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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.

oder unsittliches Wesen kennzeichnet. Aus seinen witzigen Plaudereien, auch den
ernsteren, vermöchte niemand zu schließen, daß es etwas wie das Gewissen
giebt, das vou den kleinsten, geheimsten Gedanken des Herzens Rechenschaft
fordert. Was sich sonst in den Zeitungen als soziales Feuilleton findet, beschäftigt
sich, wie wir sahen, mit den Nichtigkeiten der konventionelle" gesellschaftlichen
Mißstände, streift anch wohl einmal mit leisem Finger an gewisse Übelstünde,
vermeidet es aber ängstlich, wirklich ethische Fragen, tief und ernst gefaßt,
ans dem innersten Grnnde aufzuwühlen.

Wenn wir auch deu Zeitungsschreibern Dank wissen, daß sie uns ihre un¬
maßgeblichen Gedanken über derlei Dinge ersparen, so können wir doch nicht
umhin, schließlich das ganze, much das nicht ausdrücklich moralisirende Feuilleton
auf seinen sittlichen Gehalt und seine sittlichende oder entsittlichende Wirkung
hin zu prüfen. Daß die Feuilletonisten sich über solche "Vergewaltigung" er¬
zürnen und uach dem ästhetischen Maßstabe allein gerichtet zu werden wünschen,
kann uns nicht irren; sie verlangen damit unbilliges, das ihnen nicht einmal zu
Gunsten ist, wie der erste Teil unsrer Betrachtungen gezeigt hat. Ein Zeitungs-
blatt, das mit unberechenbarer Wirkung in die Masse des Volkes geschleudert
wird, muß sichs gefallen lassen, aus seine sittliche Wirkung für die Volksseele
hin angesehen zu werden; zumal da dieselbell Herren, die hier so schreien, mit
volltönenden Phrasen vou der erzieherischen, bildenden Macht der Presse
salbadern. Das sittliche Gesammturteil aber liegt in den bisherigen Aus-
führungen schon enthalten. Ein Erzeugnis, das raffinirter, gefallsüchtiger Selbst-
verherrlichung dienend, durch eine seicht oberflächliche Belehrung den Sinn für
ernste geistige Arbeit abstumpft, durch frivole Pikanterien sich in den Dienst
müßiger Unterhaltung stellt, schadet auch dort, wo es unmittelbar giftigen In¬
halt nicht einflößt. Um ein Volk, das seine geistige Nahrung fast ausschlie߬
lich aus dieser Art von Zeitungen schöpft, muß es dem denkenden, vater¬
landsliebenden Manne im Ernste bangen. Nicht genug, daß jene Blätter die
geistig aufklärende Bildung uicht gewähren, von der die lachenden Zeitnngs-
besitzer in ihren Ankündigungen und die federfertigen Zeitungsschreiber auf ihren
"Jonrnalistcnkongressen" fo ruhmredig prahlen; was weit schlimmer ist: das
sittlich religiöse Empfinden des Volkes muß versiechen, wenn es dieser allmäh¬
lichen Vergiftung ausgesetzt bleibt.

Gründe und Formen einer Verderbnis zu erkennen ist leichter, als Wege zu
ihrer Heilung aufzufinden. Ein unmittelbar praktisch anzuwendendes Mittel zur
Besserung der jetzt aufgezeigten Schäden läßt sich nicht angeben. Die Journa¬
listen werden so lauge fortfahren, ihre Pikanterien zu Markte zu bringen, sie
werden dieselben so lange häufen, als die Verdaunngsfühigleit ihrer Leser ihnen
folgt. Und das Publikum? Die Annahme wäre zu vermessen, daß sich die auf
leichtes Unterhaltuugsfutter versessene Menge von derlei ungesunden Zeuge
plötzlich eteint abwenden sollte; unser Publikum hat in dieser Beziehung eiserne


Das heutige Feuilleton.

oder unsittliches Wesen kennzeichnet. Aus seinen witzigen Plaudereien, auch den
ernsteren, vermöchte niemand zu schließen, daß es etwas wie das Gewissen
giebt, das vou den kleinsten, geheimsten Gedanken des Herzens Rechenschaft
fordert. Was sich sonst in den Zeitungen als soziales Feuilleton findet, beschäftigt
sich, wie wir sahen, mit den Nichtigkeiten der konventionelle» gesellschaftlichen
Mißstände, streift anch wohl einmal mit leisem Finger an gewisse Übelstünde,
vermeidet es aber ängstlich, wirklich ethische Fragen, tief und ernst gefaßt,
ans dem innersten Grnnde aufzuwühlen.

Wenn wir auch deu Zeitungsschreibern Dank wissen, daß sie uns ihre un¬
maßgeblichen Gedanken über derlei Dinge ersparen, so können wir doch nicht
umhin, schließlich das ganze, much das nicht ausdrücklich moralisirende Feuilleton
auf seinen sittlichen Gehalt und seine sittlichende oder entsittlichende Wirkung
hin zu prüfen. Daß die Feuilletonisten sich über solche „Vergewaltigung" er¬
zürnen und uach dem ästhetischen Maßstabe allein gerichtet zu werden wünschen,
kann uns nicht irren; sie verlangen damit unbilliges, das ihnen nicht einmal zu
Gunsten ist, wie der erste Teil unsrer Betrachtungen gezeigt hat. Ein Zeitungs-
blatt, das mit unberechenbarer Wirkung in die Masse des Volkes geschleudert
wird, muß sichs gefallen lassen, aus seine sittliche Wirkung für die Volksseele
hin angesehen zu werden; zumal da dieselbell Herren, die hier so schreien, mit
volltönenden Phrasen vou der erzieherischen, bildenden Macht der Presse
salbadern. Das sittliche Gesammturteil aber liegt in den bisherigen Aus-
führungen schon enthalten. Ein Erzeugnis, das raffinirter, gefallsüchtiger Selbst-
verherrlichung dienend, durch eine seicht oberflächliche Belehrung den Sinn für
ernste geistige Arbeit abstumpft, durch frivole Pikanterien sich in den Dienst
müßiger Unterhaltung stellt, schadet auch dort, wo es unmittelbar giftigen In¬
halt nicht einflößt. Um ein Volk, das seine geistige Nahrung fast ausschlie߬
lich aus dieser Art von Zeitungen schöpft, muß es dem denkenden, vater¬
landsliebenden Manne im Ernste bangen. Nicht genug, daß jene Blätter die
geistig aufklärende Bildung uicht gewähren, von der die lachenden Zeitnngs-
besitzer in ihren Ankündigungen und die federfertigen Zeitungsschreiber auf ihren
„Jonrnalistcnkongressen" fo ruhmredig prahlen; was weit schlimmer ist: das
sittlich religiöse Empfinden des Volkes muß versiechen, wenn es dieser allmäh¬
lichen Vergiftung ausgesetzt bleibt.

Gründe und Formen einer Verderbnis zu erkennen ist leichter, als Wege zu
ihrer Heilung aufzufinden. Ein unmittelbar praktisch anzuwendendes Mittel zur
Besserung der jetzt aufgezeigten Schäden läßt sich nicht angeben. Die Journa¬
listen werden so lauge fortfahren, ihre Pikanterien zu Markte zu bringen, sie
werden dieselben so lange häufen, als die Verdaunngsfühigleit ihrer Leser ihnen
folgt. Und das Publikum? Die Annahme wäre zu vermessen, daß sich die auf
leichtes Unterhaltuugsfutter versessene Menge von derlei ungesunden Zeuge
plötzlich eteint abwenden sollte; unser Publikum hat in dieser Beziehung eiserne


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[0370] Das heutige Feuilleton. oder unsittliches Wesen kennzeichnet. Aus seinen witzigen Plaudereien, auch den ernsteren, vermöchte niemand zu schließen, daß es etwas wie das Gewissen giebt, das vou den kleinsten, geheimsten Gedanken des Herzens Rechenschaft fordert. Was sich sonst in den Zeitungen als soziales Feuilleton findet, beschäftigt sich, wie wir sahen, mit den Nichtigkeiten der konventionelle» gesellschaftlichen Mißstände, streift anch wohl einmal mit leisem Finger an gewisse Übelstünde, vermeidet es aber ängstlich, wirklich ethische Fragen, tief und ernst gefaßt, ans dem innersten Grnnde aufzuwühlen. Wenn wir auch deu Zeitungsschreibern Dank wissen, daß sie uns ihre un¬ maßgeblichen Gedanken über derlei Dinge ersparen, so können wir doch nicht umhin, schließlich das ganze, much das nicht ausdrücklich moralisirende Feuilleton auf seinen sittlichen Gehalt und seine sittlichende oder entsittlichende Wirkung hin zu prüfen. Daß die Feuilletonisten sich über solche „Vergewaltigung" er¬ zürnen und uach dem ästhetischen Maßstabe allein gerichtet zu werden wünschen, kann uns nicht irren; sie verlangen damit unbilliges, das ihnen nicht einmal zu Gunsten ist, wie der erste Teil unsrer Betrachtungen gezeigt hat. Ein Zeitungs- blatt, das mit unberechenbarer Wirkung in die Masse des Volkes geschleudert wird, muß sichs gefallen lassen, aus seine sittliche Wirkung für die Volksseele hin angesehen zu werden; zumal da dieselbell Herren, die hier so schreien, mit volltönenden Phrasen vou der erzieherischen, bildenden Macht der Presse salbadern. Das sittliche Gesammturteil aber liegt in den bisherigen Aus- führungen schon enthalten. Ein Erzeugnis, das raffinirter, gefallsüchtiger Selbst- verherrlichung dienend, durch eine seicht oberflächliche Belehrung den Sinn für ernste geistige Arbeit abstumpft, durch frivole Pikanterien sich in den Dienst müßiger Unterhaltung stellt, schadet auch dort, wo es unmittelbar giftigen In¬ halt nicht einflößt. Um ein Volk, das seine geistige Nahrung fast ausschlie߬ lich aus dieser Art von Zeitungen schöpft, muß es dem denkenden, vater¬ landsliebenden Manne im Ernste bangen. Nicht genug, daß jene Blätter die geistig aufklärende Bildung uicht gewähren, von der die lachenden Zeitnngs- besitzer in ihren Ankündigungen und die federfertigen Zeitungsschreiber auf ihren „Jonrnalistcnkongressen" fo ruhmredig prahlen; was weit schlimmer ist: das sittlich religiöse Empfinden des Volkes muß versiechen, wenn es dieser allmäh¬ lichen Vergiftung ausgesetzt bleibt. Gründe und Formen einer Verderbnis zu erkennen ist leichter, als Wege zu ihrer Heilung aufzufinden. Ein unmittelbar praktisch anzuwendendes Mittel zur Besserung der jetzt aufgezeigten Schäden läßt sich nicht angeben. Die Journa¬ listen werden so lauge fortfahren, ihre Pikanterien zu Markte zu bringen, sie werden dieselben so lange häufen, als die Verdaunngsfühigleit ihrer Leser ihnen folgt. Und das Publikum? Die Annahme wäre zu vermessen, daß sich die auf leichtes Unterhaltuugsfutter versessene Menge von derlei ungesunden Zeuge plötzlich eteint abwenden sollte; unser Publikum hat in dieser Beziehung eiserne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/370>, abgerufen am 03.07.2024.