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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton

Gesammtbaues wäre ja bei der monatelang hinschleichenden Verspeisung kleinster
Bruchteilchen gar nicht zu erzielen, auch wenn der Schreiber sich die unnütze
Mühe machen wollte, wirklich zu "bauen". So thöricht sind diese Schriftsteller
gnr nicht; ihr Bestreben ist geschickte Abrundung einzelner Bilder zu lebhaftester
Augen blickswirknng; das übrige kümmert sie nicht. Sind auch die Deutschen
den Franzosen in der Kunst, jedes einzelne Bruchstück, das in der Zeitung für
sich steht, zu einem packenden Schaustücke zu macheu, noch nicht gleich, so kennen
sie doch schon jene Liederlichkeit des Arbeitens, die ohne festen Plan für das
Bedürfnis des Tages ins blame hineinschreibt, wobei es geschehen kann, daß
längst verstorbene plötzlich ans vergessenen Gräbern wieder auferstehen.

Mit frohem Dnnkgefühle darüber, daß man in der Lyrik glücklicherweise
nicht feuilletouisireu kauu, wenden wir uns dem Drama zu, das dank seiner
innigen Verbindung mit dem herrschenden Zeitungswesen ein nicht minder uner¬
freuliches Aussehen zeigt. Wir wollen nicht die sattsam bekannte Thatsache aufs neue
beleuchten, daß die heutige Bühne, einem geldgierigen Spekulntionstreibeu hin¬
gegeben, für edlere Dichtungen schlechterdings keinen Raume hat, wir brauchen
auch die Ursachen dieser beklagenswerten Thatsache nicht zu erörtern, deren Her-
zählung leichter wäre als die Aufsuchung eines einzigen Abhilfemittels. Ein
Blick auf die den theatralischen Markt beherrschenden Dramen zeigt uns den
Zeitungsstempel, den ihm daS journalistische Handwerkstum aufgeprägt hat.
Dramen ohne Handlung -- das ist allenthalben das Kennzeichen dieser Waare.
>5N die schlotternden Fugen ihrer dramatischen Notgerüste aber stopfen die Herren
ihre groben und feinen Späße, ihre Witzchen und Pitanterien als Futter für ein
Theaterpublikum, das die bescheidenste,! Ansprüche für seine geistige Unterhaltung
wacht, ja über dem Lachen ganz vergißt, überhaupt noch Ansprüche zu machen.
Wir schweigen von der Berliner Posse eines Jaevbsvhn, Blumenthal, Willen
und Justinus, die eine verschwindend kleine Handlung unter verwirrenden Epi¬
soden und Kalauern begräbt. Eine grausame Selbstparvdie dieser Art von
"Dramen" ist der "Jüngste Lieutenant" von Jaeobsvhn, dessen Haudlnngsatome
sich um Schluß in Nichts auflösen. Der Einzug des Königs, um den sich die
ganze Handlung drehte, findet nicht statt, und jeder wird nach Hause geschickt,
"nahten er das ihm zukommende Teil von Kalauern verpufft hat. Die Posse
tsi ja so genügsam, sich mit ihren Einnahmen zu benügen, sie überläßt litera-
nschen Ruhm dem vornehmer" Lustspiel und ist darum gegen alle Kritik nu-
^Ntpfindlich. Leider sieht es mit den, Lustspiel nicht besser aus. Was wäre
die hausbackene rührselige Spießbürgerlichkett der "Lustspiele" von Adolf L'Arrvnge
"hre die "sogenannten" Spüßchen jener komischen Figuren, die in, Stücke herum-
^user, man weiß nicht woher, man weiß nicht wohin, man ahnt "ur wozu!
Aber die einsichtigen Kritiker nennen gesunden dramatischen Humor, was man
jubelnden Zeitnngswitz leider schon so lange kennt, und sie können oder wollen
dramatische Wirkung von theatralischer Effekthascherei nicht unterscheiden. Was


Das heutige Feuilleton

Gesammtbaues wäre ja bei der monatelang hinschleichenden Verspeisung kleinster
Bruchteilchen gar nicht zu erzielen, auch wenn der Schreiber sich die unnütze
Mühe machen wollte, wirklich zu „bauen". So thöricht sind diese Schriftsteller
gnr nicht; ihr Bestreben ist geschickte Abrundung einzelner Bilder zu lebhaftester
Augen blickswirknng; das übrige kümmert sie nicht. Sind auch die Deutschen
den Franzosen in der Kunst, jedes einzelne Bruchstück, das in der Zeitung für
sich steht, zu einem packenden Schaustücke zu macheu, noch nicht gleich, so kennen
sie doch schon jene Liederlichkeit des Arbeitens, die ohne festen Plan für das
Bedürfnis des Tages ins blame hineinschreibt, wobei es geschehen kann, daß
längst verstorbene plötzlich ans vergessenen Gräbern wieder auferstehen.

Mit frohem Dnnkgefühle darüber, daß man in der Lyrik glücklicherweise
nicht feuilletouisireu kauu, wenden wir uns dem Drama zu, das dank seiner
innigen Verbindung mit dem herrschenden Zeitungswesen ein nicht minder uner¬
freuliches Aussehen zeigt. Wir wollen nicht die sattsam bekannte Thatsache aufs neue
beleuchten, daß die heutige Bühne, einem geldgierigen Spekulntionstreibeu hin¬
gegeben, für edlere Dichtungen schlechterdings keinen Raume hat, wir brauchen
auch die Ursachen dieser beklagenswerten Thatsache nicht zu erörtern, deren Her-
zählung leichter wäre als die Aufsuchung eines einzigen Abhilfemittels. Ein
Blick auf die den theatralischen Markt beherrschenden Dramen zeigt uns den
Zeitungsstempel, den ihm daS journalistische Handwerkstum aufgeprägt hat.
Dramen ohne Handlung — das ist allenthalben das Kennzeichen dieser Waare.
>5N die schlotternden Fugen ihrer dramatischen Notgerüste aber stopfen die Herren
ihre groben und feinen Späße, ihre Witzchen und Pitanterien als Futter für ein
Theaterpublikum, das die bescheidenste,! Ansprüche für seine geistige Unterhaltung
wacht, ja über dem Lachen ganz vergißt, überhaupt noch Ansprüche zu machen.
Wir schweigen von der Berliner Posse eines Jaevbsvhn, Blumenthal, Willen
und Justinus, die eine verschwindend kleine Handlung unter verwirrenden Epi¬
soden und Kalauern begräbt. Eine grausame Selbstparvdie dieser Art von
"Dramen" ist der „Jüngste Lieutenant" von Jaeobsvhn, dessen Haudlnngsatome
sich um Schluß in Nichts auflösen. Der Einzug des Königs, um den sich die
ganze Handlung drehte, findet nicht statt, und jeder wird nach Hause geschickt,
"nahten er das ihm zukommende Teil von Kalauern verpufft hat. Die Posse
tsi ja so genügsam, sich mit ihren Einnahmen zu benügen, sie überläßt litera-
nschen Ruhm dem vornehmer» Lustspiel und ist darum gegen alle Kritik nu-
^Ntpfindlich. Leider sieht es mit den, Lustspiel nicht besser aus. Was wäre
die hausbackene rührselige Spießbürgerlichkett der „Lustspiele" von Adolf L'Arrvnge
"hre die „sogenannten" Spüßchen jener komischen Figuren, die in, Stücke herum-
^user, man weiß nicht woher, man weiß nicht wohin, man ahnt „ur wozu!
Aber die einsichtigen Kritiker nennen gesunden dramatischen Humor, was man
jubelnden Zeitnngswitz leider schon so lange kennt, und sie können oder wollen
dramatische Wirkung von theatralischer Effekthascherei nicht unterscheiden. Was


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[0365] Das heutige Feuilleton Gesammtbaues wäre ja bei der monatelang hinschleichenden Verspeisung kleinster Bruchteilchen gar nicht zu erzielen, auch wenn der Schreiber sich die unnütze Mühe machen wollte, wirklich zu „bauen". So thöricht sind diese Schriftsteller gnr nicht; ihr Bestreben ist geschickte Abrundung einzelner Bilder zu lebhaftester Augen blickswirknng; das übrige kümmert sie nicht. Sind auch die Deutschen den Franzosen in der Kunst, jedes einzelne Bruchstück, das in der Zeitung für sich steht, zu einem packenden Schaustücke zu macheu, noch nicht gleich, so kennen sie doch schon jene Liederlichkeit des Arbeitens, die ohne festen Plan für das Bedürfnis des Tages ins blame hineinschreibt, wobei es geschehen kann, daß längst verstorbene plötzlich ans vergessenen Gräbern wieder auferstehen. Mit frohem Dnnkgefühle darüber, daß man in der Lyrik glücklicherweise nicht feuilletouisireu kauu, wenden wir uns dem Drama zu, das dank seiner innigen Verbindung mit dem herrschenden Zeitungswesen ein nicht minder uner¬ freuliches Aussehen zeigt. Wir wollen nicht die sattsam bekannte Thatsache aufs neue beleuchten, daß die heutige Bühne, einem geldgierigen Spekulntionstreibeu hin¬ gegeben, für edlere Dichtungen schlechterdings keinen Raume hat, wir brauchen auch die Ursachen dieser beklagenswerten Thatsache nicht zu erörtern, deren Her- zählung leichter wäre als die Aufsuchung eines einzigen Abhilfemittels. Ein Blick auf die den theatralischen Markt beherrschenden Dramen zeigt uns den Zeitungsstempel, den ihm daS journalistische Handwerkstum aufgeprägt hat. Dramen ohne Handlung — das ist allenthalben das Kennzeichen dieser Waare. >5N die schlotternden Fugen ihrer dramatischen Notgerüste aber stopfen die Herren ihre groben und feinen Späße, ihre Witzchen und Pitanterien als Futter für ein Theaterpublikum, das die bescheidenste,! Ansprüche für seine geistige Unterhaltung wacht, ja über dem Lachen ganz vergißt, überhaupt noch Ansprüche zu machen. Wir schweigen von der Berliner Posse eines Jaevbsvhn, Blumenthal, Willen und Justinus, die eine verschwindend kleine Handlung unter verwirrenden Epi¬ soden und Kalauern begräbt. Eine grausame Selbstparvdie dieser Art von "Dramen" ist der „Jüngste Lieutenant" von Jaeobsvhn, dessen Haudlnngsatome sich um Schluß in Nichts auflösen. Der Einzug des Königs, um den sich die ganze Handlung drehte, findet nicht statt, und jeder wird nach Hause geschickt, "nahten er das ihm zukommende Teil von Kalauern verpufft hat. Die Posse tsi ja so genügsam, sich mit ihren Einnahmen zu benügen, sie überläßt litera- nschen Ruhm dem vornehmer» Lustspiel und ist darum gegen alle Kritik nu- ^Ntpfindlich. Leider sieht es mit den, Lustspiel nicht besser aus. Was wäre die hausbackene rührselige Spießbürgerlichkett der „Lustspiele" von Adolf L'Arrvnge "hre die „sogenannten" Spüßchen jener komischen Figuren, die in, Stücke herum- ^user, man weiß nicht woher, man weiß nicht wohin, man ahnt „ur wozu! Aber die einsichtigen Kritiker nennen gesunden dramatischen Humor, was man jubelnden Zeitnngswitz leider schon so lange kennt, und sie können oder wollen dramatische Wirkung von theatralischer Effekthascherei nicht unterscheiden. Was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/365>, abgerufen am 03.07.2024.