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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zu den deutschen Volksfesten.

habenden Mitgliedern vom Propheten als Belohnung zugestanden, und natürlich
strebt ein jeder nach solchem Ziel.

Unverkennbar sind die Verhältnisse der Geschlechter unter einander beein¬
flußt durch die Ideen der Spiritisten, die ja in Amerika nach Millionen zahlen.
Ihr Kernpunkt ist, wie schon oben erwähnt, die Verwischung der Grenzen
zwischen Geistigen und Leiblichen, zwischen Himmel und Erde, zwischen Geburt
lind Tod. Und indem exaltirte Vorstellungen Einfluß auf die Regelung des
täglichen Lebens gewannen, kamen diese nüchternen, arbeitsamen Sektirer auf
ihre so höchst sonderbaren Familienorduuugeu, die oft an die von den griechischen
Philosophen entwickelten Staatseinrichtungen, oft an die Sitten des Islam, oft
an die der Indianer gemahnen. Unstreitig haben die dem Untergange geweihten
braunen Stämme den weißen Einwandrern den Hauch ihres Geistes zukommen
zu lassen, wie es stets die besiegten Völker den auf ihrer Scholle sich ansiedelnden
gegenüber gethan haben, und es ist eine Mischung von angelsächsischem und
Indianer-Geist, der im Spiritismus und in der Polygamie zum Schrecken der
von europäischem Geist genährten Völker zu Tage tritt.

Um sich das Bestehen des Mormonentums zu erklären und um sich an¬
schaulich zu machen, wie es möglich war, daß Leute vou solchen Ideen so große
Erfolge in verhältnismäßig kurzer Zeit erringen, über solche Verfolgungen trium-
phiren konnten, muß man das Charakteristische der nordamerikanischen Verhält¬
nisse im ganzen ins Auge fassen. Dann wird man aber vielleicht zu der Mei¬
nung kommen, daß es möglich ist, die Polygamie offiziell aufzuheben, möglich,
die Mormonen überhaupt als solche zu vernichten -- obgleich beides unwahr¬
scheinlich ist --, daß aber erst die Zeit und veränderte Geistesrichtungen im¬
stande sein möchten, den Ideen, aus welchen die Mormonen wie die übrigen
Sekten ihre Thatkraft schöpfen, eine andere Gestalt zu geben. So lange wir
aber nicht hören, daß die amerikanischen Sekten angefangen hätten, Fleisch zu
essen, Spirituosen, Kaffee, Thee ?e. zu trinken und den Ackerbau zu vernach-
lässigen, so lange ist ans einen solchen Umschwung uicht zu rechnen.




Zu den deutschen Volksfesten.

in Anschluß an den Artikel von Heinrich Pröhle in Ur. 22 der
Grenzboten "Ein Wort für unsre Volksfeste" geht uns die nach¬
folgende Erzählung zu, welche zeigt, wie mich anderwärts und
ohne Mitwirkung der Kirche Volksfeste tot gemacht worden sind.
Nordöstlich von der kleinen Stadt W. in Schlesien liegt das
Dörfchen K. und unmittelbar an die Stadt schließt sich die W-er Vorstadt an,


Zu den deutschen Volksfesten.

habenden Mitgliedern vom Propheten als Belohnung zugestanden, und natürlich
strebt ein jeder nach solchem Ziel.

Unverkennbar sind die Verhältnisse der Geschlechter unter einander beein¬
flußt durch die Ideen der Spiritisten, die ja in Amerika nach Millionen zahlen.
Ihr Kernpunkt ist, wie schon oben erwähnt, die Verwischung der Grenzen
zwischen Geistigen und Leiblichen, zwischen Himmel und Erde, zwischen Geburt
lind Tod. Und indem exaltirte Vorstellungen Einfluß auf die Regelung des
täglichen Lebens gewannen, kamen diese nüchternen, arbeitsamen Sektirer auf
ihre so höchst sonderbaren Familienorduuugeu, die oft an die von den griechischen
Philosophen entwickelten Staatseinrichtungen, oft an die Sitten des Islam, oft
an die der Indianer gemahnen. Unstreitig haben die dem Untergange geweihten
braunen Stämme den weißen Einwandrern den Hauch ihres Geistes zukommen
zu lassen, wie es stets die besiegten Völker den auf ihrer Scholle sich ansiedelnden
gegenüber gethan haben, und es ist eine Mischung von angelsächsischem und
Indianer-Geist, der im Spiritismus und in der Polygamie zum Schrecken der
von europäischem Geist genährten Völker zu Tage tritt.

Um sich das Bestehen des Mormonentums zu erklären und um sich an¬
schaulich zu machen, wie es möglich war, daß Leute vou solchen Ideen so große
Erfolge in verhältnismäßig kurzer Zeit erringen, über solche Verfolgungen trium-
phiren konnten, muß man das Charakteristische der nordamerikanischen Verhält¬
nisse im ganzen ins Auge fassen. Dann wird man aber vielleicht zu der Mei¬
nung kommen, daß es möglich ist, die Polygamie offiziell aufzuheben, möglich,
die Mormonen überhaupt als solche zu vernichten — obgleich beides unwahr¬
scheinlich ist —, daß aber erst die Zeit und veränderte Geistesrichtungen im¬
stande sein möchten, den Ideen, aus welchen die Mormonen wie die übrigen
Sekten ihre Thatkraft schöpfen, eine andere Gestalt zu geben. So lange wir
aber nicht hören, daß die amerikanischen Sekten angefangen hätten, Fleisch zu
essen, Spirituosen, Kaffee, Thee ?e. zu trinken und den Ackerbau zu vernach-
lässigen, so lange ist ans einen solchen Umschwung uicht zu rechnen.




Zu den deutschen Volksfesten.

in Anschluß an den Artikel von Heinrich Pröhle in Ur. 22 der
Grenzboten „Ein Wort für unsre Volksfeste" geht uns die nach¬
folgende Erzählung zu, welche zeigt, wie mich anderwärts und
ohne Mitwirkung der Kirche Volksfeste tot gemacht worden sind.
Nordöstlich von der kleinen Stadt W. in Schlesien liegt das
Dörfchen K. und unmittelbar an die Stadt schließt sich die W-er Vorstadt an,


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[0030] Zu den deutschen Volksfesten. habenden Mitgliedern vom Propheten als Belohnung zugestanden, und natürlich strebt ein jeder nach solchem Ziel. Unverkennbar sind die Verhältnisse der Geschlechter unter einander beein¬ flußt durch die Ideen der Spiritisten, die ja in Amerika nach Millionen zahlen. Ihr Kernpunkt ist, wie schon oben erwähnt, die Verwischung der Grenzen zwischen Geistigen und Leiblichen, zwischen Himmel und Erde, zwischen Geburt lind Tod. Und indem exaltirte Vorstellungen Einfluß auf die Regelung des täglichen Lebens gewannen, kamen diese nüchternen, arbeitsamen Sektirer auf ihre so höchst sonderbaren Familienorduuugeu, die oft an die von den griechischen Philosophen entwickelten Staatseinrichtungen, oft an die Sitten des Islam, oft an die der Indianer gemahnen. Unstreitig haben die dem Untergange geweihten braunen Stämme den weißen Einwandrern den Hauch ihres Geistes zukommen zu lassen, wie es stets die besiegten Völker den auf ihrer Scholle sich ansiedelnden gegenüber gethan haben, und es ist eine Mischung von angelsächsischem und Indianer-Geist, der im Spiritismus und in der Polygamie zum Schrecken der von europäischem Geist genährten Völker zu Tage tritt. Um sich das Bestehen des Mormonentums zu erklären und um sich an¬ schaulich zu machen, wie es möglich war, daß Leute vou solchen Ideen so große Erfolge in verhältnismäßig kurzer Zeit erringen, über solche Verfolgungen trium- phiren konnten, muß man das Charakteristische der nordamerikanischen Verhält¬ nisse im ganzen ins Auge fassen. Dann wird man aber vielleicht zu der Mei¬ nung kommen, daß es möglich ist, die Polygamie offiziell aufzuheben, möglich, die Mormonen überhaupt als solche zu vernichten — obgleich beides unwahr¬ scheinlich ist —, daß aber erst die Zeit und veränderte Geistesrichtungen im¬ stande sein möchten, den Ideen, aus welchen die Mormonen wie die übrigen Sekten ihre Thatkraft schöpfen, eine andere Gestalt zu geben. So lange wir aber nicht hören, daß die amerikanischen Sekten angefangen hätten, Fleisch zu essen, Spirituosen, Kaffee, Thee ?e. zu trinken und den Ackerbau zu vernach- lässigen, so lange ist ans einen solchen Umschwung uicht zu rechnen. Zu den deutschen Volksfesten. in Anschluß an den Artikel von Heinrich Pröhle in Ur. 22 der Grenzboten „Ein Wort für unsre Volksfeste" geht uns die nach¬ folgende Erzählung zu, welche zeigt, wie mich anderwärts und ohne Mitwirkung der Kirche Volksfeste tot gemacht worden sind. Nordöstlich von der kleinen Stadt W. in Schlesien liegt das Dörfchen K. und unmittelbar an die Stadt schließt sich die W-er Vorstadt an,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/30>, abgerufen am 22.07.2024.