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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Er antwortete: Weil ich nicht sehe, wo Bcildr steht; zum andern habe ich auch
keine Waffe. Da sprach Loki: Thue doch wie andre Männer und biete Baldrn
Ehre wie alle thun. Ich will dich dahin weisen, wo er steht; so schieße nach
ihm mit diesem Reis. Hödr nahm den Mistelzweig und schoß nach Baldr nach
Lokis Anweisung. Der Schuß flog und durchbohrte ihn, daß er tot zur Erde
fiel, und das war das größte Unglück, das Menschen und Götter betraf.

Wir sind nun in der glücklichen Lage, eine zweite, ältere Überlieferung des
Baldrmythus zu besitzen, die wir dem dänischen Geschichtschreiber Saxo ver¬
danken.*) Ich muß hier auch diese Fassung mitteilen, damit der Leser in den
Stand gesetzt werde, die erforderliche Kritik der Sage, welche uus allein die
Möglichkeit giebt, die in der Edda nen hinzugekommenen Bestandteile auszu-
scheiden, selbst auszuüben, bemerke aber, daß ich den Gang der Handlung nur
im Umriß erzähle.

Holder zeichnet sich schon in der Jugend durch gewaltige Körperstärke aus.
Er ist ein gewandter Bogenschütz und Ringkämpfer, dabei versteht er das Saiten-
spiel so trefflich, daß er die Herzen der Menschen durch seine Weisen zu Freud
und Leid nach seinem Willen stimmen kann. Durch diese Tugenden rührt er
das Herz der Nanna, der Tochter seines Pflegevaters Gevar, und er erwiedert
ihre Liebe. Da erblickt eines Tages Vatter, der Sohn des Odhin, die Nanna
im Bade, und es ergreift ihn so große Sehnsucht nach ihr, daß er um alles
sie zu besitzen wünscht. Auf der Jagd verirrt sich uun Holder in einem tiefen
Walde, und nach langem Suchen trifft er endlich auf ein Haus. Er tritt hinein
und findet hier weise Frauen, welche ihn über die Gefahr, die ihm von Balder
drohe, aufklären, ihn aber zugleich darauf aufmerksam machen, daß Balder als
göttliches Wesen ein gefährlicher Feind sei. Darauf verschwinden sie. Zu Hause
angekommen, wirbt er alsbald um Nanna mW findet Entgegenkommen bei deren
Vater, doch teilt dieser ihm mit, daß anch Balder schon mit der gleichen Bitte
ihn angegangen habe. Dieser aber sei schwer zu verdrängen, denn sein Leib
sei nur durch ein einziges Schwert verwundbar, welches der Waldschrat Miining
in seinem Besitz habe, und zu diesem könne man nur schwer gelangen. Dadurch
läßt sich aber .Holder uicht abschrecken, er sucht den Miming auf und gewinnt
ihm das Schwert ab. Es kommt nun zum Kriege zwischen den Nebenbuhlern,
und gleich in der ersten Seeschlacht gelingt es dein Holder, obwohl auf Seite
des Balder die Götter Odhin und Thor kämpfen und der letztere ihm seine
Keule zerschlägt, jenen zurückzudrängen, sodaß er sich durch die Flucht retten
muß. In der nächsten Schlacht bleibt Balder Sieger, und Holder flieht in
einen tiefen Wald, wo er wieder jene weisen Frauen trifft. Sie raten ihm,
sich eine Zauberspeise aus Schlaugengeifer und einen siegvcrlcihenden Gürtel,
was beides eigentlich für Balder bestimmt sei, zu erwerben, und nachdem er dies



*) Histm-i-r Dam>u, 3. Buch,

Er antwortete: Weil ich nicht sehe, wo Bcildr steht; zum andern habe ich auch
keine Waffe. Da sprach Loki: Thue doch wie andre Männer und biete Baldrn
Ehre wie alle thun. Ich will dich dahin weisen, wo er steht; so schieße nach
ihm mit diesem Reis. Hödr nahm den Mistelzweig und schoß nach Baldr nach
Lokis Anweisung. Der Schuß flog und durchbohrte ihn, daß er tot zur Erde
fiel, und das war das größte Unglück, das Menschen und Götter betraf.

Wir sind nun in der glücklichen Lage, eine zweite, ältere Überlieferung des
Baldrmythus zu besitzen, die wir dem dänischen Geschichtschreiber Saxo ver¬
danken.*) Ich muß hier auch diese Fassung mitteilen, damit der Leser in den
Stand gesetzt werde, die erforderliche Kritik der Sage, welche uus allein die
Möglichkeit giebt, die in der Edda nen hinzugekommenen Bestandteile auszu-
scheiden, selbst auszuüben, bemerke aber, daß ich den Gang der Handlung nur
im Umriß erzähle.

Holder zeichnet sich schon in der Jugend durch gewaltige Körperstärke aus.
Er ist ein gewandter Bogenschütz und Ringkämpfer, dabei versteht er das Saiten-
spiel so trefflich, daß er die Herzen der Menschen durch seine Weisen zu Freud
und Leid nach seinem Willen stimmen kann. Durch diese Tugenden rührt er
das Herz der Nanna, der Tochter seines Pflegevaters Gevar, und er erwiedert
ihre Liebe. Da erblickt eines Tages Vatter, der Sohn des Odhin, die Nanna
im Bade, und es ergreift ihn so große Sehnsucht nach ihr, daß er um alles
sie zu besitzen wünscht. Auf der Jagd verirrt sich uun Holder in einem tiefen
Walde, und nach langem Suchen trifft er endlich auf ein Haus. Er tritt hinein
und findet hier weise Frauen, welche ihn über die Gefahr, die ihm von Balder
drohe, aufklären, ihn aber zugleich darauf aufmerksam machen, daß Balder als
göttliches Wesen ein gefährlicher Feind sei. Darauf verschwinden sie. Zu Hause
angekommen, wirbt er alsbald um Nanna mW findet Entgegenkommen bei deren
Vater, doch teilt dieser ihm mit, daß anch Balder schon mit der gleichen Bitte
ihn angegangen habe. Dieser aber sei schwer zu verdrängen, denn sein Leib
sei nur durch ein einziges Schwert verwundbar, welches der Waldschrat Miining
in seinem Besitz habe, und zu diesem könne man nur schwer gelangen. Dadurch
läßt sich aber .Holder uicht abschrecken, er sucht den Miming auf und gewinnt
ihm das Schwert ab. Es kommt nun zum Kriege zwischen den Nebenbuhlern,
und gleich in der ersten Seeschlacht gelingt es dein Holder, obwohl auf Seite
des Balder die Götter Odhin und Thor kämpfen und der letztere ihm seine
Keule zerschlägt, jenen zurückzudrängen, sodaß er sich durch die Flucht retten
muß. In der nächsten Schlacht bleibt Balder Sieger, und Holder flieht in
einen tiefen Wald, wo er wieder jene weisen Frauen trifft. Sie raten ihm,
sich eine Zauberspeise aus Schlaugengeifer und einen siegvcrlcihenden Gürtel,
was beides eigentlich für Balder bestimmt sei, zu erwerben, und nachdem er dies



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/306>, abgerufen am 25.08.2024.