, nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/434>, abgerufen am 03.07.2024.