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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Aber er hatte aus dem Zuge seines Vaters nichts gelernt. Vergebens baute
er eine Brücke über den Hellespont, vergebens suchte er die Dämonen des
Meeres zu versöhnen; wohl kamen seine Hnnderttnusende herüber nach Europa,
aber nur wenige sahen die Heimat wieder. Im Angesichte desselben Sundes
ward auch der verhängnisvolle peloponnesische Krieg durch die Schlacht um
Ziegenslusse beendet und die gewaltige Macht Athens zertrümmert. Alexander
der Große, der nachmals den Hellespont überschritt, hat zwar Asien erobert
und Thaten ausgeführt, die zu den größten gehören in der Weltgeschichte; aber
anch ihn raffte der Tod vor der Zeit in Babylon dahin; er hat den Hellespont
und seine makedonische Heimat nicht wieder gesehen. Dasselbe Schicksal hatten
seine Generale und sein Heer. Waren es auch die erzürnten Geister des Meeres,
die den Alexander bewogen, die treuesten und tüchtigsten Generale aus seines
Vaters Schule hinzuwürgen? Der alte Parmenio! Sein ganzes Leben hatte
er seinen: Könige geweiht, seine Söhne in dessen Dienst geführt und in dem
jüngsten derselben, Philvtas, ihm den größten Reitergeneral gegeben. Alexander ließ
ihn in Samarknnd foltern und umbringen. Und damit sein alter Vater nicht
erführe, welch herrlichen Lohn der König seinen Söhnen für seine treuen Dienste
bereitet habe, ersparte er ihm den Schmerz, alle seine eines blutigen Todes ge¬
storbenen Söhne zu überleben, indem er an ihn nach Egbatana Meuchelmörder
ausschicken und ihn niederstoßen ließ. Ob ihm der blutige Schatten von Egbatana
nicht oft, nicht wenigstens ans seinem Sterbebette erschienen sein mag? Auch
der schwarze Krateros, der Todfeind des Philotas und wenn nicht der Urheber,
fo jedenfalls der finstere Helfershelfer bei seinem Tode, sollte sich der Heimkehr
mit den alten Veteranen nicht lange erfreuen; uur zwei Jahre nach Alexanders
Tode verlor er gegen Eumenes Schlacht und Leben. Eumenes selbst, vielleicht
der genialste Feldherr Alexanders, ward ein Opfer der Eifersucht der make¬
donischer Feldherren, die den feingebildeten Griechen haßten; sie lieferten ihn
in die Hände des Antigonos, der 301 in der Schlacht bei Jpsos fiel. Auch die
Kreuzfahrer, die den Hellespont überschritten, um das heilige Land zu erobern,
haben nur vorübergehende Erfolge erzielt, und die Herrschaft der Türken, die
über den Hellespont ans Asien nach Europa gekommen sind, hat zwar lange
genug, aber jedenfalls an: längsten gewährt. Aber merkwürdig: gerade die ver¬
hängnisvolle Wasserstraße des Hellespont trägt das meiste dazu bei, die ihnen
gewährte Galgenfrist zu verlängern.

An diesen Hellespont, der so viele Eroberer herüber und hinübergetragen und
so vielen Verderben gebracht hat, knüpft sich die romantische Erzählung von Hero
und Leander, die im Altertume allgemein bekannt war und mehr als einen Dichter
zur Bearbeitung gereizt hat. Selbst Goethe gedachte den Stoff zu bearbeiten,
ohne seinen Plan auszuführen; begreiflicherweise aber interessirte es ihn sehr,
als Schiller 1801 das Gedicht "Hero und Leander" schrieb. Wie in seinen
meisten epischen Dichtungen hat Schiller auch in diesem Gedichte einen allge-


Aber er hatte aus dem Zuge seines Vaters nichts gelernt. Vergebens baute
er eine Brücke über den Hellespont, vergebens suchte er die Dämonen des
Meeres zu versöhnen; wohl kamen seine Hnnderttnusende herüber nach Europa,
aber nur wenige sahen die Heimat wieder. Im Angesichte desselben Sundes
ward auch der verhängnisvolle peloponnesische Krieg durch die Schlacht um
Ziegenslusse beendet und die gewaltige Macht Athens zertrümmert. Alexander
der Große, der nachmals den Hellespont überschritt, hat zwar Asien erobert
und Thaten ausgeführt, die zu den größten gehören in der Weltgeschichte; aber
anch ihn raffte der Tod vor der Zeit in Babylon dahin; er hat den Hellespont
und seine makedonische Heimat nicht wieder gesehen. Dasselbe Schicksal hatten
seine Generale und sein Heer. Waren es auch die erzürnten Geister des Meeres,
die den Alexander bewogen, die treuesten und tüchtigsten Generale aus seines
Vaters Schule hinzuwürgen? Der alte Parmenio! Sein ganzes Leben hatte
er seinen: Könige geweiht, seine Söhne in dessen Dienst geführt und in dem
jüngsten derselben, Philvtas, ihm den größten Reitergeneral gegeben. Alexander ließ
ihn in Samarknnd foltern und umbringen. Und damit sein alter Vater nicht
erführe, welch herrlichen Lohn der König seinen Söhnen für seine treuen Dienste
bereitet habe, ersparte er ihm den Schmerz, alle seine eines blutigen Todes ge¬
storbenen Söhne zu überleben, indem er an ihn nach Egbatana Meuchelmörder
ausschicken und ihn niederstoßen ließ. Ob ihm der blutige Schatten von Egbatana
nicht oft, nicht wenigstens ans seinem Sterbebette erschienen sein mag? Auch
der schwarze Krateros, der Todfeind des Philotas und wenn nicht der Urheber,
fo jedenfalls der finstere Helfershelfer bei seinem Tode, sollte sich der Heimkehr
mit den alten Veteranen nicht lange erfreuen; uur zwei Jahre nach Alexanders
Tode verlor er gegen Eumenes Schlacht und Leben. Eumenes selbst, vielleicht
der genialste Feldherr Alexanders, ward ein Opfer der Eifersucht der make¬
donischer Feldherren, die den feingebildeten Griechen haßten; sie lieferten ihn
in die Hände des Antigonos, der 301 in der Schlacht bei Jpsos fiel. Auch die
Kreuzfahrer, die den Hellespont überschritten, um das heilige Land zu erobern,
haben nur vorübergehende Erfolge erzielt, und die Herrschaft der Türken, die
über den Hellespont ans Asien nach Europa gekommen sind, hat zwar lange
genug, aber jedenfalls an: längsten gewährt. Aber merkwürdig: gerade die ver¬
hängnisvolle Wasserstraße des Hellespont trägt das meiste dazu bei, die ihnen
gewährte Galgenfrist zu verlängern.

An diesen Hellespont, der so viele Eroberer herüber und hinübergetragen und
so vielen Verderben gebracht hat, knüpft sich die romantische Erzählung von Hero
und Leander, die im Altertume allgemein bekannt war und mehr als einen Dichter
zur Bearbeitung gereizt hat. Selbst Goethe gedachte den Stoff zu bearbeiten,
ohne seinen Plan auszuführen; begreiflicherweise aber interessirte es ihn sehr,
als Schiller 1801 das Gedicht „Hero und Leander" schrieb. Wie in seinen
meisten epischen Dichtungen hat Schiller auch in diesem Gedichte einen allge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/420>, abgerufen am 01.07.2024.