Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Reform der innern Verwaltung in Vreußeu.

Streitsachen nuf die rechtliche Seite des Venvaltuugsgegeustaudes gelegt wurde,
so war es natürlich, daß bestimmte Formen, Schriftwechsel, Bcweisgrundsätze
und präklusivische Fristen eingefiihrt wurden. Es trat damit eine Weitläufigkeit
und Verlangsamung in der Behandlung von Verwaltnngssacheu ein, die auf
Verwnltuugsstreitsacheu, namentlich wenn sie durch drei Instanzen durchgepreßt
wurden, so oft die Schlußzeilen aus der Goethischen Ballade zur Anwendung
brachte:


Erreicht den Hof mit Müh und Not,
In seinen Armen das Kind war tot.

Gerade gegenüber Sachen der minimalsten Natur war die Weitläufigkeit des
Verfahrens oft schreckeuerregcnd. Kam eine Prozeßsache aus der dritten In-
stanz nach Verlauf von anderthalb Jahren zurück, so war das Erstaunen über den
Aufwand von Zeit, Kosten und Gelehrsamkeit bezüglich eines oft ganz gering¬
fügigen, früher in der kürzesten Zeit erledigten Gegenstandes wirklich gerechtfertigt.
Die Sache selbst, um derentwillen der Streit geführt, hatte für die Verwaltung
häufig schon ihre Bedeutung verloren.

Daß einem derartigen Verfahren -- und in diesem Pnnkte pflegt das Pu¬
blikum am meiste" sensibel zu sein -- die Kostspieligkeit entsprach, ist erklärlich.
Eine Wegestreitsache, in der es sich um die Verbreiterung eines Weges um ein
paar Fuß Laudes handelte, kostete dem Amtsvorsteher, welcher in erster In¬
stanz obgesiegt, in zweiter Instanz verloren, in dritter Instanz von neuem,
soweit der rechtliche Gesichtspunkt in Frage kam, gewonnen, in zweiter Instanz,
der die Sache zu erneuter Beweisaufnahme zugesandt war, endlich nach langem
Intervall, vielfachen Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen ver¬
loren hatte, einige 180 Mark. Soviel war natürlich der ganze Streit nicht
wert. Gerade die Kostspieligkeit des Verfahrens war es, welche, und mit vollem
Rechte, das Verwaltnngsstreitversnhren so unbeliebt machte, leider aber anch all¬
mählich die untern Behörden vor energischem, schneidigen Einschreiten zurück¬
schreckte.

Zu natürlich war es hierbei, daß Behörden, welche selbst nicht mehr ver¬
walteten, sondern nur uoch auf prvzessualischein Wege in die Verwaltung eiu-
griffen, mehr und mehr dem Formalismus verfielen. Über die Entscheidungen
der Kreisausschüsse wurden im Publikum im großen und ganzen keine Klagen
lant. Der Kreisausschuß als Verwaltungsgericht hatte als selbstverwalteude
Behörde und dadurch, daß an seiner Spitze der ständig mit den praktischen
Verhältnissen in Verbindung stehende Landrat stand, Fühlung mit der Ver¬
waltung, mit dem wirklichen Leben. Ganz anders war dies beim Bezirksver¬
waltungsgericht, welches von einem Beamte", der den Zusammenhang mit der
Verwaltung verlieren mußte, geleitet wurde. Auch wurde der Einfluß des
richterlichen, des Verständnisses sür die Verwaltung naturgemäß entbehrenden
.Mitgliedes hinsichtlich der Entscheidungen der Vezirksverwaltungsgerichte sehr


Grenzboten III. ILL2. Ü4
Zur Reform der innern Verwaltung in Vreußeu.

Streitsachen nuf die rechtliche Seite des Venvaltuugsgegeustaudes gelegt wurde,
so war es natürlich, daß bestimmte Formen, Schriftwechsel, Bcweisgrundsätze
und präklusivische Fristen eingefiihrt wurden. Es trat damit eine Weitläufigkeit
und Verlangsamung in der Behandlung von Verwaltnngssacheu ein, die auf
Verwnltuugsstreitsacheu, namentlich wenn sie durch drei Instanzen durchgepreßt
wurden, so oft die Schlußzeilen aus der Goethischen Ballade zur Anwendung
brachte:


Erreicht den Hof mit Müh und Not,
In seinen Armen das Kind war tot.

Gerade gegenüber Sachen der minimalsten Natur war die Weitläufigkeit des
Verfahrens oft schreckeuerregcnd. Kam eine Prozeßsache aus der dritten In-
stanz nach Verlauf von anderthalb Jahren zurück, so war das Erstaunen über den
Aufwand von Zeit, Kosten und Gelehrsamkeit bezüglich eines oft ganz gering¬
fügigen, früher in der kürzesten Zeit erledigten Gegenstandes wirklich gerechtfertigt.
Die Sache selbst, um derentwillen der Streit geführt, hatte für die Verwaltung
häufig schon ihre Bedeutung verloren.

Daß einem derartigen Verfahren — und in diesem Pnnkte pflegt das Pu¬
blikum am meiste« sensibel zu sein — die Kostspieligkeit entsprach, ist erklärlich.
Eine Wegestreitsache, in der es sich um die Verbreiterung eines Weges um ein
paar Fuß Laudes handelte, kostete dem Amtsvorsteher, welcher in erster In¬
stanz obgesiegt, in zweiter Instanz verloren, in dritter Instanz von neuem,
soweit der rechtliche Gesichtspunkt in Frage kam, gewonnen, in zweiter Instanz,
der die Sache zu erneuter Beweisaufnahme zugesandt war, endlich nach langem
Intervall, vielfachen Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen ver¬
loren hatte, einige 180 Mark. Soviel war natürlich der ganze Streit nicht
wert. Gerade die Kostspieligkeit des Verfahrens war es, welche, und mit vollem
Rechte, das Verwaltnngsstreitversnhren so unbeliebt machte, leider aber anch all¬
mählich die untern Behörden vor energischem, schneidigen Einschreiten zurück¬
schreckte.

Zu natürlich war es hierbei, daß Behörden, welche selbst nicht mehr ver¬
walteten, sondern nur uoch auf prvzessualischein Wege in die Verwaltung eiu-
griffen, mehr und mehr dem Formalismus verfielen. Über die Entscheidungen
der Kreisausschüsse wurden im Publikum im großen und ganzen keine Klagen
lant. Der Kreisausschuß als Verwaltungsgericht hatte als selbstverwalteude
Behörde und dadurch, daß an seiner Spitze der ständig mit den praktischen
Verhältnissen in Verbindung stehende Landrat stand, Fühlung mit der Ver¬
waltung, mit dem wirklichen Leben. Ganz anders war dies beim Bezirksver¬
waltungsgericht, welches von einem Beamte«, der den Zusammenhang mit der
Verwaltung verlieren mußte, geleitet wurde. Auch wurde der Einfluß des
richterlichen, des Verständnisses sür die Verwaltung naturgemäß entbehrenden
.Mitgliedes hinsichtlich der Entscheidungen der Vezirksverwaltungsgerichte sehr


Grenzboten III. ILL2. Ü4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193774"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Reform der innern Verwaltung in Vreußeu.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1443" prev="#ID_1442" next="#ID_1444"> Streitsachen nuf die rechtliche Seite des Venvaltuugsgegeustaudes gelegt wurde,<lb/>
so war es natürlich, daß bestimmte Formen, Schriftwechsel, Bcweisgrundsätze<lb/>
und präklusivische Fristen eingefiihrt wurden. Es trat damit eine Weitläufigkeit<lb/>
und Verlangsamung in der Behandlung von Verwaltnngssacheu ein, die auf<lb/>
Verwnltuugsstreitsacheu, namentlich wenn sie durch drei Instanzen durchgepreßt<lb/>
wurden, so oft die Schlußzeilen aus der Goethischen Ballade zur Anwendung<lb/>
brachte:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_18" type="poem">
              <l> Erreicht den Hof mit Müh und Not,<lb/>
In seinen Armen das Kind war tot.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1444" prev="#ID_1443"> Gerade gegenüber Sachen der minimalsten Natur war die Weitläufigkeit des<lb/>
Verfahrens oft schreckeuerregcnd. Kam eine Prozeßsache aus der dritten In-<lb/>
stanz nach Verlauf von anderthalb Jahren zurück, so war das Erstaunen über den<lb/>
Aufwand von Zeit, Kosten und Gelehrsamkeit bezüglich eines oft ganz gering¬<lb/>
fügigen, früher in der kürzesten Zeit erledigten Gegenstandes wirklich gerechtfertigt.<lb/>
Die Sache selbst, um derentwillen der Streit geführt, hatte für die Verwaltung<lb/>
häufig schon ihre Bedeutung verloren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1445"> Daß einem derartigen Verfahren &#x2014; und in diesem Pnnkte pflegt das Pu¬<lb/>
blikum am meiste« sensibel zu sein &#x2014; die Kostspieligkeit entsprach, ist erklärlich.<lb/>
Eine Wegestreitsache, in der es sich um die Verbreiterung eines Weges um ein<lb/>
paar Fuß Laudes handelte, kostete dem Amtsvorsteher, welcher in erster In¬<lb/>
stanz obgesiegt, in zweiter Instanz verloren, in dritter Instanz von neuem,<lb/>
soweit der rechtliche Gesichtspunkt in Frage kam, gewonnen, in zweiter Instanz,<lb/>
der die Sache zu erneuter Beweisaufnahme zugesandt war, endlich nach langem<lb/>
Intervall, vielfachen Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen ver¬<lb/>
loren hatte, einige 180 Mark. Soviel war natürlich der ganze Streit nicht<lb/>
wert. Gerade die Kostspieligkeit des Verfahrens war es, welche, und mit vollem<lb/>
Rechte, das Verwaltnngsstreitversnhren so unbeliebt machte, leider aber anch all¬<lb/>
mählich die untern Behörden vor energischem, schneidigen Einschreiten zurück¬<lb/>
schreckte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1446" next="#ID_1447"> Zu natürlich war es hierbei, daß Behörden, welche selbst nicht mehr ver¬<lb/>
walteten, sondern nur uoch auf prvzessualischein Wege in die Verwaltung eiu-<lb/>
griffen, mehr und mehr dem Formalismus verfielen. Über die Entscheidungen<lb/>
der Kreisausschüsse wurden im Publikum im großen und ganzen keine Klagen<lb/>
lant. Der Kreisausschuß als Verwaltungsgericht hatte als selbstverwalteude<lb/>
Behörde und dadurch, daß an seiner Spitze der ständig mit den praktischen<lb/>
Verhältnissen in Verbindung stehende Landrat stand, Fühlung mit der Ver¬<lb/>
waltung, mit dem wirklichen Leben. Ganz anders war dies beim Bezirksver¬<lb/>
waltungsgericht, welches von einem Beamte«, der den Zusammenhang mit der<lb/>
Verwaltung verlieren mußte, geleitet wurde. Auch wurde der Einfluß des<lb/>
richterlichen, des Verständnisses sür die Verwaltung naturgemäß entbehrenden<lb/>
.Mitgliedes hinsichtlich der Entscheidungen der Vezirksverwaltungsgerichte sehr</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. ILL2. Ü4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] Zur Reform der innern Verwaltung in Vreußeu. Streitsachen nuf die rechtliche Seite des Venvaltuugsgegeustaudes gelegt wurde, so war es natürlich, daß bestimmte Formen, Schriftwechsel, Bcweisgrundsätze und präklusivische Fristen eingefiihrt wurden. Es trat damit eine Weitläufigkeit und Verlangsamung in der Behandlung von Verwaltnngssacheu ein, die auf Verwnltuugsstreitsacheu, namentlich wenn sie durch drei Instanzen durchgepreßt wurden, so oft die Schlußzeilen aus der Goethischen Ballade zur Anwendung brachte: Erreicht den Hof mit Müh und Not, In seinen Armen das Kind war tot. Gerade gegenüber Sachen der minimalsten Natur war die Weitläufigkeit des Verfahrens oft schreckeuerregcnd. Kam eine Prozeßsache aus der dritten In- stanz nach Verlauf von anderthalb Jahren zurück, so war das Erstaunen über den Aufwand von Zeit, Kosten und Gelehrsamkeit bezüglich eines oft ganz gering¬ fügigen, früher in der kürzesten Zeit erledigten Gegenstandes wirklich gerechtfertigt. Die Sache selbst, um derentwillen der Streit geführt, hatte für die Verwaltung häufig schon ihre Bedeutung verloren. Daß einem derartigen Verfahren — und in diesem Pnnkte pflegt das Pu¬ blikum am meiste« sensibel zu sein — die Kostspieligkeit entsprach, ist erklärlich. Eine Wegestreitsache, in der es sich um die Verbreiterung eines Weges um ein paar Fuß Laudes handelte, kostete dem Amtsvorsteher, welcher in erster In¬ stanz obgesiegt, in zweiter Instanz verloren, in dritter Instanz von neuem, soweit der rechtliche Gesichtspunkt in Frage kam, gewonnen, in zweiter Instanz, der die Sache zu erneuter Beweisaufnahme zugesandt war, endlich nach langem Intervall, vielfachen Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen ver¬ loren hatte, einige 180 Mark. Soviel war natürlich der ganze Streit nicht wert. Gerade die Kostspieligkeit des Verfahrens war es, welche, und mit vollem Rechte, das Verwaltnngsstreitversnhren so unbeliebt machte, leider aber anch all¬ mählich die untern Behörden vor energischem, schneidigen Einschreiten zurück¬ schreckte. Zu natürlich war es hierbei, daß Behörden, welche selbst nicht mehr ver¬ walteten, sondern nur uoch auf prvzessualischein Wege in die Verwaltung eiu- griffen, mehr und mehr dem Formalismus verfielen. Über die Entscheidungen der Kreisausschüsse wurden im Publikum im großen und ganzen keine Klagen lant. Der Kreisausschuß als Verwaltungsgericht hatte als selbstverwalteude Behörde und dadurch, daß an seiner Spitze der ständig mit den praktischen Verhältnissen in Verbindung stehende Landrat stand, Fühlung mit der Ver¬ waltung, mit dem wirklichen Leben. Ganz anders war dies beim Bezirksver¬ waltungsgericht, welches von einem Beamte«, der den Zusammenhang mit der Verwaltung verlieren mußte, geleitet wurde. Auch wurde der Einfluß des richterlichen, des Verständnisses sür die Verwaltung naturgemäß entbehrenden .Mitgliedes hinsichtlich der Entscheidungen der Vezirksverwaltungsgerichte sehr Grenzboten III. ILL2. Ü4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/433>, abgerufen am 22.07.2024.