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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.

von den Ansprüchen der Firma Moser - Schönthcin zu halten ist, welche ihre
planlos zusammengewürfelten Posseilszenen als "Lustspiele" so teuer verkauft,
da sich bejahrte Bühncnkenntnis und jüngerer Kalnuerwitz hier zusammengethan
haben und mit anerkennenswerter Geschicklichkeit die verschiedensten Bestandteile
in ein Ganzes schichten, muß der wissen, der sich einmal vergeblich bemüht hat,
aus einem Gewirr toller Szenen eine folgerichtig einheitliche Handlung als
dramatischen Kern zu entwickeln. Aber Moser und Schöntha" strahlen als
leuchtende Sterne aller Nepertoirezettel und gelten dein lieben Publikum für wirk¬
liche Lustspieldichter. Ist es da zu verwundern, wenn solch zeitungsmäßig ka¬
lauernde Trivialität auch denen anklebt, die nicht bloß auf der heutigen Bühne
als deutsche Dichter glänzen mochten?

Alis dem Wiener Vnrgthenter erschien vor einigen Jahren ein Lustspiel
"Rosenkranz und Güldensteril," als dessen Verfasser sich nach bestandener Feuer¬
probe der Journalist Michael Klapp entpuppte. Wir wüßten kein neueres Stück,
das so schlagend die innere Verbindung der feuilletouistischeu Kunststückchen mit
dem innerlich leeren, impotenten Lustspiele darstellte. Durch und durch von
dein frivolen Geiste des Wiener Feuilletons erfüllt, oft hart an der Grenze
des Erlaubten hinstreifend, oft sie unbekümmert überspringend, reiht es an den
losen Faden einer kaum nennenswerten Handlung eine bunte Kette einzelner,
den Sinn bestechender Bilder, wie sie in dem nichtigen Leben eines großen
Schweizerhotels sich bieten, mischt Kellner, Bergfexe, Engländer, reisende "Sächser,"
angebliche Schauspieler und kecke Baronessen in einen tollen Wirrwarr zusammen.
Das Ganze, umprasselt von einem blendenden Feuerwerk von Witzen, Antithesen
und Anspielungen läßt dein Hörer nicht Zeit und Ernst, sich zu besinnen; ohne
innern Anteil zu nehmen, folgt er dem plaudernden Feuilletonisten in alle
Allgenblicksverwickllingeii, in die jener ihn führte, findet alles gut, was jenem
gut dünkt, mit Ausnahme der einzigen ernster gehaltenen Liebesszeue, die mit
ihren paar leidenschaftlichen Accenten wundersam unpassend in die flüchtige
Plauderei hineiutvut. Am Schluß aber schüttelt er bedenklich den Kopf, wenn
der sorglose Dichter, nachdem der Vorrat von Späßen zu Ende ist, den Knoten
der nebensächlichen Handlung, unbekümmert um Charakterentivicklnng und All¬
lage durchhaut, da er ihn nicht losen kann. Das Ganze könnte als eine Reihe
sommerlicher Reisebilder in der "Neuen freien Presse" stehen und würde nichts
verlieren als den lebendigen Vortrag, der freilich gewisse Spitzen erst verdeut¬
lichen muß. Unsre Theaterkritik aber hat das Dingelchen ganz ernsthaft als
ein Lustspiel behandelt, und die Hoftheater tischten es ihrem Publikum der Reihe
uach als neuestes Werk der deutschen Literatur auf.

Wir finden diese journalistische Dramatik in Paul Linda" verkörpert,
der als kluger Geschäftsmann sich den einträglichsten Zweig des literarischen
Handwerks nicht entgehen lasten durfte. Zudem konnte er ihm nach gründ¬
lichen Pariser Studien mit geringerer Mühe beikommen, als dem massigen


Das heutige Feuilleton.

von den Ansprüchen der Firma Moser - Schönthcin zu halten ist, welche ihre
planlos zusammengewürfelten Posseilszenen als „Lustspiele" so teuer verkauft,
da sich bejahrte Bühncnkenntnis und jüngerer Kalnuerwitz hier zusammengethan
haben und mit anerkennenswerter Geschicklichkeit die verschiedensten Bestandteile
in ein Ganzes schichten, muß der wissen, der sich einmal vergeblich bemüht hat,
aus einem Gewirr toller Szenen eine folgerichtig einheitliche Handlung als
dramatischen Kern zu entwickeln. Aber Moser und Schöntha» strahlen als
leuchtende Sterne aller Nepertoirezettel und gelten dein lieben Publikum für wirk¬
liche Lustspieldichter. Ist es da zu verwundern, wenn solch zeitungsmäßig ka¬
lauernde Trivialität auch denen anklebt, die nicht bloß auf der heutigen Bühne
als deutsche Dichter glänzen mochten?

Alis dem Wiener Vnrgthenter erschien vor einigen Jahren ein Lustspiel
„Rosenkranz und Güldensteril," als dessen Verfasser sich nach bestandener Feuer¬
probe der Journalist Michael Klapp entpuppte. Wir wüßten kein neueres Stück,
das so schlagend die innere Verbindung der feuilletouistischeu Kunststückchen mit
dem innerlich leeren, impotenten Lustspiele darstellte. Durch und durch von
dein frivolen Geiste des Wiener Feuilletons erfüllt, oft hart an der Grenze
des Erlaubten hinstreifend, oft sie unbekümmert überspringend, reiht es an den
losen Faden einer kaum nennenswerten Handlung eine bunte Kette einzelner,
den Sinn bestechender Bilder, wie sie in dem nichtigen Leben eines großen
Schweizerhotels sich bieten, mischt Kellner, Bergfexe, Engländer, reisende „Sächser,"
angebliche Schauspieler und kecke Baronessen in einen tollen Wirrwarr zusammen.
Das Ganze, umprasselt von einem blendenden Feuerwerk von Witzen, Antithesen
und Anspielungen läßt dein Hörer nicht Zeit und Ernst, sich zu besinnen; ohne
innern Anteil zu nehmen, folgt er dem plaudernden Feuilletonisten in alle
Allgenblicksverwickllingeii, in die jener ihn führte, findet alles gut, was jenem
gut dünkt, mit Ausnahme der einzigen ernster gehaltenen Liebesszeue, die mit
ihren paar leidenschaftlichen Accenten wundersam unpassend in die flüchtige
Plauderei hineiutvut. Am Schluß aber schüttelt er bedenklich den Kopf, wenn
der sorglose Dichter, nachdem der Vorrat von Späßen zu Ende ist, den Knoten
der nebensächlichen Handlung, unbekümmert um Charakterentivicklnng und All¬
lage durchhaut, da er ihn nicht losen kann. Das Ganze könnte als eine Reihe
sommerlicher Reisebilder in der „Neuen freien Presse" stehen und würde nichts
verlieren als den lebendigen Vortrag, der freilich gewisse Spitzen erst verdeut¬
lichen muß. Unsre Theaterkritik aber hat das Dingelchen ganz ernsthaft als
ein Lustspiel behandelt, und die Hoftheater tischten es ihrem Publikum der Reihe
uach als neuestes Werk der deutschen Literatur auf.

Wir finden diese journalistische Dramatik in Paul Linda» verkörpert,
der als kluger Geschäftsmann sich den einträglichsten Zweig des literarischen
Handwerks nicht entgehen lasten durfte. Zudem konnte er ihm nach gründ¬
lichen Pariser Studien mit geringerer Mühe beikommen, als dem massigen


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[0366] Das heutige Feuilleton. von den Ansprüchen der Firma Moser - Schönthcin zu halten ist, welche ihre planlos zusammengewürfelten Posseilszenen als „Lustspiele" so teuer verkauft, da sich bejahrte Bühncnkenntnis und jüngerer Kalnuerwitz hier zusammengethan haben und mit anerkennenswerter Geschicklichkeit die verschiedensten Bestandteile in ein Ganzes schichten, muß der wissen, der sich einmal vergeblich bemüht hat, aus einem Gewirr toller Szenen eine folgerichtig einheitliche Handlung als dramatischen Kern zu entwickeln. Aber Moser und Schöntha» strahlen als leuchtende Sterne aller Nepertoirezettel und gelten dein lieben Publikum für wirk¬ liche Lustspieldichter. Ist es da zu verwundern, wenn solch zeitungsmäßig ka¬ lauernde Trivialität auch denen anklebt, die nicht bloß auf der heutigen Bühne als deutsche Dichter glänzen mochten? Alis dem Wiener Vnrgthenter erschien vor einigen Jahren ein Lustspiel „Rosenkranz und Güldensteril," als dessen Verfasser sich nach bestandener Feuer¬ probe der Journalist Michael Klapp entpuppte. Wir wüßten kein neueres Stück, das so schlagend die innere Verbindung der feuilletouistischeu Kunststückchen mit dem innerlich leeren, impotenten Lustspiele darstellte. Durch und durch von dein frivolen Geiste des Wiener Feuilletons erfüllt, oft hart an der Grenze des Erlaubten hinstreifend, oft sie unbekümmert überspringend, reiht es an den losen Faden einer kaum nennenswerten Handlung eine bunte Kette einzelner, den Sinn bestechender Bilder, wie sie in dem nichtigen Leben eines großen Schweizerhotels sich bieten, mischt Kellner, Bergfexe, Engländer, reisende „Sächser," angebliche Schauspieler und kecke Baronessen in einen tollen Wirrwarr zusammen. Das Ganze, umprasselt von einem blendenden Feuerwerk von Witzen, Antithesen und Anspielungen läßt dein Hörer nicht Zeit und Ernst, sich zu besinnen; ohne innern Anteil zu nehmen, folgt er dem plaudernden Feuilletonisten in alle Allgenblicksverwickllingeii, in die jener ihn führte, findet alles gut, was jenem gut dünkt, mit Ausnahme der einzigen ernster gehaltenen Liebesszeue, die mit ihren paar leidenschaftlichen Accenten wundersam unpassend in die flüchtige Plauderei hineiutvut. Am Schluß aber schüttelt er bedenklich den Kopf, wenn der sorglose Dichter, nachdem der Vorrat von Späßen zu Ende ist, den Knoten der nebensächlichen Handlung, unbekümmert um Charakterentivicklnng und All¬ lage durchhaut, da er ihn nicht losen kann. Das Ganze könnte als eine Reihe sommerlicher Reisebilder in der „Neuen freien Presse" stehen und würde nichts verlieren als den lebendigen Vortrag, der freilich gewisse Spitzen erst verdeut¬ lichen muß. Unsre Theaterkritik aber hat das Dingelchen ganz ernsthaft als ein Lustspiel behandelt, und die Hoftheater tischten es ihrem Publikum der Reihe uach als neuestes Werk der deutschen Literatur auf. Wir finden diese journalistische Dramatik in Paul Linda» verkörpert, der als kluger Geschäftsmann sich den einträglichsten Zweig des literarischen Handwerks nicht entgehen lasten durfte. Zudem konnte er ihm nach gründ¬ lichen Pariser Studien mit geringerer Mühe beikommen, als dem massigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/366>, abgerufen am 03.07.2024.