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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage.

n germanistischen .Kreisen rief es einige Aufregung hervor, als im
November 1879 norwegische Blätter eingehende Berichte über einen
akademischen Bortrag des bekannten skandinavische:? Gelehrten
Sophus Bngge brachten, worin dieser in völlig überzeugender
Weise, wie es hieß, und unter großem Beifall seiner Zuhörer nach¬
gewiesen hatte, daß bei weitem der größte Teil der in den beiden Ebben und sonst
überlieferten nordischen Mythen fremden Ursprungs sei und teils jüdisch-christ-
lichen, teils griechisch-römischen Einflüssen seine Entstehung verdanke. Zugleich
wurden eingehende Untersuchungen über den Gegenstand in Aussicht gestellt.
Von diesen sind bisher zwei Hefte erschienen,'") welche nach "allgemeinen An¬
deutungen" eine ausführliche Abhandlung über die Baldrmythen bringen, worin
untersucht ist: l) der Baldr des isländischen Mythus im Verhältnis zu Christus.
2) Die dänische Sage von Hothcrns und Balderns. 3) Der isländische Baldr-
mythns namentlich in seinem Verhältnis zur Achillessagc.

Es läßt sich uicht leugnen, daß der Verfasser seine Theorie mit glänzendem
Scharfsinn und staunenswerter Gelehrsamkeit verfochten hat, und wenn sich im
folgenden herausstellt, daß er uns nur in verhältnismüßig wenigen Stücken
überzeugt hat, so soll das deu Wert seiner Untersuchungen, die auch in weitern
Kreisen bekannt zu werden verdienen, durchaus uicht schmälern.

Die Quellen, aus denen wir unsere Kenntnis von dem Glauben unserer
heidnischen Vorfahren schöpfen, fließen im gauzeu genommen spärlich, besonders
in Deutschland. Aber die erhaltenen Trümmer mythologischer Vorstellungen sind
doch immerhin so zahlreich und mannichfnltig, daß es einen genialen Forscher
wie Jacob Grimm wohl reizen konnte, den Versuch einer Rekonstruktion des ge-
sammten Systems zu machen. Er that dies in seiner "Deutschen Mythologie"
auf Grund der spezifisch deutschen Überlieferungen, zu denen er die reicheren nor¬
dischen Quellen, insbesondre die beiden Ebben, nnr da vergleichend heranzog,
wo si(.>, zu den deutschen Nachrichten stimmend, diese bestätigten und vervoll¬
ständigten. "Hätte ich den vollen nordischen Reichtum der Untersuchung zum
Grund gelegt, so würde von ihm die deutsche Besonderheit gefährlich überwuchert
worden sein, die vielmehr ans sich selbst entfaltet werden soll."

An diesem "vollen nordischen Reichtum" hat nun Bugge Anstoß genommen.
Es scheint ihm unglaublich, daß die verhältnismäßig junge nordische Überliefe-



Studien über die Entstehung der nordi schen Go leer - und Hel densa g en.
Von Svphus Bunge. Deutsch vou O. Brenner. Erste Reihe, erstes und zweites Heft.
München, Chr. Kaiser, 1831/82. (6 Mark.)
Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage.

n germanistischen .Kreisen rief es einige Aufregung hervor, als im
November 1879 norwegische Blätter eingehende Berichte über einen
akademischen Bortrag des bekannten skandinavische:? Gelehrten
Sophus Bngge brachten, worin dieser in völlig überzeugender
Weise, wie es hieß, und unter großem Beifall seiner Zuhörer nach¬
gewiesen hatte, daß bei weitem der größte Teil der in den beiden Ebben und sonst
überlieferten nordischen Mythen fremden Ursprungs sei und teils jüdisch-christ-
lichen, teils griechisch-römischen Einflüssen seine Entstehung verdanke. Zugleich
wurden eingehende Untersuchungen über den Gegenstand in Aussicht gestellt.
Von diesen sind bisher zwei Hefte erschienen,'") welche nach „allgemeinen An¬
deutungen" eine ausführliche Abhandlung über die Baldrmythen bringen, worin
untersucht ist: l) der Baldr des isländischen Mythus im Verhältnis zu Christus.
2) Die dänische Sage von Hothcrns und Balderns. 3) Der isländische Baldr-
mythns namentlich in seinem Verhältnis zur Achillessagc.

Es läßt sich uicht leugnen, daß der Verfasser seine Theorie mit glänzendem
Scharfsinn und staunenswerter Gelehrsamkeit verfochten hat, und wenn sich im
folgenden herausstellt, daß er uns nur in verhältnismüßig wenigen Stücken
überzeugt hat, so soll das deu Wert seiner Untersuchungen, die auch in weitern
Kreisen bekannt zu werden verdienen, durchaus uicht schmälern.

Die Quellen, aus denen wir unsere Kenntnis von dem Glauben unserer
heidnischen Vorfahren schöpfen, fließen im gauzeu genommen spärlich, besonders
in Deutschland. Aber die erhaltenen Trümmer mythologischer Vorstellungen sind
doch immerhin so zahlreich und mannichfnltig, daß es einen genialen Forscher
wie Jacob Grimm wohl reizen konnte, den Versuch einer Rekonstruktion des ge-
sammten Systems zu machen. Er that dies in seiner „Deutschen Mythologie"
auf Grund der spezifisch deutschen Überlieferungen, zu denen er die reicheren nor¬
dischen Quellen, insbesondre die beiden Ebben, nnr da vergleichend heranzog,
wo si(.>, zu den deutschen Nachrichten stimmend, diese bestätigten und vervoll¬
ständigten. „Hätte ich den vollen nordischen Reichtum der Untersuchung zum
Grund gelegt, so würde von ihm die deutsche Besonderheit gefährlich überwuchert
worden sein, die vielmehr ans sich selbst entfaltet werden soll."

An diesem „vollen nordischen Reichtum" hat nun Bugge Anstoß genommen.
Es scheint ihm unglaublich, daß die verhältnismäßig junge nordische Überliefe-



Studien über die Entstehung der nordi schen Go leer - und Hel densa g en.
Von Svphus Bunge. Deutsch vou O. Brenner. Erste Reihe, erstes und zweites Heft.
München, Chr. Kaiser, 1831/82. (6 Mark.)
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[0303] Der Ursprung der nordischen Götter- und Heldensage. n germanistischen .Kreisen rief es einige Aufregung hervor, als im November 1879 norwegische Blätter eingehende Berichte über einen akademischen Bortrag des bekannten skandinavische:? Gelehrten Sophus Bngge brachten, worin dieser in völlig überzeugender Weise, wie es hieß, und unter großem Beifall seiner Zuhörer nach¬ gewiesen hatte, daß bei weitem der größte Teil der in den beiden Ebben und sonst überlieferten nordischen Mythen fremden Ursprungs sei und teils jüdisch-christ- lichen, teils griechisch-römischen Einflüssen seine Entstehung verdanke. Zugleich wurden eingehende Untersuchungen über den Gegenstand in Aussicht gestellt. Von diesen sind bisher zwei Hefte erschienen,'") welche nach „allgemeinen An¬ deutungen" eine ausführliche Abhandlung über die Baldrmythen bringen, worin untersucht ist: l) der Baldr des isländischen Mythus im Verhältnis zu Christus. 2) Die dänische Sage von Hothcrns und Balderns. 3) Der isländische Baldr- mythns namentlich in seinem Verhältnis zur Achillessagc. Es läßt sich uicht leugnen, daß der Verfasser seine Theorie mit glänzendem Scharfsinn und staunenswerter Gelehrsamkeit verfochten hat, und wenn sich im folgenden herausstellt, daß er uns nur in verhältnismüßig wenigen Stücken überzeugt hat, so soll das deu Wert seiner Untersuchungen, die auch in weitern Kreisen bekannt zu werden verdienen, durchaus uicht schmälern. Die Quellen, aus denen wir unsere Kenntnis von dem Glauben unserer heidnischen Vorfahren schöpfen, fließen im gauzeu genommen spärlich, besonders in Deutschland. Aber die erhaltenen Trümmer mythologischer Vorstellungen sind doch immerhin so zahlreich und mannichfnltig, daß es einen genialen Forscher wie Jacob Grimm wohl reizen konnte, den Versuch einer Rekonstruktion des ge- sammten Systems zu machen. Er that dies in seiner „Deutschen Mythologie" auf Grund der spezifisch deutschen Überlieferungen, zu denen er die reicheren nor¬ dischen Quellen, insbesondre die beiden Ebben, nnr da vergleichend heranzog, wo si(.>, zu den deutschen Nachrichten stimmend, diese bestätigten und vervoll¬ ständigten. „Hätte ich den vollen nordischen Reichtum der Untersuchung zum Grund gelegt, so würde von ihm die deutsche Besonderheit gefährlich überwuchert worden sein, die vielmehr ans sich selbst entfaltet werden soll." An diesem „vollen nordischen Reichtum" hat nun Bugge Anstoß genommen. Es scheint ihm unglaublich, daß die verhältnismäßig junge nordische Überliefe- Studien über die Entstehung der nordi schen Go leer - und Hel densa g en. Von Svphus Bunge. Deutsch vou O. Brenner. Erste Reihe, erstes und zweites Heft. München, Chr. Kaiser, 1831/82. (6 Mark.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/303>, abgerufen am 25.08.2024.