Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage.

Anders steht es mit der Einwirkung christlicher und alttestamentlicher Er¬
zählungen auf den Glauben der Nordleute. Wenn es wahr ist, daß die
Wikinger mit den Bewohnern der britischen Inseln nicht nnr Schwerthiebe
tauschten, sondern auch in vielfachen friedlichen Verkehr mit ihnen traten, so
ist es selbstverständlich, daß die Briten auch Versuche machten, die noch heid¬
nischen Nordleute zum Christentum zu bekehren, und es hat nichts ungereimtes,
anzunehmen, daß die begeisterten Schilderungen des Lebens und Wirkens des
Heilandes und die Erzählungen von den Glaubenshelden des alten Testaments
das Herz der gemütvollen Germanen rührten und in ihnen Wurzel schlugen,
auch ohne daß sie deshalb die alten Götter, deren Macht erprobt war und
denen sie so oft Sieg und Glück verdankt hatten, sogleich abzuschwören brauchten.
Vielmehr können sie recht wohl auf diese die ihnen edel scheinenden Eigen¬
schaften und Züge der christlichen Gottheit übertragen und so ihre eigenen Götter
ans die höhere Kulturstufe, die ihnen in der christlichen Religion entgegentrat,
emporzuheben versucht haben.

Es scheint nun in der That, als sei der Baldrmythns, wie er, uns in
den Ebben entgegentritt, von christlich-jüdischen Einflüssen nicht völlig frei. Man
hat dies schon früher beobachtet, ohne indes der Sache so auf deu Grund zu
gehen, wie es Bngge gethan hat, und hierin liegt das Hauptverdienst seiner
Untersuchungen.

In der jüngeren Edda wird Baldrs Tod in folgender Weise erzählt:
Baldr, der gute, hatte schwere Träume, die seinem Leben Gefahr drohten. Und
als er den Asen seine Trcinme sagte, pflagen sie Rat zusammen und beschlossen,
dem Baldr Sicherheit vor allen Gefahren auszuwirken. Da nahm Frigg Eide
von Feuer und Wasser, Eisen und allen Erzen, Steinen und Erden, von Bäumen,
Krankheiten und Giften, dazu von allen vierfüßigen Tieren, Vögeln und Würmern,
daß sie Baldrs schönen wollten. Als das geschehen und allen bekannt war,
da kürzweilten die Asen mit Baldrn, daß er sich mitten in den Kreis stellte
und einige nach ihm schaffen, andere nach ihm hieben und noch andre mit Steinen
warfen. Und was sie auch thaten, es schadete ihm nicht; das däuchte sie alle
ein großer Vorteil. Aber als Loki das sah, da gefiel es ihm übel, daß den
Baldr nichts verletzen sollte. Dn ging er zu Frigg in der Gestalt eines alten
Weibes, und Frigg fragte die Frau, ob sie wüßte, was die Asen in ihrer Ver¬
sammlung vornahmen. Die Frau antwortete, sie schossen alle nach Baldrn, ihm
aber schade nichts. Da sprach Frigg: Weder Waffen noch Bäume mögen Baldr
schaden, ich habe von allen Eide genommen. Da fragte das Weib: Haben alle
Dinge Eide geschworen, Buttr zu schonen? Frigg antwortete: Östlich von Walhall
wächst eine Staude, Mistelzweig genannt, die schien mir zu jung, sie in Eid
zu nehmen. Darauf ging Loki fort, nahm den Mistelzweig, riß ihn ans und
ging zur Versammlung. Hödr stand zu äußerst im Kreise der Männer, denn
er war blind. Da sprach Loki zu ihm: Warum schießest du nicht nach Baldr?


Grenzboten III. 1882. ^8
Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage.

Anders steht es mit der Einwirkung christlicher und alttestamentlicher Er¬
zählungen auf den Glauben der Nordleute. Wenn es wahr ist, daß die
Wikinger mit den Bewohnern der britischen Inseln nicht nnr Schwerthiebe
tauschten, sondern auch in vielfachen friedlichen Verkehr mit ihnen traten, so
ist es selbstverständlich, daß die Briten auch Versuche machten, die noch heid¬
nischen Nordleute zum Christentum zu bekehren, und es hat nichts ungereimtes,
anzunehmen, daß die begeisterten Schilderungen des Lebens und Wirkens des
Heilandes und die Erzählungen von den Glaubenshelden des alten Testaments
das Herz der gemütvollen Germanen rührten und in ihnen Wurzel schlugen,
auch ohne daß sie deshalb die alten Götter, deren Macht erprobt war und
denen sie so oft Sieg und Glück verdankt hatten, sogleich abzuschwören brauchten.
Vielmehr können sie recht wohl auf diese die ihnen edel scheinenden Eigen¬
schaften und Züge der christlichen Gottheit übertragen und so ihre eigenen Götter
ans die höhere Kulturstufe, die ihnen in der christlichen Religion entgegentrat,
emporzuheben versucht haben.

Es scheint nun in der That, als sei der Baldrmythns, wie er, uns in
den Ebben entgegentritt, von christlich-jüdischen Einflüssen nicht völlig frei. Man
hat dies schon früher beobachtet, ohne indes der Sache so auf deu Grund zu
gehen, wie es Bngge gethan hat, und hierin liegt das Hauptverdienst seiner
Untersuchungen.

In der jüngeren Edda wird Baldrs Tod in folgender Weise erzählt:
Baldr, der gute, hatte schwere Träume, die seinem Leben Gefahr drohten. Und
als er den Asen seine Trcinme sagte, pflagen sie Rat zusammen und beschlossen,
dem Baldr Sicherheit vor allen Gefahren auszuwirken. Da nahm Frigg Eide
von Feuer und Wasser, Eisen und allen Erzen, Steinen und Erden, von Bäumen,
Krankheiten und Giften, dazu von allen vierfüßigen Tieren, Vögeln und Würmern,
daß sie Baldrs schönen wollten. Als das geschehen und allen bekannt war,
da kürzweilten die Asen mit Baldrn, daß er sich mitten in den Kreis stellte
und einige nach ihm schaffen, andere nach ihm hieben und noch andre mit Steinen
warfen. Und was sie auch thaten, es schadete ihm nicht; das däuchte sie alle
ein großer Vorteil. Aber als Loki das sah, da gefiel es ihm übel, daß den
Baldr nichts verletzen sollte. Dn ging er zu Frigg in der Gestalt eines alten
Weibes, und Frigg fragte die Frau, ob sie wüßte, was die Asen in ihrer Ver¬
sammlung vornahmen. Die Frau antwortete, sie schossen alle nach Baldrn, ihm
aber schade nichts. Da sprach Frigg: Weder Waffen noch Bäume mögen Baldr
schaden, ich habe von allen Eide genommen. Da fragte das Weib: Haben alle
Dinge Eide geschworen, Buttr zu schonen? Frigg antwortete: Östlich von Walhall
wächst eine Staude, Mistelzweig genannt, die schien mir zu jung, sie in Eid
zu nehmen. Darauf ging Loki fort, nahm den Mistelzweig, riß ihn ans und
ging zur Versammlung. Hödr stand zu äußerst im Kreise der Männer, denn
er war blind. Da sprach Loki zu ihm: Warum schießest du nicht nach Baldr?


Grenzboten III. 1882. ^8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0305" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193646"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1006"> Anders steht es mit der Einwirkung christlicher und alttestamentlicher Er¬<lb/>
zählungen auf den Glauben der Nordleute. Wenn es wahr ist, daß die<lb/>
Wikinger mit den Bewohnern der britischen Inseln nicht nnr Schwerthiebe<lb/>
tauschten, sondern auch in vielfachen friedlichen Verkehr mit ihnen traten, so<lb/>
ist es selbstverständlich, daß die Briten auch Versuche machten, die noch heid¬<lb/>
nischen Nordleute zum Christentum zu bekehren, und es hat nichts ungereimtes,<lb/>
anzunehmen, daß die begeisterten Schilderungen des Lebens und Wirkens des<lb/>
Heilandes und die Erzählungen von den Glaubenshelden des alten Testaments<lb/>
das Herz der gemütvollen Germanen rührten und in ihnen Wurzel schlugen,<lb/>
auch ohne daß sie deshalb die alten Götter, deren Macht erprobt war und<lb/>
denen sie so oft Sieg und Glück verdankt hatten, sogleich abzuschwören brauchten.<lb/>
Vielmehr können sie recht wohl auf diese die ihnen edel scheinenden Eigen¬<lb/>
schaften und Züge der christlichen Gottheit übertragen und so ihre eigenen Götter<lb/>
ans die höhere Kulturstufe, die ihnen in der christlichen Religion entgegentrat,<lb/>
emporzuheben versucht haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1007"> Es scheint nun in der That, als sei der Baldrmythns, wie er, uns in<lb/>
den Ebben entgegentritt, von christlich-jüdischen Einflüssen nicht völlig frei. Man<lb/>
hat dies schon früher beobachtet, ohne indes der Sache so auf deu Grund zu<lb/>
gehen, wie es Bngge gethan hat, und hierin liegt das Hauptverdienst seiner<lb/>
Untersuchungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1008" next="#ID_1009"> In der jüngeren Edda wird Baldrs Tod in folgender Weise erzählt:<lb/>
Baldr, der gute, hatte schwere Träume, die seinem Leben Gefahr drohten. Und<lb/>
als er den Asen seine Trcinme sagte, pflagen sie Rat zusammen und beschlossen,<lb/>
dem Baldr Sicherheit vor allen Gefahren auszuwirken. Da nahm Frigg Eide<lb/>
von Feuer und Wasser, Eisen und allen Erzen, Steinen und Erden, von Bäumen,<lb/>
Krankheiten und Giften, dazu von allen vierfüßigen Tieren, Vögeln und Würmern,<lb/>
daß sie Baldrs schönen wollten. Als das geschehen und allen bekannt war,<lb/>
da kürzweilten die Asen mit Baldrn, daß er sich mitten in den Kreis stellte<lb/>
und einige nach ihm schaffen, andere nach ihm hieben und noch andre mit Steinen<lb/>
warfen. Und was sie auch thaten, es schadete ihm nicht; das däuchte sie alle<lb/>
ein großer Vorteil. Aber als Loki das sah, da gefiel es ihm übel, daß den<lb/>
Baldr nichts verletzen sollte. Dn ging er zu Frigg in der Gestalt eines alten<lb/>
Weibes, und Frigg fragte die Frau, ob sie wüßte, was die Asen in ihrer Ver¬<lb/>
sammlung vornahmen. Die Frau antwortete, sie schossen alle nach Baldrn, ihm<lb/>
aber schade nichts. Da sprach Frigg: Weder Waffen noch Bäume mögen Baldr<lb/>
schaden, ich habe von allen Eide genommen. Da fragte das Weib: Haben alle<lb/>
Dinge Eide geschworen, Buttr zu schonen? Frigg antwortete: Östlich von Walhall<lb/>
wächst eine Staude, Mistelzweig genannt, die schien mir zu jung, sie in Eid<lb/>
zu nehmen. Darauf ging Loki fort, nahm den Mistelzweig, riß ihn ans und<lb/>
ging zur Versammlung. Hödr stand zu äußerst im Kreise der Männer, denn<lb/>
er war blind. Da sprach Loki zu ihm: Warum schießest du nicht nach Baldr?</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1882. ^8</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0305] Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage. Anders steht es mit der Einwirkung christlicher und alttestamentlicher Er¬ zählungen auf den Glauben der Nordleute. Wenn es wahr ist, daß die Wikinger mit den Bewohnern der britischen Inseln nicht nnr Schwerthiebe tauschten, sondern auch in vielfachen friedlichen Verkehr mit ihnen traten, so ist es selbstverständlich, daß die Briten auch Versuche machten, die noch heid¬ nischen Nordleute zum Christentum zu bekehren, und es hat nichts ungereimtes, anzunehmen, daß die begeisterten Schilderungen des Lebens und Wirkens des Heilandes und die Erzählungen von den Glaubenshelden des alten Testaments das Herz der gemütvollen Germanen rührten und in ihnen Wurzel schlugen, auch ohne daß sie deshalb die alten Götter, deren Macht erprobt war und denen sie so oft Sieg und Glück verdankt hatten, sogleich abzuschwören brauchten. Vielmehr können sie recht wohl auf diese die ihnen edel scheinenden Eigen¬ schaften und Züge der christlichen Gottheit übertragen und so ihre eigenen Götter ans die höhere Kulturstufe, die ihnen in der christlichen Religion entgegentrat, emporzuheben versucht haben. Es scheint nun in der That, als sei der Baldrmythns, wie er, uns in den Ebben entgegentritt, von christlich-jüdischen Einflüssen nicht völlig frei. Man hat dies schon früher beobachtet, ohne indes der Sache so auf deu Grund zu gehen, wie es Bngge gethan hat, und hierin liegt das Hauptverdienst seiner Untersuchungen. In der jüngeren Edda wird Baldrs Tod in folgender Weise erzählt: Baldr, der gute, hatte schwere Träume, die seinem Leben Gefahr drohten. Und als er den Asen seine Trcinme sagte, pflagen sie Rat zusammen und beschlossen, dem Baldr Sicherheit vor allen Gefahren auszuwirken. Da nahm Frigg Eide von Feuer und Wasser, Eisen und allen Erzen, Steinen und Erden, von Bäumen, Krankheiten und Giften, dazu von allen vierfüßigen Tieren, Vögeln und Würmern, daß sie Baldrs schönen wollten. Als das geschehen und allen bekannt war, da kürzweilten die Asen mit Baldrn, daß er sich mitten in den Kreis stellte und einige nach ihm schaffen, andere nach ihm hieben und noch andre mit Steinen warfen. Und was sie auch thaten, es schadete ihm nicht; das däuchte sie alle ein großer Vorteil. Aber als Loki das sah, da gefiel es ihm übel, daß den Baldr nichts verletzen sollte. Dn ging er zu Frigg in der Gestalt eines alten Weibes, und Frigg fragte die Frau, ob sie wüßte, was die Asen in ihrer Ver¬ sammlung vornahmen. Die Frau antwortete, sie schossen alle nach Baldrn, ihm aber schade nichts. Da sprach Frigg: Weder Waffen noch Bäume mögen Baldr schaden, ich habe von allen Eide genommen. Da fragte das Weib: Haben alle Dinge Eide geschworen, Buttr zu schonen? Frigg antwortete: Östlich von Walhall wächst eine Staude, Mistelzweig genannt, die schien mir zu jung, sie in Eid zu nehmen. Darauf ging Loki fort, nahm den Mistelzweig, riß ihn ans und ging zur Versammlung. Hödr stand zu äußerst im Kreise der Männer, denn er war blind. Da sprach Loki zu ihm: Warum schießest du nicht nach Baldr? Grenzboten III. 1882. ^8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/305
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/305>, abgerufen am 25.08.2024.