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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Frankreich und die ägyptische Frage.

Chalifats zu rufen. Diese Fahne wird entrollt werden und Ägypten mit ihrem
Schatten bedecken. Die Klagen der Ägypter entspringen ans den Übergriffen und
Gewaltthaten der Fremden. Durch das Erscheinen der großherrlichen Soldaten
auf ägyptischem Boden wird mit Hilfe Gottes die Ordnung wiederhergestellt
und für das Land eine neue Ära eröffnet werden. Rebellion bei dieser Lage
der Dinge würde die Aktion unsrer Truppen erschweren und unsern Feinden
Vorschub leisten. Die Ägypter dürfen nicht außer Acht lassen, daß die türkische
Expedition einzig und allein die Wahrung ihrer Interessen und derjenigen der
kaiserlichen Regierung bezweckt, und im Hinblick hierauf sind sie verpflichtet, die
Aufgabe derselben zu fördern, und jeder einzelne muß alles, was in seinen
Kräften steht, dazu beitragen." Und die ebenfalls halboffiziöse "Turquie" be¬
merkte: "Die Stunde des Handelns ist endlich gekommen. Indem die Regierung
sich ihrer Befugnis bedient, will sie dem Ansehen des Sultans, welches alle
Mächte als das allein legitime betrachten, Geltung verschaffen und zugleich ein
Präzedenz hinstellen, wodurch das Prestige der oberherrlicher Macht gewahrt
wird, welcher alle Unterthanen des Sultans Gehorsam schuldig sind. . . Das
der Konferenz übertragene Mandat bezweckt, die Übereinstimmung der in dieser
Frage interessirten Mächte zu bekräftigen und die Erörterung der zu ergreifende"?
Maßregeln in die Grenzen der gegenseitigen Rechte dadurch einzuschließen, daß
die Souverainetät des Sultans und die Prärogative der Pforte offenkundig ge¬
macht werden."

Die Türken wollen hiernach als die eigentlich berechtigten oder doch als
gleichberechtigte nach Ägypten gehen, während die Engländer jetzt um liebsten
gar leine Türken dort haben möchten, wenn sie aber nicht abzuhalten sein sollten,
mindestens keine Cvordinntion zugestehen und die Truppen des Sultans nnr
als untergeordnete Gehilfen ansehen und behandeln wollen. Man rechnet in
Konstantinopel stark auf die Jsolirung Englands und ans das Mißvergnügen
der meisten andern Mächte über das eigenmächtige und auf groben Eigennutz
schließen lassende Gebühren der britischen Politik, und man wird sich mit dieser
Rechnung wenigstens in Betreff Rußlands und Italiens nicht täuschen.

Die Frage scheint sehr klar zu liegen. Nachdem der Sultan nach einigem
Zaudern die Forderungen der Konferenz angenommen hat, erlaubt sich England,
ihm auf eigue Faust noch schwer erfüllbare Bedingungen zu stellen und von
der Erfüllung derselben seine Mitwirkung abhängig zu machen. Die Pforte
hat die europäische Einladung zu dieser Mitwirkung bei der Pazifikation Ägyptens
rückhaltslos angenommen, es wäre folglich eine Mißachtung des Willens Europas,
wenn England jetzt die von ihm selbst früher verlangte türkische Trnppen-
sendnng zu hintertreiben oder gar mit Gewalt zu hindern versuchen wollte. In
London kann man nicht verkennen, daß die Pforte, als sie sich zur Intervention
bereit erklärte und dabei nur die Hoffnung aussprach, die Engländer würden
jetzt Ägypten räumen, sich bestrebte, den Thatsachen entsprechend zu handeln.


Frankreich und die ägyptische Frage.

Chalifats zu rufen. Diese Fahne wird entrollt werden und Ägypten mit ihrem
Schatten bedecken. Die Klagen der Ägypter entspringen ans den Übergriffen und
Gewaltthaten der Fremden. Durch das Erscheinen der großherrlichen Soldaten
auf ägyptischem Boden wird mit Hilfe Gottes die Ordnung wiederhergestellt
und für das Land eine neue Ära eröffnet werden. Rebellion bei dieser Lage
der Dinge würde die Aktion unsrer Truppen erschweren und unsern Feinden
Vorschub leisten. Die Ägypter dürfen nicht außer Acht lassen, daß die türkische
Expedition einzig und allein die Wahrung ihrer Interessen und derjenigen der
kaiserlichen Regierung bezweckt, und im Hinblick hierauf sind sie verpflichtet, die
Aufgabe derselben zu fördern, und jeder einzelne muß alles, was in seinen
Kräften steht, dazu beitragen." Und die ebenfalls halboffiziöse „Turquie" be¬
merkte: „Die Stunde des Handelns ist endlich gekommen. Indem die Regierung
sich ihrer Befugnis bedient, will sie dem Ansehen des Sultans, welches alle
Mächte als das allein legitime betrachten, Geltung verschaffen und zugleich ein
Präzedenz hinstellen, wodurch das Prestige der oberherrlicher Macht gewahrt
wird, welcher alle Unterthanen des Sultans Gehorsam schuldig sind. . . Das
der Konferenz übertragene Mandat bezweckt, die Übereinstimmung der in dieser
Frage interessirten Mächte zu bekräftigen und die Erörterung der zu ergreifende«?
Maßregeln in die Grenzen der gegenseitigen Rechte dadurch einzuschließen, daß
die Souverainetät des Sultans und die Prärogative der Pforte offenkundig ge¬
macht werden."

Die Türken wollen hiernach als die eigentlich berechtigten oder doch als
gleichberechtigte nach Ägypten gehen, während die Engländer jetzt um liebsten
gar leine Türken dort haben möchten, wenn sie aber nicht abzuhalten sein sollten,
mindestens keine Cvordinntion zugestehen und die Truppen des Sultans nnr
als untergeordnete Gehilfen ansehen und behandeln wollen. Man rechnet in
Konstantinopel stark auf die Jsolirung Englands und ans das Mißvergnügen
der meisten andern Mächte über das eigenmächtige und auf groben Eigennutz
schließen lassende Gebühren der britischen Politik, und man wird sich mit dieser
Rechnung wenigstens in Betreff Rußlands und Italiens nicht täuschen.

Die Frage scheint sehr klar zu liegen. Nachdem der Sultan nach einigem
Zaudern die Forderungen der Konferenz angenommen hat, erlaubt sich England,
ihm auf eigue Faust noch schwer erfüllbare Bedingungen zu stellen und von
der Erfüllung derselben seine Mitwirkung abhängig zu machen. Die Pforte
hat die europäische Einladung zu dieser Mitwirkung bei der Pazifikation Ägyptens
rückhaltslos angenommen, es wäre folglich eine Mißachtung des Willens Europas,
wenn England jetzt die von ihm selbst früher verlangte türkische Trnppen-
sendnng zu hintertreiben oder gar mit Gewalt zu hindern versuchen wollte. In
London kann man nicht verkennen, daß die Pforte, als sie sich zur Intervention
bereit erklärte und dabei nur die Hoffnung aussprach, die Engländer würden
jetzt Ägypten räumen, sich bestrebte, den Thatsachen entsprechend zu handeln.


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[0327] Frankreich und die ägyptische Frage. Chalifats zu rufen. Diese Fahne wird entrollt werden und Ägypten mit ihrem Schatten bedecken. Die Klagen der Ägypter entspringen ans den Übergriffen und Gewaltthaten der Fremden. Durch das Erscheinen der großherrlichen Soldaten auf ägyptischem Boden wird mit Hilfe Gottes die Ordnung wiederhergestellt und für das Land eine neue Ära eröffnet werden. Rebellion bei dieser Lage der Dinge würde die Aktion unsrer Truppen erschweren und unsern Feinden Vorschub leisten. Die Ägypter dürfen nicht außer Acht lassen, daß die türkische Expedition einzig und allein die Wahrung ihrer Interessen und derjenigen der kaiserlichen Regierung bezweckt, und im Hinblick hierauf sind sie verpflichtet, die Aufgabe derselben zu fördern, und jeder einzelne muß alles, was in seinen Kräften steht, dazu beitragen." Und die ebenfalls halboffiziöse „Turquie" be¬ merkte: „Die Stunde des Handelns ist endlich gekommen. Indem die Regierung sich ihrer Befugnis bedient, will sie dem Ansehen des Sultans, welches alle Mächte als das allein legitime betrachten, Geltung verschaffen und zugleich ein Präzedenz hinstellen, wodurch das Prestige der oberherrlicher Macht gewahrt wird, welcher alle Unterthanen des Sultans Gehorsam schuldig sind. . . Das der Konferenz übertragene Mandat bezweckt, die Übereinstimmung der in dieser Frage interessirten Mächte zu bekräftigen und die Erörterung der zu ergreifende«? Maßregeln in die Grenzen der gegenseitigen Rechte dadurch einzuschließen, daß die Souverainetät des Sultans und die Prärogative der Pforte offenkundig ge¬ macht werden." Die Türken wollen hiernach als die eigentlich berechtigten oder doch als gleichberechtigte nach Ägypten gehen, während die Engländer jetzt um liebsten gar leine Türken dort haben möchten, wenn sie aber nicht abzuhalten sein sollten, mindestens keine Cvordinntion zugestehen und die Truppen des Sultans nnr als untergeordnete Gehilfen ansehen und behandeln wollen. Man rechnet in Konstantinopel stark auf die Jsolirung Englands und ans das Mißvergnügen der meisten andern Mächte über das eigenmächtige und auf groben Eigennutz schließen lassende Gebühren der britischen Politik, und man wird sich mit dieser Rechnung wenigstens in Betreff Rußlands und Italiens nicht täuschen. Die Frage scheint sehr klar zu liegen. Nachdem der Sultan nach einigem Zaudern die Forderungen der Konferenz angenommen hat, erlaubt sich England, ihm auf eigue Faust noch schwer erfüllbare Bedingungen zu stellen und von der Erfüllung derselben seine Mitwirkung abhängig zu machen. Die Pforte hat die europäische Einladung zu dieser Mitwirkung bei der Pazifikation Ägyptens rückhaltslos angenommen, es wäre folglich eine Mißachtung des Willens Europas, wenn England jetzt die von ihm selbst früher verlangte türkische Trnppen- sendnng zu hintertreiben oder gar mit Gewalt zu hindern versuchen wollte. In London kann man nicht verkennen, daß die Pforte, als sie sich zur Intervention bereit erklärte und dabei nur die Hoffnung aussprach, die Engländer würden jetzt Ägypten räumen, sich bestrebte, den Thatsachen entsprechend zu handeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/327>, abgerufen am 22.07.2024.