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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zur Reform der innern Verwaltung in Preußen.

in der weiteren Nachbildung der bisher bestehenden in erster Instanz sein. Die
unterste Organisation im Kreise hat sich bewährt. Analog dem Vorbilde in
erster Instanz, wo der an der Spitze der Kreisverwaltuug stehende Beamte den
Vorsitz im Kreisansschusse in dessen Eigenschaft als Verwaltungsgericht und
Beschlußbehörde führt, muß der Regierungspräsident in zweiter Instanz mit
dem Vorsitze und mit der Leitung betraut werden, mag die Behörde uun Be¬
zirksausschuß genannt werden oder den Namen Bezirksrat weiter führen. Die
früher namentlich von der uationnlliberaleu Partei gemachten Kompromi߬
vorschläge, nach denen Bezirksrat und Bezirksverwaltungsgericht zwar zu einer
Behörde vereinigt werden sollten, der Bezirksverwaltungsgerichtsdirektor aber den
Vorsitz in Verwaltuugsstreitsachen behalten, der Regierungspräsident nur in Be¬
schlußsachen die Leitung übernehmen sollte, sind inacceptabel.

Ein kontradiktorisches öffentliches und mündliches Verfahren ist nirgends von
Amtswegen ex 1<zFv, sondern nnr auf Antrag der Partei zuzulassen. Dasselbe
hat sich in möglichst einfachen Formen nnter Vermeidung von erheblichen Kosten
zu bewegen. Fristen sind nnr in den wenigsten zwingenden Fällen und unter
Fernhaltung der präklusivischen Natur zu statuiren. Die Verwaltung, die
ständig im Flusse ist und bei der eine Sache, die gestern ungerechtfertigt war,
hente völlig gegründet ist, kann die Fessel präklusivischcr Fristen nicht ertragen.
Die bisherigen kumulativen Rechtsmittel der Beschwerde und Klage, welche jedes
innern Grundes entbehren und nur sinnverwirrend wirken, sind zu beseitigen.

Gegen polizeiliche Verfügungen, welche das immerhin auch noch sich in die
Länge ziehende Beschlußverfahren nicht vertragen können, ist nur das Rechts¬
mittel der Beschwerde an die Aufsichtsbehörde in zweiter Instanz und erst
gegen diese Klage beim Oberverwaltuugsgerichte zuzulassen.

Der Provinzialrat, für den nnr mühsam Gegenstände zusammengebracht
waren, ist ganz in Wegfall zu bringen.

Das Oberverwaltuugsgericht ist uur als Kassationshof zu organisiren.

Bei einer derartigen Organisation, für welche sich auch die meisten Pro-
vinziallandtage ausgesprochen haben, ist die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
der Rechtsprechung dadurch gewahrt, daß das Laicnelement in erster und zweiter
Instanz in völlig hinreichender Weise herangezogen wird. Das so viel ge-
fürchtete Übergewicht des Regierungspräsidenten wird ebensowenig wie das des
Landrates eintreten. Lassen sich aber die Laienmitglieder durch die Stellung
des Regierungspräsidenten irgendwie beeinflussen, dann ist die ganze Selbstver¬
waltung nichts wert.




Zur Reform der innern Verwaltung in Preußen.

in der weiteren Nachbildung der bisher bestehenden in erster Instanz sein. Die
unterste Organisation im Kreise hat sich bewährt. Analog dem Vorbilde in
erster Instanz, wo der an der Spitze der Kreisverwaltuug stehende Beamte den
Vorsitz im Kreisansschusse in dessen Eigenschaft als Verwaltungsgericht und
Beschlußbehörde führt, muß der Regierungspräsident in zweiter Instanz mit
dem Vorsitze und mit der Leitung betraut werden, mag die Behörde uun Be¬
zirksausschuß genannt werden oder den Namen Bezirksrat weiter führen. Die
früher namentlich von der uationnlliberaleu Partei gemachten Kompromi߬
vorschläge, nach denen Bezirksrat und Bezirksverwaltungsgericht zwar zu einer
Behörde vereinigt werden sollten, der Bezirksverwaltungsgerichtsdirektor aber den
Vorsitz in Verwaltuugsstreitsachen behalten, der Regierungspräsident nur in Be¬
schlußsachen die Leitung übernehmen sollte, sind inacceptabel.

Ein kontradiktorisches öffentliches und mündliches Verfahren ist nirgends von
Amtswegen ex 1<zFv, sondern nnr auf Antrag der Partei zuzulassen. Dasselbe
hat sich in möglichst einfachen Formen nnter Vermeidung von erheblichen Kosten
zu bewegen. Fristen sind nnr in den wenigsten zwingenden Fällen und unter
Fernhaltung der präklusivischen Natur zu statuiren. Die Verwaltung, die
ständig im Flusse ist und bei der eine Sache, die gestern ungerechtfertigt war,
hente völlig gegründet ist, kann die Fessel präklusivischcr Fristen nicht ertragen.
Die bisherigen kumulativen Rechtsmittel der Beschwerde und Klage, welche jedes
innern Grundes entbehren und nur sinnverwirrend wirken, sind zu beseitigen.

Gegen polizeiliche Verfügungen, welche das immerhin auch noch sich in die
Länge ziehende Beschlußverfahren nicht vertragen können, ist nur das Rechts¬
mittel der Beschwerde an die Aufsichtsbehörde in zweiter Instanz und erst
gegen diese Klage beim Oberverwaltuugsgerichte zuzulassen.

Der Provinzialrat, für den nnr mühsam Gegenstände zusammengebracht
waren, ist ganz in Wegfall zu bringen.

Das Oberverwaltuugsgericht ist uur als Kassationshof zu organisiren.

Bei einer derartigen Organisation, für welche sich auch die meisten Pro-
vinziallandtage ausgesprochen haben, ist die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
der Rechtsprechung dadurch gewahrt, daß das Laicnelement in erster und zweiter
Instanz in völlig hinreichender Weise herangezogen wird. Das so viel ge-
fürchtete Übergewicht des Regierungspräsidenten wird ebensowenig wie das des
Landrates eintreten. Lassen sich aber die Laienmitglieder durch die Stellung
des Regierungspräsidenten irgendwie beeinflussen, dann ist die ganze Selbstver¬
waltung nichts wert.




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[0435] Zur Reform der innern Verwaltung in Preußen. in der weiteren Nachbildung der bisher bestehenden in erster Instanz sein. Die unterste Organisation im Kreise hat sich bewährt. Analog dem Vorbilde in erster Instanz, wo der an der Spitze der Kreisverwaltuug stehende Beamte den Vorsitz im Kreisansschusse in dessen Eigenschaft als Verwaltungsgericht und Beschlußbehörde führt, muß der Regierungspräsident in zweiter Instanz mit dem Vorsitze und mit der Leitung betraut werden, mag die Behörde uun Be¬ zirksausschuß genannt werden oder den Namen Bezirksrat weiter führen. Die früher namentlich von der uationnlliberaleu Partei gemachten Kompromi߬ vorschläge, nach denen Bezirksrat und Bezirksverwaltungsgericht zwar zu einer Behörde vereinigt werden sollten, der Bezirksverwaltungsgerichtsdirektor aber den Vorsitz in Verwaltuugsstreitsachen behalten, der Regierungspräsident nur in Be¬ schlußsachen die Leitung übernehmen sollte, sind inacceptabel. Ein kontradiktorisches öffentliches und mündliches Verfahren ist nirgends von Amtswegen ex 1<zFv, sondern nnr auf Antrag der Partei zuzulassen. Dasselbe hat sich in möglichst einfachen Formen nnter Vermeidung von erheblichen Kosten zu bewegen. Fristen sind nnr in den wenigsten zwingenden Fällen und unter Fernhaltung der präklusivischen Natur zu statuiren. Die Verwaltung, die ständig im Flusse ist und bei der eine Sache, die gestern ungerechtfertigt war, hente völlig gegründet ist, kann die Fessel präklusivischcr Fristen nicht ertragen. Die bisherigen kumulativen Rechtsmittel der Beschwerde und Klage, welche jedes innern Grundes entbehren und nur sinnverwirrend wirken, sind zu beseitigen. Gegen polizeiliche Verfügungen, welche das immerhin auch noch sich in die Länge ziehende Beschlußverfahren nicht vertragen können, ist nur das Rechts¬ mittel der Beschwerde an die Aufsichtsbehörde in zweiter Instanz und erst gegen diese Klage beim Oberverwaltuugsgerichte zuzulassen. Der Provinzialrat, für den nnr mühsam Gegenstände zusammengebracht waren, ist ganz in Wegfall zu bringen. Das Oberverwaltuugsgericht ist uur als Kassationshof zu organisiren. Bei einer derartigen Organisation, für welche sich auch die meisten Pro- vinziallandtage ausgesprochen haben, ist die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung dadurch gewahrt, daß das Laicnelement in erster und zweiter Instanz in völlig hinreichender Weise herangezogen wird. Das so viel ge- fürchtete Übergewicht des Regierungspräsidenten wird ebensowenig wie das des Landrates eintreten. Lassen sich aber die Laienmitglieder durch die Stellung des Regierungspräsidenten irgendwie beeinflussen, dann ist die ganze Selbstver¬ waltung nichts wert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/435>, abgerufen am 01.07.2024.