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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Frankreich und die ägyptische Frage.

Ruhe durch die bleibende Anwesenheit einer zuverlässigen Garnison an den Haupt¬
punkten gesichert werden. Wenn Ägypten und der Chedive von der Thranuei
der einheimischen Truppen befreit sind, so kann kein Hindernis mehr sein für
die friedliche Entwicklung untioualer Einrichtungen nnter der Bürgschaft einer
loyalen Armee. Wir waren länger als vierzig Jahre die Schutzherren der
Ionische" Inseln" u. s. w. -- kurz, ein neues Glied in die Kette Gibraltar,
Malta, Aden. Frankreich und die andern Mächte haben dann nichts mehr drein
zu reden, auch die Pforte uicht. Der Chedive bleibt, hat aber uur noch die
Bedeutuug eines der indischen Radschas.

Solche Artikel sind schwerlich von englischen Staatsmännern, aber vielleicht
von englischen Geldmännern inspirirt worden. Es steht noch keineswegs voll¬
kommen fest, daß England allein und auf eigne Verantwortung die Aufgabe
übernehmen wird, "Ägypten von der Anarchie zu befreien" und auf seine Weise
glücklich zu macheu. Im Gegenteil hat die Pforte das nächste Recht zur Inter¬
vention und zur Herstellung geordneter Zustände im Nillande. Sodann aber würde,
wenn die Franzosen auch vor der Hand jede weitere Einmischung in deu ägyp¬
tischen Streit von sich abgewiesen haben, diese Zurückhaltung vermutlich bald
ein Ende nehmen, wenn England den Versuch machen sollte, Ägypten unter
seinen ausschließlichen Einfluß zu nehmen. Die Franzosen sind, wie wir gezeigt,
gegenwärtig in erfreulichster Weise friedlich gesinnt, aber der Verwirklichung von
Prätensionen gegenüber, wie sie die englischen Blätter zur Schan tragen, würde
auch eine größere Friedfertigkeit mit der Zeit leidenschaftlichem Widerstande Raum
geben, und wir dürfen annehmen, daß Frankreich dann im Bewußtsein seines
guten Rechtes sehr stark sein und nicht ohne Unterstützung von andrer Seite
bleiben würde.

Vorläufig hat England es mit dem Sultan zu thun. Derselbe weigerte
sich zunächst, an der in Konstantinopel über Ägypten beratenden Bvtschafter-
konferenz teilzunehmen, dann, als er sich zur Beschickung dieser Versammlung
entschlossen, Truppen nach Ägypten zu schicken. Nachdem er endlich auch hierein
gewilligt, verlangte England, er solle vorher Arabi für einen Rebellen erklären,
und machte zugleich die Erlaubnis zur Landung der türkischen Truppen -- man
bedenke, die Erlaubnis zum Betreten eines Bodens, über den der Sultan als
Suzerän gebietet, der Sultan, welcher mit England im Frieden lebt -- vom
Abschluß einer englisch-türkischen Militärkonveutiou abhängig. Zu gleicher Zeit
traf in Konstantinopel die Nachricht ein, daß englische Truppen die Stadt Suez
besetzt hätten, wodurch die Bemühung der Konferenz, den Kanal durch einen
Kvllektivschutz zu sichern, hinfällig geworden zu sein scheint. Die Engländer
haben hier ihr Verfahren vor Alexandrien wiederholt. Während der Vorschlag
Italiens, den Kanal gemeinsam zu besetzen, der Regierung in London zur Über¬
legung übermittelt wurde, nisteten sich deren Soldaten am Südende desselben
^u, ganz so wie durch die Beschießung und Okkupation Alexandriens der Faden


Frankreich und die ägyptische Frage.

Ruhe durch die bleibende Anwesenheit einer zuverlässigen Garnison an den Haupt¬
punkten gesichert werden. Wenn Ägypten und der Chedive von der Thranuei
der einheimischen Truppen befreit sind, so kann kein Hindernis mehr sein für
die friedliche Entwicklung untioualer Einrichtungen nnter der Bürgschaft einer
loyalen Armee. Wir waren länger als vierzig Jahre die Schutzherren der
Ionische» Inseln" u. s. w. — kurz, ein neues Glied in die Kette Gibraltar,
Malta, Aden. Frankreich und die andern Mächte haben dann nichts mehr drein
zu reden, auch die Pforte uicht. Der Chedive bleibt, hat aber uur noch die
Bedeutuug eines der indischen Radschas.

Solche Artikel sind schwerlich von englischen Staatsmännern, aber vielleicht
von englischen Geldmännern inspirirt worden. Es steht noch keineswegs voll¬
kommen fest, daß England allein und auf eigne Verantwortung die Aufgabe
übernehmen wird, „Ägypten von der Anarchie zu befreien" und auf seine Weise
glücklich zu macheu. Im Gegenteil hat die Pforte das nächste Recht zur Inter¬
vention und zur Herstellung geordneter Zustände im Nillande. Sodann aber würde,
wenn die Franzosen auch vor der Hand jede weitere Einmischung in deu ägyp¬
tischen Streit von sich abgewiesen haben, diese Zurückhaltung vermutlich bald
ein Ende nehmen, wenn England den Versuch machen sollte, Ägypten unter
seinen ausschließlichen Einfluß zu nehmen. Die Franzosen sind, wie wir gezeigt,
gegenwärtig in erfreulichster Weise friedlich gesinnt, aber der Verwirklichung von
Prätensionen gegenüber, wie sie die englischen Blätter zur Schan tragen, würde
auch eine größere Friedfertigkeit mit der Zeit leidenschaftlichem Widerstande Raum
geben, und wir dürfen annehmen, daß Frankreich dann im Bewußtsein seines
guten Rechtes sehr stark sein und nicht ohne Unterstützung von andrer Seite
bleiben würde.

Vorläufig hat England es mit dem Sultan zu thun. Derselbe weigerte
sich zunächst, an der in Konstantinopel über Ägypten beratenden Bvtschafter-
konferenz teilzunehmen, dann, als er sich zur Beschickung dieser Versammlung
entschlossen, Truppen nach Ägypten zu schicken. Nachdem er endlich auch hierein
gewilligt, verlangte England, er solle vorher Arabi für einen Rebellen erklären,
und machte zugleich die Erlaubnis zur Landung der türkischen Truppen — man
bedenke, die Erlaubnis zum Betreten eines Bodens, über den der Sultan als
Suzerän gebietet, der Sultan, welcher mit England im Frieden lebt — vom
Abschluß einer englisch-türkischen Militärkonveutiou abhängig. Zu gleicher Zeit
traf in Konstantinopel die Nachricht ein, daß englische Truppen die Stadt Suez
besetzt hätten, wodurch die Bemühung der Konferenz, den Kanal durch einen
Kvllektivschutz zu sichern, hinfällig geworden zu sein scheint. Die Engländer
haben hier ihr Verfahren vor Alexandrien wiederholt. Während der Vorschlag
Italiens, den Kanal gemeinsam zu besetzen, der Regierung in London zur Über¬
legung übermittelt wurde, nisteten sich deren Soldaten am Südende desselben
^u, ganz so wie durch die Beschießung und Okkupation Alexandriens der Faden


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[0325] Frankreich und die ägyptische Frage. Ruhe durch die bleibende Anwesenheit einer zuverlässigen Garnison an den Haupt¬ punkten gesichert werden. Wenn Ägypten und der Chedive von der Thranuei der einheimischen Truppen befreit sind, so kann kein Hindernis mehr sein für die friedliche Entwicklung untioualer Einrichtungen nnter der Bürgschaft einer loyalen Armee. Wir waren länger als vierzig Jahre die Schutzherren der Ionische» Inseln" u. s. w. — kurz, ein neues Glied in die Kette Gibraltar, Malta, Aden. Frankreich und die andern Mächte haben dann nichts mehr drein zu reden, auch die Pforte uicht. Der Chedive bleibt, hat aber uur noch die Bedeutuug eines der indischen Radschas. Solche Artikel sind schwerlich von englischen Staatsmännern, aber vielleicht von englischen Geldmännern inspirirt worden. Es steht noch keineswegs voll¬ kommen fest, daß England allein und auf eigne Verantwortung die Aufgabe übernehmen wird, „Ägypten von der Anarchie zu befreien" und auf seine Weise glücklich zu macheu. Im Gegenteil hat die Pforte das nächste Recht zur Inter¬ vention und zur Herstellung geordneter Zustände im Nillande. Sodann aber würde, wenn die Franzosen auch vor der Hand jede weitere Einmischung in deu ägyp¬ tischen Streit von sich abgewiesen haben, diese Zurückhaltung vermutlich bald ein Ende nehmen, wenn England den Versuch machen sollte, Ägypten unter seinen ausschließlichen Einfluß zu nehmen. Die Franzosen sind, wie wir gezeigt, gegenwärtig in erfreulichster Weise friedlich gesinnt, aber der Verwirklichung von Prätensionen gegenüber, wie sie die englischen Blätter zur Schan tragen, würde auch eine größere Friedfertigkeit mit der Zeit leidenschaftlichem Widerstande Raum geben, und wir dürfen annehmen, daß Frankreich dann im Bewußtsein seines guten Rechtes sehr stark sein und nicht ohne Unterstützung von andrer Seite bleiben würde. Vorläufig hat England es mit dem Sultan zu thun. Derselbe weigerte sich zunächst, an der in Konstantinopel über Ägypten beratenden Bvtschafter- konferenz teilzunehmen, dann, als er sich zur Beschickung dieser Versammlung entschlossen, Truppen nach Ägypten zu schicken. Nachdem er endlich auch hierein gewilligt, verlangte England, er solle vorher Arabi für einen Rebellen erklären, und machte zugleich die Erlaubnis zur Landung der türkischen Truppen — man bedenke, die Erlaubnis zum Betreten eines Bodens, über den der Sultan als Suzerän gebietet, der Sultan, welcher mit England im Frieden lebt — vom Abschluß einer englisch-türkischen Militärkonveutiou abhängig. Zu gleicher Zeit traf in Konstantinopel die Nachricht ein, daß englische Truppen die Stadt Suez besetzt hätten, wodurch die Bemühung der Konferenz, den Kanal durch einen Kvllektivschutz zu sichern, hinfällig geworden zu sein scheint. Die Engländer haben hier ihr Verfahren vor Alexandrien wiederholt. Während der Vorschlag Italiens, den Kanal gemeinsam zu besetzen, der Regierung in London zur Über¬ legung übermittelt wurde, nisteten sich deren Soldaten am Südende desselben ^u, ganz so wie durch die Beschießung und Okkupation Alexandriens der Faden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/325>, abgerufen am 23.07.2024.