Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Roman, zu dein am Ende doch immer ein Teil wirklicher Schaffenskraft er¬
forderlich ist. In feinen Dramen hat er sich eine neue Spielart feuilletonistischer
Form eingerichtet, die seinem in "harmlosen," "nüchternen," "überflüssigen"
Briefen und Kritiken doch einigermaßen verbrauchten Witz zu statten kam. Seine
Lust- und Schauspiele, deren er jetzt mit geschäftskundiger Regelmäßigkeit
alljährlich eines in die Welt schickt, machen schon eine stattliche Reihe ans.
Sie gleichen einander wie ein El dem andern. Das Rezept ist einfach: ein
bischen Rührseligkeit, sehr viel geistreichelnde Salonkalaner, und ein gleiches
Teil karilirte Narrenhaftigkeit. Kommt noch ein wenig judaisirende Tendenz
hinzu, so ist eine "Grüsin Lea" fertig. Wie bei den meisten deutschen Drama¬
tikern der Gegenwart zeigt sich auch in Lindaus Schauspielen als Grundbestand
ein novellistisches, ans der Vergangenheit in die Gegenwart des Stückes herein¬
ragendes Element, dessen dürftige Abwicklung das Drama stillen soll. Im
"Johannistrieb" ist das die glückliche Velohnnug des Professors, der bei der
Tochter spät das Glück findet, das ihm bei der Mutter versagt blieb; in "Maria
Magdalena" die Aussöhnung des Vaters mit der Tochter, die er vor Jahren
um eines Mißverständnisses willen verstoßen; in "Gräfin Lea" die Einigung
der Lea mit ihrer Stieftochter und die Ehrenrettung Leas, welche von der
Achtserklärung durch die Familie ihres verstorbenen Gemahls einigermaßen be¬
lastet war. Der winzige Gedanke des "Jungbrunnens": 0n rvvikut, toufonru
it 808 g,noivnnes AMvur" hätte höchstens in einer kleinen Novelle sich an¬
sprechend verwerten lassen. Solchen winzigen Motiven mangelt es um jeder
dramatischen Kraft, ihre novellistische Natur macht sie ungeschickt zur Errichtung
eines noch so schwachen dramatischen Gerüstes; um dieser Süchelchen willen
Würde niemnud einen ganzen Abend still sitzen. In dieser Not sucht der "Dichter"
nach Stützen für seinen gefährdeten Bau, und er findet sie in Menge unter
feinen journalistischen Erinnerungen. Er zeichnet ein Galerie von Narren und
Närrchen, Schuften und Schüftcheu naturgetreu ab und fügt diesen wichtigen
Figuren zu Liebe gewisse Nebenhandlungen ein, die man ganz frisch verstehen
würde, wenn man uach ihrer Bedeutung fragen wollte. Ihre Bedeutung ist
eben die, daß sie keine haben: sie sind um ihrer selbst willen da, wie die kalanernden
Bosheiten, welche die Würze des "geistreichen" Lindanschen Dialogs ausmachen.
Wenn Lindau hier die schmutzige Wüsche des Journalismus und der fragwür¬
dige" Kulissengestalten wäscht, so thut er nur auf offner Buhne, was er in
"Briefen" und "Rücksichtslosigkeiten," vielleicht rücksichtsloser, hundertmal gethan
hat. Und doch sind dergleichen Pikanterien das einzige, was seine Liebesmühe
erträglich macht. Als er in der "Verschämten Arbeit" auf die Kalauer und
die kleinen Erheiterungskünste ein wenig verzichtete, belehrte ihn ein schmerzlicher
Mißerfolg, daß seine schwindsüchtige Fiugerhutdramatik allein nicht vermögend
sei, einen Vierakter zu füllen. Der "Jnngbruuneu" hat ihm trotz Kalauern,
Kulisfenlcitteu und einer Heldin, die zugleich Närrin ist, eine noch herbere Ent-


Roman, zu dein am Ende doch immer ein Teil wirklicher Schaffenskraft er¬
forderlich ist. In feinen Dramen hat er sich eine neue Spielart feuilletonistischer
Form eingerichtet, die seinem in „harmlosen," „nüchternen," „überflüssigen"
Briefen und Kritiken doch einigermaßen verbrauchten Witz zu statten kam. Seine
Lust- und Schauspiele, deren er jetzt mit geschäftskundiger Regelmäßigkeit
alljährlich eines in die Welt schickt, machen schon eine stattliche Reihe ans.
Sie gleichen einander wie ein El dem andern. Das Rezept ist einfach: ein
bischen Rührseligkeit, sehr viel geistreichelnde Salonkalaner, und ein gleiches
Teil karilirte Narrenhaftigkeit. Kommt noch ein wenig judaisirende Tendenz
hinzu, so ist eine „Grüsin Lea" fertig. Wie bei den meisten deutschen Drama¬
tikern der Gegenwart zeigt sich auch in Lindaus Schauspielen als Grundbestand
ein novellistisches, ans der Vergangenheit in die Gegenwart des Stückes herein¬
ragendes Element, dessen dürftige Abwicklung das Drama stillen soll. Im
„Johannistrieb" ist das die glückliche Velohnnug des Professors, der bei der
Tochter spät das Glück findet, das ihm bei der Mutter versagt blieb; in „Maria
Magdalena" die Aussöhnung des Vaters mit der Tochter, die er vor Jahren
um eines Mißverständnisses willen verstoßen; in „Gräfin Lea" die Einigung
der Lea mit ihrer Stieftochter und die Ehrenrettung Leas, welche von der
Achtserklärung durch die Familie ihres verstorbenen Gemahls einigermaßen be¬
lastet war. Der winzige Gedanke des „Jungbrunnens": 0n rvvikut, toufonru
it 808 g,noivnnes AMvur« hätte höchstens in einer kleinen Novelle sich an¬
sprechend verwerten lassen. Solchen winzigen Motiven mangelt es um jeder
dramatischen Kraft, ihre novellistische Natur macht sie ungeschickt zur Errichtung
eines noch so schwachen dramatischen Gerüstes; um dieser Süchelchen willen
Würde niemnud einen ganzen Abend still sitzen. In dieser Not sucht der „Dichter"
nach Stützen für seinen gefährdeten Bau, und er findet sie in Menge unter
feinen journalistischen Erinnerungen. Er zeichnet ein Galerie von Narren und
Närrchen, Schuften und Schüftcheu naturgetreu ab und fügt diesen wichtigen
Figuren zu Liebe gewisse Nebenhandlungen ein, die man ganz frisch verstehen
würde, wenn man uach ihrer Bedeutung fragen wollte. Ihre Bedeutung ist
eben die, daß sie keine haben: sie sind um ihrer selbst willen da, wie die kalanernden
Bosheiten, welche die Würze des „geistreichen" Lindanschen Dialogs ausmachen.
Wenn Lindau hier die schmutzige Wüsche des Journalismus und der fragwür¬
dige« Kulissengestalten wäscht, so thut er nur auf offner Buhne, was er in
"Briefen" und „Rücksichtslosigkeiten," vielleicht rücksichtsloser, hundertmal gethan
hat. Und doch sind dergleichen Pikanterien das einzige, was seine Liebesmühe
erträglich macht. Als er in der „Verschämten Arbeit" auf die Kalauer und
die kleinen Erheiterungskünste ein wenig verzichtete, belehrte ihn ein schmerzlicher
Mißerfolg, daß seine schwindsüchtige Fiugerhutdramatik allein nicht vermögend
sei, einen Vierakter zu füllen. Der „Jnngbruuneu" hat ihm trotz Kalauern,
Kulisfenlcitteu und einer Heldin, die zugleich Närrin ist, eine noch herbere Ent-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0367" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193708"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1205" prev="#ID_1204" next="#ID_1206"> Roman, zu dein am Ende doch immer ein Teil wirklicher Schaffenskraft er¬<lb/>
forderlich ist. In feinen Dramen hat er sich eine neue Spielart feuilletonistischer<lb/>
Form eingerichtet, die seinem in &#x201E;harmlosen," &#x201E;nüchternen," &#x201E;überflüssigen"<lb/>
Briefen und Kritiken doch einigermaßen verbrauchten Witz zu statten kam. Seine<lb/>
Lust- und Schauspiele, deren er jetzt mit geschäftskundiger Regelmäßigkeit<lb/>
alljährlich eines in die Welt schickt, machen schon eine stattliche Reihe ans.<lb/>
Sie gleichen einander wie ein El dem andern. Das Rezept ist einfach: ein<lb/>
bischen Rührseligkeit, sehr viel geistreichelnde Salonkalaner, und ein gleiches<lb/>
Teil karilirte Narrenhaftigkeit. Kommt noch ein wenig judaisirende Tendenz<lb/>
hinzu, so ist eine &#x201E;Grüsin Lea" fertig. Wie bei den meisten deutschen Drama¬<lb/>
tikern der Gegenwart zeigt sich auch in Lindaus Schauspielen als Grundbestand<lb/>
ein novellistisches, ans der Vergangenheit in die Gegenwart des Stückes herein¬<lb/>
ragendes Element, dessen dürftige Abwicklung das Drama stillen soll. Im<lb/>
&#x201E;Johannistrieb" ist das die glückliche Velohnnug des Professors, der bei der<lb/>
Tochter spät das Glück findet, das ihm bei der Mutter versagt blieb; in &#x201E;Maria<lb/>
Magdalena" die Aussöhnung des Vaters mit der Tochter, die er vor Jahren<lb/>
um eines Mißverständnisses willen verstoßen; in &#x201E;Gräfin Lea" die Einigung<lb/>
der Lea mit ihrer Stieftochter und die Ehrenrettung Leas, welche von der<lb/>
Achtserklärung durch die Familie ihres verstorbenen Gemahls einigermaßen be¬<lb/>
lastet war. Der winzige Gedanke des &#x201E;Jungbrunnens": 0n rvvikut, toufonru<lb/>
it 808 g,noivnnes AMvur« hätte höchstens in einer kleinen Novelle sich an¬<lb/>
sprechend verwerten lassen. Solchen winzigen Motiven mangelt es um jeder<lb/>
dramatischen Kraft, ihre novellistische Natur macht sie ungeschickt zur Errichtung<lb/>
eines noch so schwachen dramatischen Gerüstes; um dieser Süchelchen willen<lb/>
Würde niemnud einen ganzen Abend still sitzen. In dieser Not sucht der &#x201E;Dichter"<lb/>
nach Stützen für seinen gefährdeten Bau, und er findet sie in Menge unter<lb/>
feinen journalistischen Erinnerungen. Er zeichnet ein Galerie von Narren und<lb/>
Närrchen, Schuften und Schüftcheu naturgetreu ab und fügt diesen wichtigen<lb/>
Figuren zu Liebe gewisse Nebenhandlungen ein, die man ganz frisch verstehen<lb/>
würde, wenn man uach ihrer Bedeutung fragen wollte. Ihre Bedeutung ist<lb/>
eben die, daß sie keine haben: sie sind um ihrer selbst willen da, wie die kalanernden<lb/>
Bosheiten, welche die Würze des &#x201E;geistreichen" Lindanschen Dialogs ausmachen.<lb/>
Wenn Lindau hier die schmutzige Wüsche des Journalismus und der fragwür¬<lb/>
dige« Kulissengestalten wäscht, so thut er nur auf offner Buhne, was er in<lb/>
"Briefen" und &#x201E;Rücksichtslosigkeiten," vielleicht rücksichtsloser, hundertmal gethan<lb/>
hat. Und doch sind dergleichen Pikanterien das einzige, was seine Liebesmühe<lb/>
erträglich macht. Als er in der &#x201E;Verschämten Arbeit" auf die Kalauer und<lb/>
die kleinen Erheiterungskünste ein wenig verzichtete, belehrte ihn ein schmerzlicher<lb/>
Mißerfolg, daß seine schwindsüchtige Fiugerhutdramatik allein nicht vermögend<lb/>
sei, einen Vierakter zu füllen. Der &#x201E;Jnngbruuneu" hat ihm trotz Kalauern,<lb/>
Kulisfenlcitteu und einer Heldin, die zugleich Närrin ist, eine noch herbere Ent-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0367] Roman, zu dein am Ende doch immer ein Teil wirklicher Schaffenskraft er¬ forderlich ist. In feinen Dramen hat er sich eine neue Spielart feuilletonistischer Form eingerichtet, die seinem in „harmlosen," „nüchternen," „überflüssigen" Briefen und Kritiken doch einigermaßen verbrauchten Witz zu statten kam. Seine Lust- und Schauspiele, deren er jetzt mit geschäftskundiger Regelmäßigkeit alljährlich eines in die Welt schickt, machen schon eine stattliche Reihe ans. Sie gleichen einander wie ein El dem andern. Das Rezept ist einfach: ein bischen Rührseligkeit, sehr viel geistreichelnde Salonkalaner, und ein gleiches Teil karilirte Narrenhaftigkeit. Kommt noch ein wenig judaisirende Tendenz hinzu, so ist eine „Grüsin Lea" fertig. Wie bei den meisten deutschen Drama¬ tikern der Gegenwart zeigt sich auch in Lindaus Schauspielen als Grundbestand ein novellistisches, ans der Vergangenheit in die Gegenwart des Stückes herein¬ ragendes Element, dessen dürftige Abwicklung das Drama stillen soll. Im „Johannistrieb" ist das die glückliche Velohnnug des Professors, der bei der Tochter spät das Glück findet, das ihm bei der Mutter versagt blieb; in „Maria Magdalena" die Aussöhnung des Vaters mit der Tochter, die er vor Jahren um eines Mißverständnisses willen verstoßen; in „Gräfin Lea" die Einigung der Lea mit ihrer Stieftochter und die Ehrenrettung Leas, welche von der Achtserklärung durch die Familie ihres verstorbenen Gemahls einigermaßen be¬ lastet war. Der winzige Gedanke des „Jungbrunnens": 0n rvvikut, toufonru it 808 g,noivnnes AMvur« hätte höchstens in einer kleinen Novelle sich an¬ sprechend verwerten lassen. Solchen winzigen Motiven mangelt es um jeder dramatischen Kraft, ihre novellistische Natur macht sie ungeschickt zur Errichtung eines noch so schwachen dramatischen Gerüstes; um dieser Süchelchen willen Würde niemnud einen ganzen Abend still sitzen. In dieser Not sucht der „Dichter" nach Stützen für seinen gefährdeten Bau, und er findet sie in Menge unter feinen journalistischen Erinnerungen. Er zeichnet ein Galerie von Narren und Närrchen, Schuften und Schüftcheu naturgetreu ab und fügt diesen wichtigen Figuren zu Liebe gewisse Nebenhandlungen ein, die man ganz frisch verstehen würde, wenn man uach ihrer Bedeutung fragen wollte. Ihre Bedeutung ist eben die, daß sie keine haben: sie sind um ihrer selbst willen da, wie die kalanernden Bosheiten, welche die Würze des „geistreichen" Lindanschen Dialogs ausmachen. Wenn Lindau hier die schmutzige Wüsche des Journalismus und der fragwür¬ dige« Kulissengestalten wäscht, so thut er nur auf offner Buhne, was er in "Briefen" und „Rücksichtslosigkeiten," vielleicht rücksichtsloser, hundertmal gethan hat. Und doch sind dergleichen Pikanterien das einzige, was seine Liebesmühe erträglich macht. Als er in der „Verschämten Arbeit" auf die Kalauer und die kleinen Erheiterungskünste ein wenig verzichtete, belehrte ihn ein schmerzlicher Mißerfolg, daß seine schwindsüchtige Fiugerhutdramatik allein nicht vermögend sei, einen Vierakter zu füllen. Der „Jnngbruuneu" hat ihm trotz Kalauern, Kulisfenlcitteu und einer Heldin, die zugleich Närrin ist, eine noch herbere Ent-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/367
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/367>, abgerufen am 01.07.2024.