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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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meinen Gedanken zu Grunde gelegt und ausgeführt, der im Eingange und am
Schlüsse deutlich genug bezeichnet ist; es ist der Gedanke, daß in dein Kampfe der
Liebe mit der elementaren Naturgewalt die letztere zwar äußerlich triumphirt --
die Träger der Liebe gehen beide in diesem Kampfe oder infolge desselben
zu Gründe. Aber dieser Triumph ist nur ein scheinbarer; die Elemente ver¬
mögen die Liebenden nnr leiblich zu vernichten, nicht ihre Liebe zu zerreißen;
als Hero die Leiche des Geliebten erblickt, stürzt sie sich vom Thurme in die
Tiefe hinab, und wie der dnrch die Wellen herbeigeführte Tod Leanders sie
für diese Welt nur auf eine kurze Spanne Zeit zu trennen vermochte, so ver¬
einigt sie der freiwillige Tod Heros wieder für immer.

So schildert denn der Dichter, nach kurzer Charakteristik des Hellcsponts in der
ersten Strophe, an deren Schlüsse die beiden oben zitirten Verse stehen, in der ersten
Hälfte des Gedichts eingehend das Liebesglück Heros und Leanders. Von Liebe zu
einander erglühend, werden sie dnrch die Feindschaft der Väter an offener Ver¬
mählung gehindert. Sehnsüchtig blickt Hero von ihrem Felsenthurme in Schlof
nach Abydos hinüber. Aber die Liebe, die einst Theseus ans dem Labyrinthe
führte, die Inholt die feuersprühenden Stiere vor den Pflug spannte und selbst
den Gott der Unterwelt zwang, seinen Rund herauszugeben, geleitet mich Leander
sicher zur Geliebten, indem sie ihm Kraft giebt, übers Meer zu schwimmen.
Nach bestandener Gefahr ruht er in den Armen der Geliebten ans, aus deuen
ihn vor Beginn des Morgens abermals die Gefahr reißt. So vergehen dreißig
Tage, und die Gefahr steigert nnr das Liebesglück. Da kommt der Herbst;
bethört freuen sich beide, daß nnn die kürzeren Tage sie länger beisammen lassen
werden. Am Tage der Tag- und Nachtgleiche liegt das Meer "still und eben,
einem reinen Spiegel gleich" -- um die Katastrophe herbeizuführen. Hero freut
sich über das Meer, das so mild und gütig sei und ihr den Geliebten bringen
werde; denn der Meergott, der von der Liebe zu Helle einst bezwungen worden
sei, werde um ihretwillen auch Heros und Leanders Liebesglück schonen und den
Geliebten auch hente herüberfuhren.

Dieser Schilderung des Liebesglücks und feiner Hoffnung, welche gennn
die Hälfte der Ballade füllt, folgt nnn die Katastrophe. Hero zündet, wie all¬
nächtlich, die Fackel an, um dem Geliebten den Weg zu zeigen. Da bricht der
Sturm los. Hero bereut ihren Wunsch, daß der Geliebte mich hente kommen
möge. Der Sturm wächst, und wie er den höchsten Grad erreicht, erlischt ihre
Fackel. Vergebens betet Hero zu der Göttin der Liebe, zu allen andern Göttern,
endlich zur Leukothea, die die Schiffer in äußerster Gefahr beschirmt. Wohl
schweigt das Meer, aber als der Morgen heraufkommt, spült sein glatter
Spiegel einen Leichnam ans Ufer. Hero klagt und weint nicht, als sie Leander
erkennt. Ihre Empfindungen und ihren Entschluß spricht sie in der vorletzten
Strophe ans:


meinen Gedanken zu Grunde gelegt und ausgeführt, der im Eingange und am
Schlüsse deutlich genug bezeichnet ist; es ist der Gedanke, daß in dein Kampfe der
Liebe mit der elementaren Naturgewalt die letztere zwar äußerlich triumphirt —
die Träger der Liebe gehen beide in diesem Kampfe oder infolge desselben
zu Gründe. Aber dieser Triumph ist nur ein scheinbarer; die Elemente ver¬
mögen die Liebenden nnr leiblich zu vernichten, nicht ihre Liebe zu zerreißen;
als Hero die Leiche des Geliebten erblickt, stürzt sie sich vom Thurme in die
Tiefe hinab, und wie der dnrch die Wellen herbeigeführte Tod Leanders sie
für diese Welt nur auf eine kurze Spanne Zeit zu trennen vermochte, so ver¬
einigt sie der freiwillige Tod Heros wieder für immer.

So schildert denn der Dichter, nach kurzer Charakteristik des Hellcsponts in der
ersten Strophe, an deren Schlüsse die beiden oben zitirten Verse stehen, in der ersten
Hälfte des Gedichts eingehend das Liebesglück Heros und Leanders. Von Liebe zu
einander erglühend, werden sie dnrch die Feindschaft der Väter an offener Ver¬
mählung gehindert. Sehnsüchtig blickt Hero von ihrem Felsenthurme in Schlof
nach Abydos hinüber. Aber die Liebe, die einst Theseus ans dem Labyrinthe
führte, die Inholt die feuersprühenden Stiere vor den Pflug spannte und selbst
den Gott der Unterwelt zwang, seinen Rund herauszugeben, geleitet mich Leander
sicher zur Geliebten, indem sie ihm Kraft giebt, übers Meer zu schwimmen.
Nach bestandener Gefahr ruht er in den Armen der Geliebten ans, aus deuen
ihn vor Beginn des Morgens abermals die Gefahr reißt. So vergehen dreißig
Tage, und die Gefahr steigert nnr das Liebesglück. Da kommt der Herbst;
bethört freuen sich beide, daß nnn die kürzeren Tage sie länger beisammen lassen
werden. Am Tage der Tag- und Nachtgleiche liegt das Meer „still und eben,
einem reinen Spiegel gleich" — um die Katastrophe herbeizuführen. Hero freut
sich über das Meer, das so mild und gütig sei und ihr den Geliebten bringen
werde; denn der Meergott, der von der Liebe zu Helle einst bezwungen worden
sei, werde um ihretwillen auch Heros und Leanders Liebesglück schonen und den
Geliebten auch hente herüberfuhren.

Dieser Schilderung des Liebesglücks und feiner Hoffnung, welche gennn
die Hälfte der Ballade füllt, folgt nnn die Katastrophe. Hero zündet, wie all¬
nächtlich, die Fackel an, um dem Geliebten den Weg zu zeigen. Da bricht der
Sturm los. Hero bereut ihren Wunsch, daß der Geliebte mich hente kommen
möge. Der Sturm wächst, und wie er den höchsten Grad erreicht, erlischt ihre
Fackel. Vergebens betet Hero zu der Göttin der Liebe, zu allen andern Göttern,
endlich zur Leukothea, die die Schiffer in äußerster Gefahr beschirmt. Wohl
schweigt das Meer, aber als der Morgen heraufkommt, spült sein glatter
Spiegel einen Leichnam ans Ufer. Hero klagt und weint nicht, als sie Leander
erkennt. Ihre Empfindungen und ihren Entschluß spricht sie in der vorletzten
Strophe ans:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/421>, abgerufen am 03.07.2024.