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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage.

ruug (kein Eddalied ist, wie er überzeugend nachweist, in seiner jetzigen Gestalt
älter als das neunte Jahrhundert) so unvergleichlich viel mehr des alten, ur-
germanischen Glaubens erhalten habe als die ältere deutsche, und daß von so
vielen Götter- und Riesenmauer der Liederedda auf deutschem Boden auch nicht
die leiseste Spur übrig geblieben sein sollte. Vielmehr beruht, wie er behauptet,
nahezu alle Besonderheit der nordischen Mythologie ans später Wucherung,
welche hervorgerufen ist durch den Verkehr der skandinavischen Wikinger mit
englischen und irischen Mönchen und Leuten, die in Mönchsschnlen erzogen
waren. Die biblischen Geschichten und Legenden, die Erzählungen aus der alten
Mythologie, mit der jene Mönche nachweislich vertraut waren, regten nach
Bugges Meinung die phautasiebegabten Nordleute so an, daß sie daraus in
eignem Geiste, der von den altheidnischen Vorstellungen noch erfüllt war, neue
Dichtungen schufen, welche sich um ihren alten Glauben wie Ranken schlangen
und mit ihm verwuchsen. Züge verschiedner antiker Mythen flössen dabei oft
zu einem ganzen zusammen, ja Vorstellungen, die aus der Bibel oder andern
jüdisch-christlichen Quellen geschöpft waren, verschmolzen "ans sonderbare Art"
mit griechisch-römischen Sagen, immer aber entstand dank der reichen dichterischen
Anlage der Nordleute ein in sich geschlossenes Ganze, dem man den Ursprung
aus so verschiedenartigen und noch dazu fremde" Elementen nicht anmerkt.

Hier berühren wir sogleich einen der wunden Punkte von Bngges Theorie,
auf welchen schon Müllenhvff in seiner Recension (Deutsche Literaturzeitung, 1381,
Ur. 31) mit Recht scharf hingewiesen hat. Bngge hätte doch zunächst innere Un¬
Wahrscheinlichkeiten und Ungereimtheiten an den Mythen aufdecken sollen, ehe er
behaupten durfte, daß das Ganze einer solchen Dichtung auf eine so seltsame
Art, wofür keine andere Mythologie ein Analogon bietet, aus den verschiedensten
Bestandteilen zusammengesetzt sei. Ich wenigstens kann mir nicht vorstellen,
wie aus lauter Fetzen ein tadelloses neues Kleid entstehen soll. Dazu kommt
aber noch etwas anderes. Bngge setzt die Einführung der fremden Mythen¬
stoffe nach Skandinavien in eine Zeit, wo das deutsche Heidentum dort noch
lebendig war. Nun hat zwar die Annahme durchaus keine Schwierigkeit, daß
der lebendige Glaube eines Volkes bei der Berührung mit einem andern leben¬
digen Glnubeu sich modifizire und daß Götter mit ihrem gestimmten Kultus
verpflanzt, vielleicht auch mit einer heimischen Gottheit ähnlichen Charakters ver¬
schmolzen und ethisch vertieft werden, wie sich das um dem Verhältnis des
Phvnizischen zum griechischen Glanben beobachten läßt. Aber daß ausländische
Mythentrümmer, importirt auf gelehrtem Wege, jemals ins Volk dringen, dort
zu einem neuen Ganzen zusammenschmelzen und sich in wahre, geglaubte Re¬
ligion umsetzen köunen, leugne ich solange, bis dafür irgend ein sicheres
Beispiel vorgebracht wird, und bestreite demnach alle und jede Beeinflussung
der überlieferten nordischen Mythologie durch antike Vorstellungen aufs ent¬
schiedenste.


Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage.

ruug (kein Eddalied ist, wie er überzeugend nachweist, in seiner jetzigen Gestalt
älter als das neunte Jahrhundert) so unvergleichlich viel mehr des alten, ur-
germanischen Glaubens erhalten habe als die ältere deutsche, und daß von so
vielen Götter- und Riesenmauer der Liederedda auf deutschem Boden auch nicht
die leiseste Spur übrig geblieben sein sollte. Vielmehr beruht, wie er behauptet,
nahezu alle Besonderheit der nordischen Mythologie ans später Wucherung,
welche hervorgerufen ist durch den Verkehr der skandinavischen Wikinger mit
englischen und irischen Mönchen und Leuten, die in Mönchsschnlen erzogen
waren. Die biblischen Geschichten und Legenden, die Erzählungen aus der alten
Mythologie, mit der jene Mönche nachweislich vertraut waren, regten nach
Bugges Meinung die phautasiebegabten Nordleute so an, daß sie daraus in
eignem Geiste, der von den altheidnischen Vorstellungen noch erfüllt war, neue
Dichtungen schufen, welche sich um ihren alten Glauben wie Ranken schlangen
und mit ihm verwuchsen. Züge verschiedner antiker Mythen flössen dabei oft
zu einem ganzen zusammen, ja Vorstellungen, die aus der Bibel oder andern
jüdisch-christlichen Quellen geschöpft waren, verschmolzen „ans sonderbare Art"
mit griechisch-römischen Sagen, immer aber entstand dank der reichen dichterischen
Anlage der Nordleute ein in sich geschlossenes Ganze, dem man den Ursprung
aus so verschiedenartigen und noch dazu fremde« Elementen nicht anmerkt.

Hier berühren wir sogleich einen der wunden Punkte von Bngges Theorie,
auf welchen schon Müllenhvff in seiner Recension (Deutsche Literaturzeitung, 1381,
Ur. 31) mit Recht scharf hingewiesen hat. Bngge hätte doch zunächst innere Un¬
Wahrscheinlichkeiten und Ungereimtheiten an den Mythen aufdecken sollen, ehe er
behaupten durfte, daß das Ganze einer solchen Dichtung auf eine so seltsame
Art, wofür keine andere Mythologie ein Analogon bietet, aus den verschiedensten
Bestandteilen zusammengesetzt sei. Ich wenigstens kann mir nicht vorstellen,
wie aus lauter Fetzen ein tadelloses neues Kleid entstehen soll. Dazu kommt
aber noch etwas anderes. Bngge setzt die Einführung der fremden Mythen¬
stoffe nach Skandinavien in eine Zeit, wo das deutsche Heidentum dort noch
lebendig war. Nun hat zwar die Annahme durchaus keine Schwierigkeit, daß
der lebendige Glaube eines Volkes bei der Berührung mit einem andern leben¬
digen Glnubeu sich modifizire und daß Götter mit ihrem gestimmten Kultus
verpflanzt, vielleicht auch mit einer heimischen Gottheit ähnlichen Charakters ver¬
schmolzen und ethisch vertieft werden, wie sich das um dem Verhältnis des
Phvnizischen zum griechischen Glanben beobachten läßt. Aber daß ausländische
Mythentrümmer, importirt auf gelehrtem Wege, jemals ins Volk dringen, dort
zu einem neuen Ganzen zusammenschmelzen und sich in wahre, geglaubte Re¬
ligion umsetzen köunen, leugne ich solange, bis dafür irgend ein sicheres
Beispiel vorgebracht wird, und bestreite demnach alle und jede Beeinflussung
der überlieferten nordischen Mythologie durch antike Vorstellungen aufs ent¬
schiedenste.


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[0304] Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage. ruug (kein Eddalied ist, wie er überzeugend nachweist, in seiner jetzigen Gestalt älter als das neunte Jahrhundert) so unvergleichlich viel mehr des alten, ur- germanischen Glaubens erhalten habe als die ältere deutsche, und daß von so vielen Götter- und Riesenmauer der Liederedda auf deutschem Boden auch nicht die leiseste Spur übrig geblieben sein sollte. Vielmehr beruht, wie er behauptet, nahezu alle Besonderheit der nordischen Mythologie ans später Wucherung, welche hervorgerufen ist durch den Verkehr der skandinavischen Wikinger mit englischen und irischen Mönchen und Leuten, die in Mönchsschnlen erzogen waren. Die biblischen Geschichten und Legenden, die Erzählungen aus der alten Mythologie, mit der jene Mönche nachweislich vertraut waren, regten nach Bugges Meinung die phautasiebegabten Nordleute so an, daß sie daraus in eignem Geiste, der von den altheidnischen Vorstellungen noch erfüllt war, neue Dichtungen schufen, welche sich um ihren alten Glauben wie Ranken schlangen und mit ihm verwuchsen. Züge verschiedner antiker Mythen flössen dabei oft zu einem ganzen zusammen, ja Vorstellungen, die aus der Bibel oder andern jüdisch-christlichen Quellen geschöpft waren, verschmolzen „ans sonderbare Art" mit griechisch-römischen Sagen, immer aber entstand dank der reichen dichterischen Anlage der Nordleute ein in sich geschlossenes Ganze, dem man den Ursprung aus so verschiedenartigen und noch dazu fremde« Elementen nicht anmerkt. Hier berühren wir sogleich einen der wunden Punkte von Bngges Theorie, auf welchen schon Müllenhvff in seiner Recension (Deutsche Literaturzeitung, 1381, Ur. 31) mit Recht scharf hingewiesen hat. Bngge hätte doch zunächst innere Un¬ Wahrscheinlichkeiten und Ungereimtheiten an den Mythen aufdecken sollen, ehe er behaupten durfte, daß das Ganze einer solchen Dichtung auf eine so seltsame Art, wofür keine andere Mythologie ein Analogon bietet, aus den verschiedensten Bestandteilen zusammengesetzt sei. Ich wenigstens kann mir nicht vorstellen, wie aus lauter Fetzen ein tadelloses neues Kleid entstehen soll. Dazu kommt aber noch etwas anderes. Bngge setzt die Einführung der fremden Mythen¬ stoffe nach Skandinavien in eine Zeit, wo das deutsche Heidentum dort noch lebendig war. Nun hat zwar die Annahme durchaus keine Schwierigkeit, daß der lebendige Glaube eines Volkes bei der Berührung mit einem andern leben¬ digen Glnubeu sich modifizire und daß Götter mit ihrem gestimmten Kultus verpflanzt, vielleicht auch mit einer heimischen Gottheit ähnlichen Charakters ver¬ schmolzen und ethisch vertieft werden, wie sich das um dem Verhältnis des Phvnizischen zum griechischen Glanben beobachten läßt. Aber daß ausländische Mythentrümmer, importirt auf gelehrtem Wege, jemals ins Volk dringen, dort zu einem neuen Ganzen zusammenschmelzen und sich in wahre, geglaubte Re¬ ligion umsetzen köunen, leugne ich solange, bis dafür irgend ein sicheres Beispiel vorgebracht wird, und bestreite demnach alle und jede Beeinflussung der überlieferten nordischen Mythologie durch antike Vorstellungen aufs ent¬ schiedenste.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/304>, abgerufen am 25.08.2024.