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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Bismarck während des Krimkrieges.

italienische Frage jetzt vorzugsweise. Die Krankheit der dortigen Zustände, der
Ehrgeiz Sardiniens, die bonapartistischen und marxistischen Reminiszenzen, die
eorsische Landsmannschaft bieten dem "ältesten Sohne der römischen Kirche" viel¬
seitige Anknüpfungspunkte, der Haß gegen die Fürsten und die Österreicher ebnet
ihm die Wege, während er in Deutschland vou unsrer räuberischen und feigen
Demokratie gar keinen und von den Fürsten erst dann Beistand zu erwarten
hätte, wenn er ohnehin der Stärkere wäre. . . .

Wahrscheinlich werden sich nun politische Gruppirungen bilden, deren Be¬
deutung und Einfluß schließlich auf dem Hintergedanken der Möglichkeit eines
Krieges unter einer bestimmten Konstellation von Bündnissen beruht. Eine nähere
Verbindung Frankreichs mit Rußland in diesem Sinne ist gegenwärtig zu natür¬
lich, als daß man sie nicht erwarten sollte; es sind diese beiden diejenigen unter
den Großmächten, welche nach ihrer geographischen Lage und ihren politischen
Zielen die wenigsten Elemente der Zwietracht in sich tragen, da sie so gut wie
keine notwendig kollidirenden Interessen haben. Bisher hat die Festigkeit der
heiligen Allianz und die Abneigung des Kaisers Nikolaus gegen die Orleans beide
in der Entfremdung von einander erhalten, aber der jetzt beendete Krieg sogar
wurde ohne Haß geführt und diente mehr den inneren als den auswärtigen
Bedürfnissen Frankreichs. Nachdem die Orleans beseitigt, der Kaiser Nikolaus
tot und die heilige Allianz gesprengt ist, sehe ich nichts, was den natürlichen
Zug jener beiden Staaten zu einander hemmen sollte. . . .

Zur Zeit des Fürsten Schwarzenberg war viel von dem Plane die Rede,
Österreich mit Rußland und Frankreich gegen Preußen und England zu ver¬
binden. Bei der gegenwärtigen Stimmung der Russen gegen Österreich und bei
den gesteigerte" Ansprüchen Frankreichs auf Einfluß in Italien läßt sich nicht
annehmen, daß Österreich von Haus aus berufen sein werde, als dritter im
Bunde zu figuriren, obschon es ihm an dem guten Willen dazu nicht fehlen
dürfte. Österreich wird vielmehr die Gescchren, welche aus dem Zusammenhalten
Rußlands und Frankreichs für das übrige Europa entstehen können, zu teilen
haben und muß sie durch rechtzeitige Opfer abwenden, indem es etwa Konzes¬
sionen in Italien gegen Vorteile in Deutschland macht, oder es muß sich durch
Bündnisse zur Abwehr stärken. Ich glaube, daß es den ersteren Ausweg vor¬
zieht, indem es vielleicht gleichzeitig Rußlands Vertrauen durch einen Personal-
Wechsel im Ministerium wiederzugewinnen sucht. Vou unserm und Englands
Beistande wird es sich nur im äußersten Notfalle abhängig machen wollen. ...
Es wird die Partei der Germanen für zu schwach halten, um mit ihr zu gehe",
und, wie mir scheint, nicht mit Unrecht. Wenn sich erwarten ließe, daß in einem
derartigen Kriege Preußen, Österreich, der deutsche Bund und England ihre
vollen Kräfte ehrlich, einig und vertrauensvoll zusammenwirken ließen, so wäre
es Feigheit, am Siege zu verzweifeln. So aber stehen die Sachen nicht. Ich
will annehmen, daß England entschlossen zu uus steht, und daß es ihm trotz


Bismarck während des Krimkrieges.

italienische Frage jetzt vorzugsweise. Die Krankheit der dortigen Zustände, der
Ehrgeiz Sardiniens, die bonapartistischen und marxistischen Reminiszenzen, die
eorsische Landsmannschaft bieten dem »ältesten Sohne der römischen Kirche« viel¬
seitige Anknüpfungspunkte, der Haß gegen die Fürsten und die Österreicher ebnet
ihm die Wege, während er in Deutschland vou unsrer räuberischen und feigen
Demokratie gar keinen und von den Fürsten erst dann Beistand zu erwarten
hätte, wenn er ohnehin der Stärkere wäre. . . .

Wahrscheinlich werden sich nun politische Gruppirungen bilden, deren Be¬
deutung und Einfluß schließlich auf dem Hintergedanken der Möglichkeit eines
Krieges unter einer bestimmten Konstellation von Bündnissen beruht. Eine nähere
Verbindung Frankreichs mit Rußland in diesem Sinne ist gegenwärtig zu natür¬
lich, als daß man sie nicht erwarten sollte; es sind diese beiden diejenigen unter
den Großmächten, welche nach ihrer geographischen Lage und ihren politischen
Zielen die wenigsten Elemente der Zwietracht in sich tragen, da sie so gut wie
keine notwendig kollidirenden Interessen haben. Bisher hat die Festigkeit der
heiligen Allianz und die Abneigung des Kaisers Nikolaus gegen die Orleans beide
in der Entfremdung von einander erhalten, aber der jetzt beendete Krieg sogar
wurde ohne Haß geführt und diente mehr den inneren als den auswärtigen
Bedürfnissen Frankreichs. Nachdem die Orleans beseitigt, der Kaiser Nikolaus
tot und die heilige Allianz gesprengt ist, sehe ich nichts, was den natürlichen
Zug jener beiden Staaten zu einander hemmen sollte. . . .

Zur Zeit des Fürsten Schwarzenberg war viel von dem Plane die Rede,
Österreich mit Rußland und Frankreich gegen Preußen und England zu ver¬
binden. Bei der gegenwärtigen Stimmung der Russen gegen Österreich und bei
den gesteigerte» Ansprüchen Frankreichs auf Einfluß in Italien läßt sich nicht
annehmen, daß Österreich von Haus aus berufen sein werde, als dritter im
Bunde zu figuriren, obschon es ihm an dem guten Willen dazu nicht fehlen
dürfte. Österreich wird vielmehr die Gescchren, welche aus dem Zusammenhalten
Rußlands und Frankreichs für das übrige Europa entstehen können, zu teilen
haben und muß sie durch rechtzeitige Opfer abwenden, indem es etwa Konzes¬
sionen in Italien gegen Vorteile in Deutschland macht, oder es muß sich durch
Bündnisse zur Abwehr stärken. Ich glaube, daß es den ersteren Ausweg vor¬
zieht, indem es vielleicht gleichzeitig Rußlands Vertrauen durch einen Personal-
Wechsel im Ministerium wiederzugewinnen sucht. Vou unserm und Englands
Beistande wird es sich nur im äußersten Notfalle abhängig machen wollen. ...
Es wird die Partei der Germanen für zu schwach halten, um mit ihr zu gehe»,
und, wie mir scheint, nicht mit Unrecht. Wenn sich erwarten ließe, daß in einem
derartigen Kriege Preußen, Österreich, der deutsche Bund und England ihre
vollen Kräfte ehrlich, einig und vertrauensvoll zusammenwirken ließen, so wäre
es Feigheit, am Siege zu verzweifeln. So aber stehen die Sachen nicht. Ich
will annehmen, daß England entschlossen zu uus steht, und daß es ihm trotz


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[0398] Bismarck während des Krimkrieges. italienische Frage jetzt vorzugsweise. Die Krankheit der dortigen Zustände, der Ehrgeiz Sardiniens, die bonapartistischen und marxistischen Reminiszenzen, die eorsische Landsmannschaft bieten dem »ältesten Sohne der römischen Kirche« viel¬ seitige Anknüpfungspunkte, der Haß gegen die Fürsten und die Österreicher ebnet ihm die Wege, während er in Deutschland vou unsrer räuberischen und feigen Demokratie gar keinen und von den Fürsten erst dann Beistand zu erwarten hätte, wenn er ohnehin der Stärkere wäre. . . . Wahrscheinlich werden sich nun politische Gruppirungen bilden, deren Be¬ deutung und Einfluß schließlich auf dem Hintergedanken der Möglichkeit eines Krieges unter einer bestimmten Konstellation von Bündnissen beruht. Eine nähere Verbindung Frankreichs mit Rußland in diesem Sinne ist gegenwärtig zu natür¬ lich, als daß man sie nicht erwarten sollte; es sind diese beiden diejenigen unter den Großmächten, welche nach ihrer geographischen Lage und ihren politischen Zielen die wenigsten Elemente der Zwietracht in sich tragen, da sie so gut wie keine notwendig kollidirenden Interessen haben. Bisher hat die Festigkeit der heiligen Allianz und die Abneigung des Kaisers Nikolaus gegen die Orleans beide in der Entfremdung von einander erhalten, aber der jetzt beendete Krieg sogar wurde ohne Haß geführt und diente mehr den inneren als den auswärtigen Bedürfnissen Frankreichs. Nachdem die Orleans beseitigt, der Kaiser Nikolaus tot und die heilige Allianz gesprengt ist, sehe ich nichts, was den natürlichen Zug jener beiden Staaten zu einander hemmen sollte. . . . Zur Zeit des Fürsten Schwarzenberg war viel von dem Plane die Rede, Österreich mit Rußland und Frankreich gegen Preußen und England zu ver¬ binden. Bei der gegenwärtigen Stimmung der Russen gegen Österreich und bei den gesteigerte» Ansprüchen Frankreichs auf Einfluß in Italien läßt sich nicht annehmen, daß Österreich von Haus aus berufen sein werde, als dritter im Bunde zu figuriren, obschon es ihm an dem guten Willen dazu nicht fehlen dürfte. Österreich wird vielmehr die Gescchren, welche aus dem Zusammenhalten Rußlands und Frankreichs für das übrige Europa entstehen können, zu teilen haben und muß sie durch rechtzeitige Opfer abwenden, indem es etwa Konzes¬ sionen in Italien gegen Vorteile in Deutschland macht, oder es muß sich durch Bündnisse zur Abwehr stärken. Ich glaube, daß es den ersteren Ausweg vor¬ zieht, indem es vielleicht gleichzeitig Rußlands Vertrauen durch einen Personal- Wechsel im Ministerium wiederzugewinnen sucht. Vou unserm und Englands Beistande wird es sich nur im äußersten Notfalle abhängig machen wollen. ... Es wird die Partei der Germanen für zu schwach halten, um mit ihr zu gehe», und, wie mir scheint, nicht mit Unrecht. Wenn sich erwarten ließe, daß in einem derartigen Kriege Preußen, Österreich, der deutsche Bund und England ihre vollen Kräfte ehrlich, einig und vertrauensvoll zusammenwirken ließen, so wäre es Feigheit, am Siege zu verzweifeln. So aber stehen die Sachen nicht. Ich will annehmen, daß England entschlossen zu uus steht, und daß es ihm trotz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/398>, abgerufen am 24.08.2024.