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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Vas heutige Feuilleton,

Nerven und einen Straußenmagen. Bis aber die Unmöglichkeit, das Raffinirte
nochmals zu raffiniren, das Pikante weiter zu pikantisiren, der fortschreitenden
Ausbildung des Feuilletons Einhalt gebietet, bleibt dem einzelnen, der den
Schaden erkannt hat, nichts übrig, als an seinem Teile und in Verbindung
mit Gleichgesinnten die Erkenntnis des Übels zu fördern und durch Hinweisung
aus gesündere, einfachere Kost der weiteren Verfaulung zu steuern. In der That
ist freudig anzuerkennen, daß eine ernst gesinnte Literatur den gekennzeichneten
verderblichen Geist nachdrücklich zu bekämpfen sich rüstet.

Es wird niemand entgehen, und wir haben schon öfter ausdrücklich bemerkt,
daß unser verdammendes Urteil nicht in Bausch und Bogen jeden Aussatz mit¬
verdammen will, der das Unglück hat, in den Fenilletvnspalten einer Tages¬
zeitung zu erscheinen. Wenn wir die Kennzeichen des feuilletonistischen Geistes
weit über die Zeituugsblättcheu hinaus in die Literatur hiuübergcwuchert fanden,
so müssen wir auch bekennen, daß vieles von dem, was nnter der Flagge des
Feuilletons segelt, von dem gekennzeichneten verderblichen Geiste nicht berührt
ist. Wir begreifen darunter das weite Feld von allerlei thatsächlichen Mit¬
teilungen aus allen Gebieten des Geistes und der Kunst, die den Feuilleton-
Platz der meisten kleinern Blätter füllen. Unsre schnelllebige Zeit kann ihrer
nicht wohl entbehren, und sie genügen ohne große Anmaßung und eigne Be¬
deutung ihrer Aufgabe, deu Leser von allerlei in Kenntnis zu setzen, das ihm
zu wissen angenehm ist, sei es nun, daß er es sich näher heranzieht, sei es, daß
er sich mit der flüchtigen Bekanntschaft begnügt. Diese Anzeigen und Be¬
richte vermitteln eine Art von geistigem Handel und Umsatz, ihre Schreiber
sind geistige Zwischenträger und Agenten; sie haben keine eignen Züge, also auch
kaum eigne Fehler, sofern sie richtiges berichten, und anch, wenn sie klatschen
oder irreleiten um irgendwelcher Absichten willen, kann man ihnen kaum ernstlich
zürnen, da man ihren Kleinhandel uuter einem sittlich persönlichen Gesichts¬
punkte nicht beurteilt. Freilich schlüpfen auch sie nur durch, solange man über¬
haupt die ganze Art des modernen geistigen Handelsgeschäftes gelten läßt.
Ferner schützen wir gegen den Vorwurf des Fenilletouismus bedeutende, tüchtige
Männer, die, ohne selbst im Zeitungswesen zu stehen, zur Verbreitung gewisser
bedeutender, ihnen um Herzen liegender Gedanken die bequemen, weitwirkenden
Zeitungen bciintzcn. Sie reden ihre ernst gewissenhafte Sprache auch in der
Fenilletonspnlte und lassen es hingehen, daß man ihre gedankentüchtigen oder
Praktisch wohlmeinenden Aufsätze Feuilletons nennt. Wir können uns nicht über¬
zeugen, daß es unter der Würde eines Gelehrten, eines wirklichen Schriftstellers
sei, auf diese Weise in Zeitungen gediegeneres zu bringen, als das Feuilleton
gewöhnlich enthält. Wir möchten diese Art "Zeitnngsschreiberei" sogar denen
empfehlen, die sich sicher wissen, daß sie zum schillernden Journalismus dadurch
nicht selbst herabgezogen werden. Denn wir kennen die Bedürfnisse unsrer schnell-
lebigen, schnellverzehrenden Zeit zu gut, um nicht zu wissen, daß sie leichterer,


Vas heutige Feuilleton,

Nerven und einen Straußenmagen. Bis aber die Unmöglichkeit, das Raffinirte
nochmals zu raffiniren, das Pikante weiter zu pikantisiren, der fortschreitenden
Ausbildung des Feuilletons Einhalt gebietet, bleibt dem einzelnen, der den
Schaden erkannt hat, nichts übrig, als an seinem Teile und in Verbindung
mit Gleichgesinnten die Erkenntnis des Übels zu fördern und durch Hinweisung
aus gesündere, einfachere Kost der weiteren Verfaulung zu steuern. In der That
ist freudig anzuerkennen, daß eine ernst gesinnte Literatur den gekennzeichneten
verderblichen Geist nachdrücklich zu bekämpfen sich rüstet.

Es wird niemand entgehen, und wir haben schon öfter ausdrücklich bemerkt,
daß unser verdammendes Urteil nicht in Bausch und Bogen jeden Aussatz mit¬
verdammen will, der das Unglück hat, in den Fenilletvnspalten einer Tages¬
zeitung zu erscheinen. Wenn wir die Kennzeichen des feuilletonistischen Geistes
weit über die Zeituugsblättcheu hinaus in die Literatur hiuübergcwuchert fanden,
so müssen wir auch bekennen, daß vieles von dem, was nnter der Flagge des
Feuilletons segelt, von dem gekennzeichneten verderblichen Geiste nicht berührt
ist. Wir begreifen darunter das weite Feld von allerlei thatsächlichen Mit¬
teilungen aus allen Gebieten des Geistes und der Kunst, die den Feuilleton-
Platz der meisten kleinern Blätter füllen. Unsre schnelllebige Zeit kann ihrer
nicht wohl entbehren, und sie genügen ohne große Anmaßung und eigne Be¬
deutung ihrer Aufgabe, deu Leser von allerlei in Kenntnis zu setzen, das ihm
zu wissen angenehm ist, sei es nun, daß er es sich näher heranzieht, sei es, daß
er sich mit der flüchtigen Bekanntschaft begnügt. Diese Anzeigen und Be¬
richte vermitteln eine Art von geistigem Handel und Umsatz, ihre Schreiber
sind geistige Zwischenträger und Agenten; sie haben keine eignen Züge, also auch
kaum eigne Fehler, sofern sie richtiges berichten, und anch, wenn sie klatschen
oder irreleiten um irgendwelcher Absichten willen, kann man ihnen kaum ernstlich
zürnen, da man ihren Kleinhandel uuter einem sittlich persönlichen Gesichts¬
punkte nicht beurteilt. Freilich schlüpfen auch sie nur durch, solange man über¬
haupt die ganze Art des modernen geistigen Handelsgeschäftes gelten läßt.
Ferner schützen wir gegen den Vorwurf des Fenilletouismus bedeutende, tüchtige
Männer, die, ohne selbst im Zeitungswesen zu stehen, zur Verbreitung gewisser
bedeutender, ihnen um Herzen liegender Gedanken die bequemen, weitwirkenden
Zeitungen bciintzcn. Sie reden ihre ernst gewissenhafte Sprache auch in der
Fenilletonspnlte und lassen es hingehen, daß man ihre gedankentüchtigen oder
Praktisch wohlmeinenden Aufsätze Feuilletons nennt. Wir können uns nicht über¬
zeugen, daß es unter der Würde eines Gelehrten, eines wirklichen Schriftstellers
sei, auf diese Weise in Zeitungen gediegeneres zu bringen, als das Feuilleton
gewöhnlich enthält. Wir möchten diese Art „Zeitnngsschreiberei" sogar denen
empfehlen, die sich sicher wissen, daß sie zum schillernden Journalismus dadurch
nicht selbst herabgezogen werden. Denn wir kennen die Bedürfnisse unsrer schnell-
lebigen, schnellverzehrenden Zeit zu gut, um nicht zu wissen, daß sie leichterer,


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[0371] Vas heutige Feuilleton, Nerven und einen Straußenmagen. Bis aber die Unmöglichkeit, das Raffinirte nochmals zu raffiniren, das Pikante weiter zu pikantisiren, der fortschreitenden Ausbildung des Feuilletons Einhalt gebietet, bleibt dem einzelnen, der den Schaden erkannt hat, nichts übrig, als an seinem Teile und in Verbindung mit Gleichgesinnten die Erkenntnis des Übels zu fördern und durch Hinweisung aus gesündere, einfachere Kost der weiteren Verfaulung zu steuern. In der That ist freudig anzuerkennen, daß eine ernst gesinnte Literatur den gekennzeichneten verderblichen Geist nachdrücklich zu bekämpfen sich rüstet. Es wird niemand entgehen, und wir haben schon öfter ausdrücklich bemerkt, daß unser verdammendes Urteil nicht in Bausch und Bogen jeden Aussatz mit¬ verdammen will, der das Unglück hat, in den Fenilletvnspalten einer Tages¬ zeitung zu erscheinen. Wenn wir die Kennzeichen des feuilletonistischen Geistes weit über die Zeituugsblättcheu hinaus in die Literatur hiuübergcwuchert fanden, so müssen wir auch bekennen, daß vieles von dem, was nnter der Flagge des Feuilletons segelt, von dem gekennzeichneten verderblichen Geiste nicht berührt ist. Wir begreifen darunter das weite Feld von allerlei thatsächlichen Mit¬ teilungen aus allen Gebieten des Geistes und der Kunst, die den Feuilleton- Platz der meisten kleinern Blätter füllen. Unsre schnelllebige Zeit kann ihrer nicht wohl entbehren, und sie genügen ohne große Anmaßung und eigne Be¬ deutung ihrer Aufgabe, deu Leser von allerlei in Kenntnis zu setzen, das ihm zu wissen angenehm ist, sei es nun, daß er es sich näher heranzieht, sei es, daß er sich mit der flüchtigen Bekanntschaft begnügt. Diese Anzeigen und Be¬ richte vermitteln eine Art von geistigem Handel und Umsatz, ihre Schreiber sind geistige Zwischenträger und Agenten; sie haben keine eignen Züge, also auch kaum eigne Fehler, sofern sie richtiges berichten, und anch, wenn sie klatschen oder irreleiten um irgendwelcher Absichten willen, kann man ihnen kaum ernstlich zürnen, da man ihren Kleinhandel uuter einem sittlich persönlichen Gesichts¬ punkte nicht beurteilt. Freilich schlüpfen auch sie nur durch, solange man über¬ haupt die ganze Art des modernen geistigen Handelsgeschäftes gelten läßt. Ferner schützen wir gegen den Vorwurf des Fenilletouismus bedeutende, tüchtige Männer, die, ohne selbst im Zeitungswesen zu stehen, zur Verbreitung gewisser bedeutender, ihnen um Herzen liegender Gedanken die bequemen, weitwirkenden Zeitungen bciintzcn. Sie reden ihre ernst gewissenhafte Sprache auch in der Fenilletonspnlte und lassen es hingehen, daß man ihre gedankentüchtigen oder Praktisch wohlmeinenden Aufsätze Feuilletons nennt. Wir können uns nicht über¬ zeugen, daß es unter der Würde eines Gelehrten, eines wirklichen Schriftstellers sei, auf diese Weise in Zeitungen gediegeneres zu bringen, als das Feuilleton gewöhnlich enthält. Wir möchten diese Art „Zeitnngsschreiberei" sogar denen empfehlen, die sich sicher wissen, daß sie zum schillernden Journalismus dadurch nicht selbst herabgezogen werden. Denn wir kennen die Bedürfnisse unsrer schnell- lebigen, schnellverzehrenden Zeit zu gut, um nicht zu wissen, daß sie leichterer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/371>, abgerufen am 01.07.2024.