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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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der Vermittlung durchschnitten wurde. Eine solche von einer einzelnen Macht
nach Willkür vollzogene Besetzung ist das Gegenteil dessen, was Italien mit
seinem Antrage auf Kollektivschutz der Wasserstraße zwischen Suez und Port
Said bezweckte, und dieselbe widerspricht den wiederholten Versicherungen des
Ministernnins Gladstone, England wolle aus der ägyptischen Verwicklung keinen
einseitigen Vorteil für sich herausschlagen.

Der italienische Antrag ans Schutz durch Gesammteurvpa bildet gewisser¬
maßen einen Prüfstein für die Absichten der britischen Politik, und daraufhin
angesehen, stellt sich die Sachlage jetzt ungefähr folgendermaßen dar. England
scheint gewillt, ohne Mandat der übrigen Mächte, ganz ans eigne Rechnung und
zu eignen Zwecken, in Ägypten zu operiren, und andrerseits wird die Türkei,
von Europa aufgefordert und unter europäischer Autorität, dort ebenfalls ein¬
schreiten. Dieses höchst seltsame Verhältnis, diese "Parallelaktion," schließt die
Möglichkeit nicht aus, daß die nebeneinander vorgehenden Mächte sich mit
ihren Manövern kreuzen, und in dieser Möglichkeit liegt wieder die andre, daß
es zu einem Kriege zwischen England und der Pforte kommt. "Daily News,"
das offiziöse Organ Gladstones, entwickelte in diesen Tagen ein vollständiges
Operationssystem zur Überwachung und Beschränkung der Bewegung des in
Ägypten zu erwartenden türkischen Heeres. Es soll alles aufgeboten werden,
diesem die Aktion zu erschweren und es für England unschädlich zu machen.
Sollten dann nach Wiederherstellung der Ordnung die türkischen Ansichten in
Betreff der weiter" Gestaltung der Dinge nicht vollständig zu den englischen
Anschauungen und Zwecken stimmen, so wäre der Pforte in unzweideutiger
Sprache zu verstehen zu geben, daß ihre Mitwirkung zur Pazifikativn Ägyptens
ihr durchaus keine Befugnis zur Beeinflussung der "westlichen" Politik ver¬
schafft habe.

Der Sultan ist wesentlich andrer Meinung. Wenn wir uns die von seinen
Ministern inspirirte Presse einsehen, so denkt man sich in den regierenden Kreisen
die Lage und Entwicklung der Dinge etwa folgendermaßen. Durch Entsendung
vou Truppen nach Ägypten übt der Padischah nnr sein Recht ans Oberherr¬
schaft in einer Provinz seines Reiches aus, wo Unruhen ausgebrochen sind.
Die türkische Expedition hat ein doppeltes Ziel: Schutz der ottomanischen Unter¬
thanen gegen Tyrannei, und Währung der Rechte des Snltnus in Ägypten.
"Wir dürfen denn auch hoffen, sagt der "Wcckit," daß die Ägypter in ihrem
Glaubenseifer und ihrer Ergebenheit gegen den Padischah unsern Truppen ihre
Aufgabe leicht macheu werden. Was Arabi Pascha betrifft, welcher die Zu¬
stünde des Landes aus Erfahrung kennt und von Mut und frommer Hingebung
beseelt ist, so zweifeln wir nicht daran, daß er einen Beweis von Gehorsam
und Unterwürfigkeit geben und bereit sein wird, seinen Glauben feierlich knnd-
zuthun. Zur Wahrung unsrer Rechte in Ägypten gegen jeden feindlichen An¬
griff sind wir genötigt worden, die Söhne des Islam nnter die Fahne des


der Vermittlung durchschnitten wurde. Eine solche von einer einzelnen Macht
nach Willkür vollzogene Besetzung ist das Gegenteil dessen, was Italien mit
seinem Antrage auf Kollektivschutz der Wasserstraße zwischen Suez und Port
Said bezweckte, und dieselbe widerspricht den wiederholten Versicherungen des
Ministernnins Gladstone, England wolle aus der ägyptischen Verwicklung keinen
einseitigen Vorteil für sich herausschlagen.

Der italienische Antrag ans Schutz durch Gesammteurvpa bildet gewisser¬
maßen einen Prüfstein für die Absichten der britischen Politik, und daraufhin
angesehen, stellt sich die Sachlage jetzt ungefähr folgendermaßen dar. England
scheint gewillt, ohne Mandat der übrigen Mächte, ganz ans eigne Rechnung und
zu eignen Zwecken, in Ägypten zu operiren, und andrerseits wird die Türkei,
von Europa aufgefordert und unter europäischer Autorität, dort ebenfalls ein¬
schreiten. Dieses höchst seltsame Verhältnis, diese „Parallelaktion," schließt die
Möglichkeit nicht aus, daß die nebeneinander vorgehenden Mächte sich mit
ihren Manövern kreuzen, und in dieser Möglichkeit liegt wieder die andre, daß
es zu einem Kriege zwischen England und der Pforte kommt. „Daily News,"
das offiziöse Organ Gladstones, entwickelte in diesen Tagen ein vollständiges
Operationssystem zur Überwachung und Beschränkung der Bewegung des in
Ägypten zu erwartenden türkischen Heeres. Es soll alles aufgeboten werden,
diesem die Aktion zu erschweren und es für England unschädlich zu machen.
Sollten dann nach Wiederherstellung der Ordnung die türkischen Ansichten in
Betreff der weiter« Gestaltung der Dinge nicht vollständig zu den englischen
Anschauungen und Zwecken stimmen, so wäre der Pforte in unzweideutiger
Sprache zu verstehen zu geben, daß ihre Mitwirkung zur Pazifikativn Ägyptens
ihr durchaus keine Befugnis zur Beeinflussung der „westlichen" Politik ver¬
schafft habe.

Der Sultan ist wesentlich andrer Meinung. Wenn wir uns die von seinen
Ministern inspirirte Presse einsehen, so denkt man sich in den regierenden Kreisen
die Lage und Entwicklung der Dinge etwa folgendermaßen. Durch Entsendung
vou Truppen nach Ägypten übt der Padischah nnr sein Recht ans Oberherr¬
schaft in einer Provinz seines Reiches aus, wo Unruhen ausgebrochen sind.
Die türkische Expedition hat ein doppeltes Ziel: Schutz der ottomanischen Unter¬
thanen gegen Tyrannei, und Währung der Rechte des Snltnus in Ägypten.
„Wir dürfen denn auch hoffen, sagt der »Wcckit,« daß die Ägypter in ihrem
Glaubenseifer und ihrer Ergebenheit gegen den Padischah unsern Truppen ihre
Aufgabe leicht macheu werden. Was Arabi Pascha betrifft, welcher die Zu¬
stünde des Landes aus Erfahrung kennt und von Mut und frommer Hingebung
beseelt ist, so zweifeln wir nicht daran, daß er einen Beweis von Gehorsam
und Unterwürfigkeit geben und bereit sein wird, seinen Glauben feierlich knnd-
zuthun. Zur Wahrung unsrer Rechte in Ägypten gegen jeden feindlichen An¬
griff sind wir genötigt worden, die Söhne des Islam nnter die Fahne des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/326>, abgerufen am 22.07.2024.