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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

digung für die Zunge ist, daß sie keine" Glauben verlangt und weiß, daß sie
keinen Glauben findet. Sie spricht vielleicht uur diplomatisch. Aber diploma¬
tisch reden heißt unrecht reden. Besser die Wahrheit. Hütte Julia gewußt, daß
ihre Worte August hinterbracht werden würden, so hätte sie sich gewiß lieber
die Zunge abgebissen, als daß sie ihr erlaubt Hütte, Worte zu üußern, die nur
der Aufschrei ihres verwundeten Stolzes waren. Natürlich begegnete Betsey
August schon am nächsten Morgen aus der Straße in einer stillen Senkung am
Bache und teilte ihm mitleidsvoll, fast liebevoll, mit, daß sie begonnen habe,
mit Julien über ihn zu sprechen, daß Julchen aber gesagt, er würe ihr einerlei.
So sprach Julia, als sie eine Lüge äußerte, die Wahrheit, und Betsey, als sie
die Wahrheit sagte, eine absichtliche, boshafte und niederträchtige Lüge.

Nun hatte in der Zwischenzeit Julia ihrerseits einen Weg zu gegenseitige"
Mitteilungen zu eröffnen versucht, und zwar durch den einzigen Kanal, der sich
ihr darbot. Sie dachte dabei nicht um die Vermittlung Betseys, weil sie als
Weib instinktmäßig fühlte, daß auf Betsey kein Verlaß war. Aber es gab noch
einen, mit dem ihr ohne Bewachung der strengsten Art zu sprechen erlaubt war.
Dies war Herr Humphreys. Er legte ein stetiges Interesse an ihren Ange¬
legenheiten an den Tag, versicherte, daß er allezeit den romantischen Wunsch
hege, passende Leute mit einander zu verewigen, wenn es auch seinem Herzen
ein wenig weh thue, sehen zu müssen, wie ein andrer glücklicher sei als er selbst.
Julia hatte alle Hoffnung aufgegeben, mit August sich brieflich zu verstündigeu,
nud sie konnte sich nicht entschließen, einem Manne mit einem solchen Lücheln
und solchen Augen irgendwelche Gestündnisse zu machen, aber ans den gro߬
mütiger Vorschlag des Herrn Humphreys, er wolle August aufsuchen nud den
Weg zu einem Verkehr zwischen ihnen öffnen, ging sie bereitwillig ein lind ver¬
barg dabei kaum, wie sehr die Sache ihr am Herzen lag.

August war nicht in der Stimmung, Humphreys freundlich zu empfangen.
Er haßte ihn auf den ersten Blick, und Vetseys Versicherungen, daß er mit
Julien Fortschritte mache, hatten bei ihm auch gerade keine Zuneigung zu ihm
hervorgerufen. August saß rittlings auf einem Sacke mit Mais, deu er nach
der Mühle fuhr, als Humphreys, der eiuen Spaziergang machte, ihm be^
gegnete.

Ein schöner Tag, Herr Weste.

In, sagte Angust mit einer Verbeugung, so mechanisch wie Humphreys'
Lücheln.

Den Gesanglehrer freute es eher, als daß es ihn verdrossen Hütte, zu sehen,
daß August ihm nicht grün war. Es paßte gerade jetzt zu seiner Absicht, Weste
zu verleiten, etwas zu sagen, was er unter andern Umstünden nicht gesagt
haben würde.

Ich höre, Sie sind in einer üblen Lage, fuhr er fort.

Wieso?


Der jüngste Tag.

digung für die Zunge ist, daß sie keine» Glauben verlangt und weiß, daß sie
keinen Glauben findet. Sie spricht vielleicht uur diplomatisch. Aber diploma¬
tisch reden heißt unrecht reden. Besser die Wahrheit. Hütte Julia gewußt, daß
ihre Worte August hinterbracht werden würden, so hätte sie sich gewiß lieber
die Zunge abgebissen, als daß sie ihr erlaubt Hütte, Worte zu üußern, die nur
der Aufschrei ihres verwundeten Stolzes waren. Natürlich begegnete Betsey
August schon am nächsten Morgen aus der Straße in einer stillen Senkung am
Bache und teilte ihm mitleidsvoll, fast liebevoll, mit, daß sie begonnen habe,
mit Julien über ihn zu sprechen, daß Julchen aber gesagt, er würe ihr einerlei.
So sprach Julia, als sie eine Lüge äußerte, die Wahrheit, und Betsey, als sie
die Wahrheit sagte, eine absichtliche, boshafte und niederträchtige Lüge.

Nun hatte in der Zwischenzeit Julia ihrerseits einen Weg zu gegenseitige»
Mitteilungen zu eröffnen versucht, und zwar durch den einzigen Kanal, der sich
ihr darbot. Sie dachte dabei nicht um die Vermittlung Betseys, weil sie als
Weib instinktmäßig fühlte, daß auf Betsey kein Verlaß war. Aber es gab noch
einen, mit dem ihr ohne Bewachung der strengsten Art zu sprechen erlaubt war.
Dies war Herr Humphreys. Er legte ein stetiges Interesse an ihren Ange¬
legenheiten an den Tag, versicherte, daß er allezeit den romantischen Wunsch
hege, passende Leute mit einander zu verewigen, wenn es auch seinem Herzen
ein wenig weh thue, sehen zu müssen, wie ein andrer glücklicher sei als er selbst.
Julia hatte alle Hoffnung aufgegeben, mit August sich brieflich zu verstündigeu,
nud sie konnte sich nicht entschließen, einem Manne mit einem solchen Lücheln
und solchen Augen irgendwelche Gestündnisse zu machen, aber ans den gro߬
mütiger Vorschlag des Herrn Humphreys, er wolle August aufsuchen nud den
Weg zu einem Verkehr zwischen ihnen öffnen, ging sie bereitwillig ein lind ver¬
barg dabei kaum, wie sehr die Sache ihr am Herzen lag.

August war nicht in der Stimmung, Humphreys freundlich zu empfangen.
Er haßte ihn auf den ersten Blick, und Vetseys Versicherungen, daß er mit
Julien Fortschritte mache, hatten bei ihm auch gerade keine Zuneigung zu ihm
hervorgerufen. August saß rittlings auf einem Sacke mit Mais, deu er nach
der Mühle fuhr, als Humphreys, der eiuen Spaziergang machte, ihm be^
gegnete.

Ein schöner Tag, Herr Weste.

In, sagte Angust mit einer Verbeugung, so mechanisch wie Humphreys'
Lücheln.

Den Gesanglehrer freute es eher, als daß es ihn verdrossen Hütte, zu sehen,
daß August ihm nicht grün war. Es paßte gerade jetzt zu seiner Absicht, Weste
zu verleiten, etwas zu sagen, was er unter andern Umstünden nicht gesagt
haben würde.

Ich höre, Sie sind in einer üblen Lage, fuhr er fort.

Wieso?


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[0386] Der jüngste Tag. digung für die Zunge ist, daß sie keine» Glauben verlangt und weiß, daß sie keinen Glauben findet. Sie spricht vielleicht uur diplomatisch. Aber diploma¬ tisch reden heißt unrecht reden. Besser die Wahrheit. Hütte Julia gewußt, daß ihre Worte August hinterbracht werden würden, so hätte sie sich gewiß lieber die Zunge abgebissen, als daß sie ihr erlaubt Hütte, Worte zu üußern, die nur der Aufschrei ihres verwundeten Stolzes waren. Natürlich begegnete Betsey August schon am nächsten Morgen aus der Straße in einer stillen Senkung am Bache und teilte ihm mitleidsvoll, fast liebevoll, mit, daß sie begonnen habe, mit Julien über ihn zu sprechen, daß Julchen aber gesagt, er würe ihr einerlei. So sprach Julia, als sie eine Lüge äußerte, die Wahrheit, und Betsey, als sie die Wahrheit sagte, eine absichtliche, boshafte und niederträchtige Lüge. Nun hatte in der Zwischenzeit Julia ihrerseits einen Weg zu gegenseitige» Mitteilungen zu eröffnen versucht, und zwar durch den einzigen Kanal, der sich ihr darbot. Sie dachte dabei nicht um die Vermittlung Betseys, weil sie als Weib instinktmäßig fühlte, daß auf Betsey kein Verlaß war. Aber es gab noch einen, mit dem ihr ohne Bewachung der strengsten Art zu sprechen erlaubt war. Dies war Herr Humphreys. Er legte ein stetiges Interesse an ihren Ange¬ legenheiten an den Tag, versicherte, daß er allezeit den romantischen Wunsch hege, passende Leute mit einander zu verewigen, wenn es auch seinem Herzen ein wenig weh thue, sehen zu müssen, wie ein andrer glücklicher sei als er selbst. Julia hatte alle Hoffnung aufgegeben, mit August sich brieflich zu verstündigeu, nud sie konnte sich nicht entschließen, einem Manne mit einem solchen Lücheln und solchen Augen irgendwelche Gestündnisse zu machen, aber ans den gro߬ mütiger Vorschlag des Herrn Humphreys, er wolle August aufsuchen nud den Weg zu einem Verkehr zwischen ihnen öffnen, ging sie bereitwillig ein lind ver¬ barg dabei kaum, wie sehr die Sache ihr am Herzen lag. August war nicht in der Stimmung, Humphreys freundlich zu empfangen. Er haßte ihn auf den ersten Blick, und Vetseys Versicherungen, daß er mit Julien Fortschritte mache, hatten bei ihm auch gerade keine Zuneigung zu ihm hervorgerufen. August saß rittlings auf einem Sacke mit Mais, deu er nach der Mühle fuhr, als Humphreys, der eiuen Spaziergang machte, ihm be^ gegnete. Ein schöner Tag, Herr Weste. In, sagte Angust mit einer Verbeugung, so mechanisch wie Humphreys' Lücheln. Den Gesanglehrer freute es eher, als daß es ihn verdrossen Hütte, zu sehen, daß August ihm nicht grün war. Es paßte gerade jetzt zu seiner Absicht, Weste zu verleiten, etwas zu sagen, was er unter andern Umstünden nicht gesagt haben würde. Ich höre, Sie sind in einer üblen Lage, fuhr er fort. Wieso?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/386>, abgerufen am 22.07.2024.