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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

that, als ob sie ihm etwas "von Julchen" zu erzählen Hütte, und die doch aus
reinem Wohlgefallen am Schadenstiften sich bemühte, ihn so gering als möglich
von Juliens Aufrichtigkeit denken zu machen, und ans reinem Wohlgefallen an
Liebelei ihre roten Lippen kräuselte und mit ihren sinnlichen Augen nach ihm
Blitze warf, seufzte und errötete oder vielmehr bis über die Ohren rot winde,
während sie ihm ihr Mitleid und ihre Teilnahme in einer Weise zu erkennen
gab, die ihm hätte gefährlich werden können, wenn er ein Amerikaner und nicht
ein beständig liebender "Dntchman" gewesen und uicht ganz im Bilde Juliens
aufgegangen wäre. Aber was die Vermittlung von Botschaften betrifft, war
Betsey sicher ein Nichtleiter. Sie erklärte ihm, daß sie durchaus nicht imstande
sei, mit einer seiner Mitteilungen die Blockade zu brechen. Sie sagte sich, sie
werde sich hüten, Julien Anderson zu helfen, daß sie alle hübschen jungen Herren
für sich behielte. Sie gedachte sich einen oder den andern von ihnen für ihren
Gebrauch einzufangen, wenn es anginge. Und in der That, sie ließ sich nicht
träumen, welch schweres Unheil sie damit anrichtete. Denn sie war nicht fähig,
in der Sache ein anderes Gefühl als Eitelkeit zu würdigen, und so sah sie kein
besonderes Unrecht darin, wenn sie "Julia Anderson einen Pflock tiefer steckte."
So versicherte sie dein angsterfüllter und schon mißtrauischen August. wenn sie
an seiner Stelle wäre, so würde sie sich diesen Singelehrer aus dem Wege wünschen.
Manche Mädchen können nun einmal Leuten nicht widerstehen, die Goldsachen
und Schnurrbärte und Strippen und dergleichen Dinge tragen. Und Herr
Hinnphreys nimmt sich ihrer sehr an, läßt sie abends nicht zu lange in der
Veranda sitzen und weiß ihr allerhand angenehmes zu sagen, wenn sie miteinander
plaudern. Und ihr scheint das zu behagen. Ich will Ihnen sagen, wie die
Sache steht, August -- damit warf sie ihm einen so berückenden Blick zu, daß
der reine und feinfühlende August, er konnte sich kaum Rechenschaft geben, wes¬
halb, errötete -- ich sage Ihnen, Julie ist ein nettes Mädchen und hat ein
nettes Vermögen zu erwarten, und ich hoffe, sie wirds nicht wie ihre Mutter
machen. Und in der That, ich kann das kaum von ihr glauben, obwohl die
Art und Weise, wie sie diesen Humphreys anängelt, mich toll macht. Sie hatte
den alten Zweifel angedeutet. Ein Zweifel aber ist gefährlich, wenn sein Ge¬
sicht zu einen: wohlbekannten wird, und man bemerkt, daß "Monsieur Tonson
wieder da ist."

Und alle die Botschaft, welche die uneigennützige und wohlwollende Betsey
Julien überbrachte, bestand darin, daß sie ihr jubelnd erzählte, August habe sie
zweimal nach Hause begleitet, und es wäre für sie beide ganz allerliebst gewesen.
Und Julia -- sie müßte ja kein Mädchen gewesen sein -- erklärte entrüstet,
es wäre ihr ganz und gar einerlei, mit wem er nach Hause gegangen wäre,
obwohl es ihr in Wahrheit sehr zweierlei war, und ihre Augen und ihre Miene
das aussprachen. So lügt die Zunge bisweilen -- oder scheint zu lügen --,
während der ganze übrige Mensch die Wahrheit spricht. Die einzige Eutschul-


Grenzboten III. 1882. 48
Der jüngste Tag.

that, als ob sie ihm etwas „von Julchen" zu erzählen Hütte, und die doch aus
reinem Wohlgefallen am Schadenstiften sich bemühte, ihn so gering als möglich
von Juliens Aufrichtigkeit denken zu machen, und ans reinem Wohlgefallen an
Liebelei ihre roten Lippen kräuselte und mit ihren sinnlichen Augen nach ihm
Blitze warf, seufzte und errötete oder vielmehr bis über die Ohren rot winde,
während sie ihm ihr Mitleid und ihre Teilnahme in einer Weise zu erkennen
gab, die ihm hätte gefährlich werden können, wenn er ein Amerikaner und nicht
ein beständig liebender „Dntchman" gewesen und uicht ganz im Bilde Juliens
aufgegangen wäre. Aber was die Vermittlung von Botschaften betrifft, war
Betsey sicher ein Nichtleiter. Sie erklärte ihm, daß sie durchaus nicht imstande
sei, mit einer seiner Mitteilungen die Blockade zu brechen. Sie sagte sich, sie
werde sich hüten, Julien Anderson zu helfen, daß sie alle hübschen jungen Herren
für sich behielte. Sie gedachte sich einen oder den andern von ihnen für ihren
Gebrauch einzufangen, wenn es anginge. Und in der That, sie ließ sich nicht
träumen, welch schweres Unheil sie damit anrichtete. Denn sie war nicht fähig,
in der Sache ein anderes Gefühl als Eitelkeit zu würdigen, und so sah sie kein
besonderes Unrecht darin, wenn sie „Julia Anderson einen Pflock tiefer steckte."
So versicherte sie dein angsterfüllter und schon mißtrauischen August. wenn sie
an seiner Stelle wäre, so würde sie sich diesen Singelehrer aus dem Wege wünschen.
Manche Mädchen können nun einmal Leuten nicht widerstehen, die Goldsachen
und Schnurrbärte und Strippen und dergleichen Dinge tragen. Und Herr
Hinnphreys nimmt sich ihrer sehr an, läßt sie abends nicht zu lange in der
Veranda sitzen und weiß ihr allerhand angenehmes zu sagen, wenn sie miteinander
plaudern. Und ihr scheint das zu behagen. Ich will Ihnen sagen, wie die
Sache steht, August — damit warf sie ihm einen so berückenden Blick zu, daß
der reine und feinfühlende August, er konnte sich kaum Rechenschaft geben, wes¬
halb, errötete — ich sage Ihnen, Julie ist ein nettes Mädchen und hat ein
nettes Vermögen zu erwarten, und ich hoffe, sie wirds nicht wie ihre Mutter
machen. Und in der That, ich kann das kaum von ihr glauben, obwohl die
Art und Weise, wie sie diesen Humphreys anängelt, mich toll macht. Sie hatte
den alten Zweifel angedeutet. Ein Zweifel aber ist gefährlich, wenn sein Ge¬
sicht zu einen: wohlbekannten wird, und man bemerkt, daß „Monsieur Tonson
wieder da ist."

Und alle die Botschaft, welche die uneigennützige und wohlwollende Betsey
Julien überbrachte, bestand darin, daß sie ihr jubelnd erzählte, August habe sie
zweimal nach Hause begleitet, und es wäre für sie beide ganz allerliebst gewesen.
Und Julia — sie müßte ja kein Mädchen gewesen sein — erklärte entrüstet,
es wäre ihr ganz und gar einerlei, mit wem er nach Hause gegangen wäre,
obwohl es ihr in Wahrheit sehr zweierlei war, und ihre Augen und ihre Miene
das aussprachen. So lügt die Zunge bisweilen — oder scheint zu lügen —,
während der ganze übrige Mensch die Wahrheit spricht. Die einzige Eutschul-


Grenzboten III. 1882. 48
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/385>, abgerufen am 03.07.2024.