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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Schöpferkraft der Mutter Natur, zu Ostern ihr ewig neu erwachendes Leben
und zu Pfingsten den ewigen heiligen Geist der Naturgesetze preisen, können doch
nicht im Ernst Anspruch darauf macheu. für religiöse Betrachtungen zu gelten.
Was sich sonst bei verschiedenen Gelegenheiten, nur höchst widerwillig beachtet,
um religiösen Dingen im Feuilleton zeigt, erscheint so politisch und kirchenpolitisch
zugespitzt, daß man ihm religiöse Bedeutung uicht zuschreiben kann. Man
müßte denn aus ewig protestirenden und verneinenden Kampfesphrasen innere
Erbauung zu schöpfen verstehen. Donnernde Bcmustrahleu gegen verdunkelndes
Pfaffentum, das unter dem Mantel des Christentums, begünstigt von einer
gewnltthütigen Regierung, einer fürchterlichen Reaktion zustrebt, sind die ge¬
läufigen Waffen einer reformjüdischen Presse, der die Kirche eine unsympa¬
thische Erscheinung ist. Man kann ohne Übertreibung behaupten, daß nichts
von dem. was die Grundlage und den ewigen beseligenden inneren Wert der
Religion ausmacht, in diesen religiösen Feuilletons je zur Geltung kommt. Die
zahlreichen Artikel und Streitsachen des Protestantenvercines, dessen Bestrebungen
mich bei solchen, die persönlich längst mit aller Religion abgeschlossen haben,
Anklang und deshalb in allen politisch ..freisinnigen" Zeitungen Aufnahme und
Unterstützung finden, kommen hier nicht in Betracht, weil sie, unmittelbaren
Parteistreitigkeiten und praktischen Agitativnszwecken gewidmet, an sich keine
fluilletonistische Bedeutung beanspruchen.

Nntnrwissenschaftlich-Philosophische Gedanken gelten unsrer Zeit an Stelle
religiös-ethischer; Ethik insbesondere ist eine bei Seite geschobene Größe. Wer
nach einer ethisirenden Abteilung des heutigen Feuilletons suchen wollte, würde
dürftige Ausbeute finden. Die religiös sein sollenden Betrachtungen ermangeln
des Ethischen, und auf eigne Faust ins Feld hinein zu moralisiren, würde heute
zu sehr nach den seligen moralischen Wochenschriften einer grauen Vorzeit schmecken.
Dein Zeitgeiste ist über seinen naturwissenschaftlichen Entdeckungen, die sich praktisch
in großartige gesundheitspflegerische Verbesserungen umsetzen, bei seinen vorwiegend
materiell praktische,: Bestrebungen, die sich in allerlei Rettungswesen, Kranken¬
pflege nud Armenversorgnng wohlthätig fühlbar machen, das Bewußtsein der
inneren sittlichen Verantwortung des einzelnen Menschen fast abhanden ge¬
kommen. Wir meinen jene innere Reinigkeit des Herzens, die tiefste Forderung
des Christentums, die weit über bürgerliche Rechtlichkeit und äußeren Anstand
hinausgehend, ja schlechthin mit diesen unvergleichbar, Reinheit aller Gedanken
und Lauterkeit des Willens zur unbedingten Gewissenspflicht macht. Eine
weichliche Humanität, die den Verbrechern am meisten zu Gute kommt, eine
äußere Wohlthätigkeit, deren Ähnlichkeit mit der Werkheiligkeit der römischen
Kirche sich gar nicht verkennen läßt, sollen die sittliche Reinheit der Seele er-
fltzen, die noch Kant und Schiller so streng erhaben verkündeten. Das Feuilleton
fleht auch hierin auf der Höhe der Zeit. Der kecken Ungebundenheit seiner
äußeren Form entspricht die selbstwillige, freche Freiheit, die sein sittliches


Grenzboten 11.1. 1882. ^

Schöpferkraft der Mutter Natur, zu Ostern ihr ewig neu erwachendes Leben
und zu Pfingsten den ewigen heiligen Geist der Naturgesetze preisen, können doch
nicht im Ernst Anspruch darauf macheu. für religiöse Betrachtungen zu gelten.
Was sich sonst bei verschiedenen Gelegenheiten, nur höchst widerwillig beachtet,
um religiösen Dingen im Feuilleton zeigt, erscheint so politisch und kirchenpolitisch
zugespitzt, daß man ihm religiöse Bedeutung uicht zuschreiben kann. Man
müßte denn aus ewig protestirenden und verneinenden Kampfesphrasen innere
Erbauung zu schöpfen verstehen. Donnernde Bcmustrahleu gegen verdunkelndes
Pfaffentum, das unter dem Mantel des Christentums, begünstigt von einer
gewnltthütigen Regierung, einer fürchterlichen Reaktion zustrebt, sind die ge¬
läufigen Waffen einer reformjüdischen Presse, der die Kirche eine unsympa¬
thische Erscheinung ist. Man kann ohne Übertreibung behaupten, daß nichts
von dem. was die Grundlage und den ewigen beseligenden inneren Wert der
Religion ausmacht, in diesen religiösen Feuilletons je zur Geltung kommt. Die
zahlreichen Artikel und Streitsachen des Protestantenvercines, dessen Bestrebungen
mich bei solchen, die persönlich längst mit aller Religion abgeschlossen haben,
Anklang und deshalb in allen politisch ..freisinnigen" Zeitungen Aufnahme und
Unterstützung finden, kommen hier nicht in Betracht, weil sie, unmittelbaren
Parteistreitigkeiten und praktischen Agitativnszwecken gewidmet, an sich keine
fluilletonistische Bedeutung beanspruchen.

Nntnrwissenschaftlich-Philosophische Gedanken gelten unsrer Zeit an Stelle
religiös-ethischer; Ethik insbesondere ist eine bei Seite geschobene Größe. Wer
nach einer ethisirenden Abteilung des heutigen Feuilletons suchen wollte, würde
dürftige Ausbeute finden. Die religiös sein sollenden Betrachtungen ermangeln
des Ethischen, und auf eigne Faust ins Feld hinein zu moralisiren, würde heute
zu sehr nach den seligen moralischen Wochenschriften einer grauen Vorzeit schmecken.
Dein Zeitgeiste ist über seinen naturwissenschaftlichen Entdeckungen, die sich praktisch
in großartige gesundheitspflegerische Verbesserungen umsetzen, bei seinen vorwiegend
materiell praktische,: Bestrebungen, die sich in allerlei Rettungswesen, Kranken¬
pflege nud Armenversorgnng wohlthätig fühlbar machen, das Bewußtsein der
inneren sittlichen Verantwortung des einzelnen Menschen fast abhanden ge¬
kommen. Wir meinen jene innere Reinigkeit des Herzens, die tiefste Forderung
des Christentums, die weit über bürgerliche Rechtlichkeit und äußeren Anstand
hinausgehend, ja schlechthin mit diesen unvergleichbar, Reinheit aller Gedanken
und Lauterkeit des Willens zur unbedingten Gewissenspflicht macht. Eine
weichliche Humanität, die den Verbrechern am meisten zu Gute kommt, eine
äußere Wohlthätigkeit, deren Ähnlichkeit mit der Werkheiligkeit der römischen
Kirche sich gar nicht verkennen läßt, sollen die sittliche Reinheit der Seele er-
fltzen, die noch Kant und Schiller so streng erhaben verkündeten. Das Feuilleton
fleht auch hierin auf der Höhe der Zeit. Der kecken Ungebundenheit seiner
äußeren Form entspricht die selbstwillige, freche Freiheit, die sein sittliches


Grenzboten 11.1. 1882. ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/369>, abgerufen am 01.07.2024.