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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zu den deutschen Volksfesten.

die einen reichen Bauernstand hat. Noch vor etwa 40 Jahren wurde zwischen
der Vorstadt und dem Dorfe K. von der Jngend des Dorfes alle Jahre ein
Volksfest gefeiert, an dein eine starke Beteiligung der Nachbardörfer und anch
aus dem Städtchen W. stattfand. Es war dies das sogenannte Gänserichreiten.

Die jungen Leute, die Knechte und Mägde, die Söhne und Töchter der
Bauernschaft, bauten in der Zeit um Pfingsten außerhalb des Dorfes an ge¬
eigneter Stelle eine Ehrenpforte über die Straße, und in der Mitte derselben,
wo sonst ein "Willkommen" zu hängen pflegt, wurde ein toter Gänserich an
den Beinen befestigt. Der Hals desselben wurde bis zur Gurgel eingeschnitten,
und der Kopf hing derart nach unter, daß ein im Bügel stehender Reiter ihn
mit der Hand erfassen konnte.

Sonntags nachmittags zog nnn die ganze Bevölkerung unter Vorantritt
eines Musikchors (3 bis 4 Mann stark) hinaus zum Festplntze, hinter den Musi-
kanten zuerst die festlich geschmückten Jungfern des Dorfes, dann hoch zu Roß
die ganze reitfähige junge Bauernschaft, Pferd und Reiter mit Blumen und
Bändern geschmückt, und endlich die Alten und die Jungen und alles was
Beine hatte.

An der Ehrenpforte bildeten die Jungfern Spalier, und das ganze übrige
Publikum stellte sich in unmittelbarer Nähe ans.

Zuerst ritten nun die jungen Wettkämpfer im Schritt durch die Ehrenpforte
und versuchte,,, ob sie deu Kopf des Gänserichs erfassen könnten, dann im Trabe,
und endlich begann der wirkliche Wettkampf. Die Musikanten spielten ans, und
dabei gings Hurrah, daß Kies und Funken stoben, was die Pferde laufen
konnten, hinter einander her, und jeder versuchte deu Gäusekopf zu erfasse,, und
abzureißen.

Das war nun keine leichte Sache. Der Kopf war glatt, schwankte fort¬
während hin und her, und da Pferde und Reiter verschiedene Größe hatten, so
mußten alle erdenklichen Reiterknuststiicke angewandt werden, um den Kopf über¬
haupt zu erfassen. Gelang es einem, und er saß nicht fest im Sattel, so lief
das Pferd unter ihm weg, der Gäusekopf entglitt der Hand, und der Reiter lag
am Boden. Denn so ein alter Gänserich hatte ein gutes Leder und kräftige
Halsmuskeln und ließ beim ersten Ansturme uicht los.

Die jungen Burschen fanden also hinlänglich Gelegenheit, nicht nur die
Ausdauer und Gewandtheit ihrer Pferde, fondern anch die eigene Kraft und
Geschicklichkeit zu zeigen und zu erproben. War endlich einer so glücklich, den
Kopf abzureißen, so wurde er unter ungeheurem Jnbel als "Gänsekönig" be¬
kränzt und freudig mil Musik und Zurufen begrüßt.

Für die übrigen Burschen waren übrigens noch verschiedene andere Sachen,
Bänder, bunte Tücher und ähnliches, an der Ehrenpforte aufgehängt, und jeder
Reiter suchte dasjenige zu gewinnen, was er von seinem Schatz befestigt glaubte.
Jeder schmückte sich dann mit seiner Bente, und stolzer köunen die Ritter und


Zu den deutschen Volksfesten.

die einen reichen Bauernstand hat. Noch vor etwa 40 Jahren wurde zwischen
der Vorstadt und dem Dorfe K. von der Jngend des Dorfes alle Jahre ein
Volksfest gefeiert, an dein eine starke Beteiligung der Nachbardörfer und anch
aus dem Städtchen W. stattfand. Es war dies das sogenannte Gänserichreiten.

Die jungen Leute, die Knechte und Mägde, die Söhne und Töchter der
Bauernschaft, bauten in der Zeit um Pfingsten außerhalb des Dorfes an ge¬
eigneter Stelle eine Ehrenpforte über die Straße, und in der Mitte derselben,
wo sonst ein „Willkommen" zu hängen pflegt, wurde ein toter Gänserich an
den Beinen befestigt. Der Hals desselben wurde bis zur Gurgel eingeschnitten,
und der Kopf hing derart nach unter, daß ein im Bügel stehender Reiter ihn
mit der Hand erfassen konnte.

Sonntags nachmittags zog nnn die ganze Bevölkerung unter Vorantritt
eines Musikchors (3 bis 4 Mann stark) hinaus zum Festplntze, hinter den Musi-
kanten zuerst die festlich geschmückten Jungfern des Dorfes, dann hoch zu Roß
die ganze reitfähige junge Bauernschaft, Pferd und Reiter mit Blumen und
Bändern geschmückt, und endlich die Alten und die Jungen und alles was
Beine hatte.

An der Ehrenpforte bildeten die Jungfern Spalier, und das ganze übrige
Publikum stellte sich in unmittelbarer Nähe ans.

Zuerst ritten nun die jungen Wettkämpfer im Schritt durch die Ehrenpforte
und versuchte,,, ob sie deu Kopf des Gänserichs erfassen könnten, dann im Trabe,
und endlich begann der wirkliche Wettkampf. Die Musikanten spielten ans, und
dabei gings Hurrah, daß Kies und Funken stoben, was die Pferde laufen
konnten, hinter einander her, und jeder versuchte deu Gäusekopf zu erfasse,, und
abzureißen.

Das war nun keine leichte Sache. Der Kopf war glatt, schwankte fort¬
während hin und her, und da Pferde und Reiter verschiedene Größe hatten, so
mußten alle erdenklichen Reiterknuststiicke angewandt werden, um den Kopf über¬
haupt zu erfassen. Gelang es einem, und er saß nicht fest im Sattel, so lief
das Pferd unter ihm weg, der Gäusekopf entglitt der Hand, und der Reiter lag
am Boden. Denn so ein alter Gänserich hatte ein gutes Leder und kräftige
Halsmuskeln und ließ beim ersten Ansturme uicht los.

Die jungen Burschen fanden also hinlänglich Gelegenheit, nicht nur die
Ausdauer und Gewandtheit ihrer Pferde, fondern anch die eigene Kraft und
Geschicklichkeit zu zeigen und zu erproben. War endlich einer so glücklich, den
Kopf abzureißen, so wurde er unter ungeheurem Jnbel als „Gänsekönig" be¬
kränzt und freudig mil Musik und Zurufen begrüßt.

Für die übrigen Burschen waren übrigens noch verschiedene andere Sachen,
Bänder, bunte Tücher und ähnliches, an der Ehrenpforte aufgehängt, und jeder
Reiter suchte dasjenige zu gewinnen, was er von seinem Schatz befestigt glaubte.
Jeder schmückte sich dann mit seiner Bente, und stolzer köunen die Ritter und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/31>, abgerufen am 03.07.2024.