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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ursprung und Entwicklung der ägyptischen Krisis.

Der durch alle diese Maßnahmen erregte Haß kehrte sich zunächst gegen
Tewfik, das Werkzeug der fremden Ausbeuter. Die allgemeine Unzufriedenheit
gab sich wiederholt, namentlich durch kleine Militäranfstände, kund, und am
8. September vorigen Jahres brach in Kairo eine große Meuterei der Garnison
gegen den Chedive ans, um welcher sich die Obersten mehrerer Regimenter be¬
teiligten, und an deren Spitze der Befehlshaber des vierten Regiments Achmed
Arabi stand. Tewfik wurde gezwungen, sein Ministerium zu entlassen nud ein
neues unter Scherif Pascha zu ernennen. Weiter forderten die Führer der
Aufständischen Vermehrung der Truppen und eine konstitutionelle Verfassung,
Willigten aber schließlich darein, die Entscheidung über diese Punkte der Pforte
zu überlassen. Der neue Premier Scherif Pascha genügte der Nationalpartei
bald nicht mehr, und Arabi gewann täglich mehr Ansehen und Einfluß, zumal
er außer dein größten Teile der Offiziere und Soldaten als frommer Muslim
auch die Alcan sich gewann. Noch mehr stieg seine Macht infolge einer Ver¬
schwörung tscherkessischer Offiziere gegen ihn, die entdeckt wurde, über die aber
nichts bestimmtes in die Öffentlichkeit gedrungen ist, sodaß man nnr mit dem
"Vaterland" vermuten kann, diese fremden Elemente hätten sich gegen die ara¬
bischen zu wenden gedacht, und Tewfik habe sich auf sie gestützt. Arabi ließ
die Tscherkessen vor ein Kriegsgericht stellen und verurteilen.

Hier mischten sich die Vertreter der Westmächte abermals in ungerecht¬
fertigter Weise ein, indem sie den Chedive veranlaßten, die Verschwörer zu be¬
gnadigen. Dieselben verließen das Land und begaben sich nach Konstantinopel.
Die Intervention des Auslandes und die Schwäche Tewfiks ihr gegenüber
brachten die Nationalpartei aufs neue gegen den letzteren auf. Arabi, der jetzt
das Oberkommando über die Armee führte, und das Ministerium beriefen ohne
Einwilligung des Landesherrn die Nvtabelnvcrsammlung ein, die sehr bald in
scharfen Konflikt mit den wcstmächtlichen Generalkontroleureu geriet, vou welchen
ihr und dem Ministerium namentlich Vligniöres mit größter Schroffheit gegen-
ubertrat. Dieser und sein englischer Kollege forderten kraft ihrer Vollmacht das
Recht, in alle öffentlichen Dienstzweige einzugreifen, um die Finnuzverwaltuug
vollständig überwachen und die Ansprüche der Gläubiger der Staatsschuld mög¬
lichst wahren zu können. Das ägyptische Ministerium dagegen gestand den
Kontroleuren nnr eine Einmischung in die Fragen zu, welche mit der auswär¬
tigen Schuld zusammenhingen, über alle andern sollte die Notabelnversammlnng
allein entscheiden. Da man dabei verharrte, legte Vligniöres seine Stelle nieder.

Darauf neuer Einspruch der westmächtlichen Konsuln und Drohungen der¬
selben mit Gewaltschritten. Am 17. Mai gaben sie die Erklärung ab, nächstens
werde eine englisch-französische Panzerflotte vor Alexandrien erscheinen, und nach
Eintreffen derselben würden sie die Beurlaubung der ägyptischen Armee und die
Bestrafung der Generale derselben fordern. Zu keinem dieser Schritte waren
die Westmächte völkerrechtlich befugt, da sie uicht im Kriege mit Ägypten oder


Ursprung und Entwicklung der ägyptischen Krisis.

Der durch alle diese Maßnahmen erregte Haß kehrte sich zunächst gegen
Tewfik, das Werkzeug der fremden Ausbeuter. Die allgemeine Unzufriedenheit
gab sich wiederholt, namentlich durch kleine Militäranfstände, kund, und am
8. September vorigen Jahres brach in Kairo eine große Meuterei der Garnison
gegen den Chedive ans, um welcher sich die Obersten mehrerer Regimenter be¬
teiligten, und an deren Spitze der Befehlshaber des vierten Regiments Achmed
Arabi stand. Tewfik wurde gezwungen, sein Ministerium zu entlassen nud ein
neues unter Scherif Pascha zu ernennen. Weiter forderten die Führer der
Aufständischen Vermehrung der Truppen und eine konstitutionelle Verfassung,
Willigten aber schließlich darein, die Entscheidung über diese Punkte der Pforte
zu überlassen. Der neue Premier Scherif Pascha genügte der Nationalpartei
bald nicht mehr, und Arabi gewann täglich mehr Ansehen und Einfluß, zumal
er außer dein größten Teile der Offiziere und Soldaten als frommer Muslim
auch die Alcan sich gewann. Noch mehr stieg seine Macht infolge einer Ver¬
schwörung tscherkessischer Offiziere gegen ihn, die entdeckt wurde, über die aber
nichts bestimmtes in die Öffentlichkeit gedrungen ist, sodaß man nnr mit dem
„Vaterland" vermuten kann, diese fremden Elemente hätten sich gegen die ara¬
bischen zu wenden gedacht, und Tewfik habe sich auf sie gestützt. Arabi ließ
die Tscherkessen vor ein Kriegsgericht stellen und verurteilen.

Hier mischten sich die Vertreter der Westmächte abermals in ungerecht¬
fertigter Weise ein, indem sie den Chedive veranlaßten, die Verschwörer zu be¬
gnadigen. Dieselben verließen das Land und begaben sich nach Konstantinopel.
Die Intervention des Auslandes und die Schwäche Tewfiks ihr gegenüber
brachten die Nationalpartei aufs neue gegen den letzteren auf. Arabi, der jetzt
das Oberkommando über die Armee führte, und das Ministerium beriefen ohne
Einwilligung des Landesherrn die Nvtabelnvcrsammlung ein, die sehr bald in
scharfen Konflikt mit den wcstmächtlichen Generalkontroleureu geriet, vou welchen
ihr und dem Ministerium namentlich Vligniöres mit größter Schroffheit gegen-
ubertrat. Dieser und sein englischer Kollege forderten kraft ihrer Vollmacht das
Recht, in alle öffentlichen Dienstzweige einzugreifen, um die Finnuzverwaltuug
vollständig überwachen und die Ansprüche der Gläubiger der Staatsschuld mög¬
lichst wahren zu können. Das ägyptische Ministerium dagegen gestand den
Kontroleuren nnr eine Einmischung in die Fragen zu, welche mit der auswär¬
tigen Schuld zusammenhingen, über alle andern sollte die Notabelnversammlnng
allein entscheiden. Da man dabei verharrte, legte Vligniöres seine Stelle nieder.

Darauf neuer Einspruch der westmächtlichen Konsuln und Drohungen der¬
selben mit Gewaltschritten. Am 17. Mai gaben sie die Erklärung ab, nächstens
werde eine englisch-französische Panzerflotte vor Alexandrien erscheinen, und nach
Eintreffen derselben würden sie die Beurlaubung der ägyptischen Armee und die
Bestrafung der Generale derselben fordern. Zu keinem dieser Schritte waren
die Westmächte völkerrechtlich befugt, da sie uicht im Kriege mit Ägypten oder


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[0375] Ursprung und Entwicklung der ägyptischen Krisis. Der durch alle diese Maßnahmen erregte Haß kehrte sich zunächst gegen Tewfik, das Werkzeug der fremden Ausbeuter. Die allgemeine Unzufriedenheit gab sich wiederholt, namentlich durch kleine Militäranfstände, kund, und am 8. September vorigen Jahres brach in Kairo eine große Meuterei der Garnison gegen den Chedive ans, um welcher sich die Obersten mehrerer Regimenter be¬ teiligten, und an deren Spitze der Befehlshaber des vierten Regiments Achmed Arabi stand. Tewfik wurde gezwungen, sein Ministerium zu entlassen nud ein neues unter Scherif Pascha zu ernennen. Weiter forderten die Führer der Aufständischen Vermehrung der Truppen und eine konstitutionelle Verfassung, Willigten aber schließlich darein, die Entscheidung über diese Punkte der Pforte zu überlassen. Der neue Premier Scherif Pascha genügte der Nationalpartei bald nicht mehr, und Arabi gewann täglich mehr Ansehen und Einfluß, zumal er außer dein größten Teile der Offiziere und Soldaten als frommer Muslim auch die Alcan sich gewann. Noch mehr stieg seine Macht infolge einer Ver¬ schwörung tscherkessischer Offiziere gegen ihn, die entdeckt wurde, über die aber nichts bestimmtes in die Öffentlichkeit gedrungen ist, sodaß man nnr mit dem „Vaterland" vermuten kann, diese fremden Elemente hätten sich gegen die ara¬ bischen zu wenden gedacht, und Tewfik habe sich auf sie gestützt. Arabi ließ die Tscherkessen vor ein Kriegsgericht stellen und verurteilen. Hier mischten sich die Vertreter der Westmächte abermals in ungerecht¬ fertigter Weise ein, indem sie den Chedive veranlaßten, die Verschwörer zu be¬ gnadigen. Dieselben verließen das Land und begaben sich nach Konstantinopel. Die Intervention des Auslandes und die Schwäche Tewfiks ihr gegenüber brachten die Nationalpartei aufs neue gegen den letzteren auf. Arabi, der jetzt das Oberkommando über die Armee führte, und das Ministerium beriefen ohne Einwilligung des Landesherrn die Nvtabelnvcrsammlung ein, die sehr bald in scharfen Konflikt mit den wcstmächtlichen Generalkontroleureu geriet, vou welchen ihr und dem Ministerium namentlich Vligniöres mit größter Schroffheit gegen- ubertrat. Dieser und sein englischer Kollege forderten kraft ihrer Vollmacht das Recht, in alle öffentlichen Dienstzweige einzugreifen, um die Finnuzverwaltuug vollständig überwachen und die Ansprüche der Gläubiger der Staatsschuld mög¬ lichst wahren zu können. Das ägyptische Ministerium dagegen gestand den Kontroleuren nnr eine Einmischung in die Fragen zu, welche mit der auswär¬ tigen Schuld zusammenhingen, über alle andern sollte die Notabelnversammlnng allein entscheiden. Da man dabei verharrte, legte Vligniöres seine Stelle nieder. Darauf neuer Einspruch der westmächtlichen Konsuln und Drohungen der¬ selben mit Gewaltschritten. Am 17. Mai gaben sie die Erklärung ab, nächstens werde eine englisch-französische Panzerflotte vor Alexandrien erscheinen, und nach Eintreffen derselben würden sie die Beurlaubung der ägyptischen Armee und die Bestrafung der Generale derselben fordern. Zu keinem dieser Schritte waren die Westmächte völkerrechtlich befugt, da sie uicht im Kriege mit Ägypten oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/375>, abgerufen am 25.08.2024.