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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

bildung zu sein schien. Ich denke, die meisten Liebenden lieben ein Ideal, das
in der Luft ein wenig über dem Gegenstande schwebt, dem sie ihre Liebe weihen.
Und ich denke, wir Leute von Genie und Phantasie gelangen leicht dahin, etwas
zu lieben, was vou der wirkliche" Person sehr verschieden ist, und das ist ein
Unglück.

Aber ich schweife schon wieder ab. Um auf die Geschichte zurückzukommen:
Ich machte Gedichte auf Abby. Ich machte ihr den Hof. Ich schnitt mir einem
Weibe zu Gefallen mein langes Haar ab wie Simson. Ich versuchte, mich an¬
ständiger zu kleiden und machte mich ohne Zweifel damit lächerlich; denn man
kann sich nicht wohl kleiden, wenn man kein Talent dazu hat. Und ich hatte
niemals das Genie, das dazu gehört, den Stutzer zu spielen.

Aber verzeih die Abschweifung. Kehren wir zur Sache zurück. Ich sollte
sie heiraten. Der Tag war schon festgesetzt. Da entdeckte ich zufällig, daß sie
mit meinem Bruder Samuel verlobt ist, einem jungen Manne mit mehr
Manieren, als Geist und Herz. Sie brachte ihm den Glauben bei, daß sie
nur ihren Spaß mit mir getrieben. Aber ich glaube, daß sie mich in Wirk¬
lichkeit mehr liebte, als sie sich bewußt war. Als ich ihre Verräterei entdeckte,
schiffte ich mich auf dem ersten besten Flachboot ein, das anf dem Flusse ankam.
Ich war nahe daran, einen Selbstmord zu begehen, und würde eines Nachts
in den Strom gesprungen sein, hätte ich mir nicht überlegt, daß das ihrer Eitel¬
keit geschmeichelt haben würde. Ich kehrte nach einiger Zeit hierher zurück und
ignorirte sie. Sie brach mit Samuel und versuchte, meine Neigung wiederzu¬
gewinnen. Ich begegnete ihr mit Verachtung und Hohn. Ich trat ihr Herz
unter meine Füße. Ich stampfte ihren Stolz in den Staub. Ich war grausam.
Ich sagte ihr, daß ich sie verabscheue. Ich war dem Wahnsinn nahe. Dann
kehrte sie zu Samuel zurück und nötigte ihn, sie zu heiraten. Dann zwang
sie meinen geistesschwachen alten Vater auf seinem Sterbebette, seinen gesammten
Besitz mit Ausnahme dieses Stücks rauhen Hügellandes und tausend Dollars
meinem Bruder Samuel zu vermachen. Aber hier erbaute ich diese Burg.
Meine tausend Dollars verwendete ich auf den Ankauf von Büchern. Ich lernte
die Bettdecken weben, die unsre Landleute so lieben, und auf diesem Wege sowie
durch Verkauf von Holz an die Dampfboote erwarb ich mir meinen Unterhalt
Und vermehrte meine Bibliothek, ohne die Hälfte meiner Zeit arbeiten zu müssen.
Ich war entschlossen, nie von hier wegzuziehen. Ich schwor bei allen Armen
Wischnus, daß sie nie sagen können sollte, sie habe mich weggetrieben. Ich weiß
durchaus nichts von Julien. Aber ich weiß, wessen Tochter sie ist. Mein junger
Freund, sei auf deiner Hut! Ich bitte dich, nimm dich recht in Acht. Der
Hinterwaldsphilosoph warnt dich! (Fälschung folgt.)




Der jüngste Tag.

bildung zu sein schien. Ich denke, die meisten Liebenden lieben ein Ideal, das
in der Luft ein wenig über dem Gegenstande schwebt, dem sie ihre Liebe weihen.
Und ich denke, wir Leute von Genie und Phantasie gelangen leicht dahin, etwas
zu lieben, was vou der wirkliche» Person sehr verschieden ist, und das ist ein
Unglück.

Aber ich schweife schon wieder ab. Um auf die Geschichte zurückzukommen:
Ich machte Gedichte auf Abby. Ich machte ihr den Hof. Ich schnitt mir einem
Weibe zu Gefallen mein langes Haar ab wie Simson. Ich versuchte, mich an¬
ständiger zu kleiden und machte mich ohne Zweifel damit lächerlich; denn man
kann sich nicht wohl kleiden, wenn man kein Talent dazu hat. Und ich hatte
niemals das Genie, das dazu gehört, den Stutzer zu spielen.

Aber verzeih die Abschweifung. Kehren wir zur Sache zurück. Ich sollte
sie heiraten. Der Tag war schon festgesetzt. Da entdeckte ich zufällig, daß sie
mit meinem Bruder Samuel verlobt ist, einem jungen Manne mit mehr
Manieren, als Geist und Herz. Sie brachte ihm den Glauben bei, daß sie
nur ihren Spaß mit mir getrieben. Aber ich glaube, daß sie mich in Wirk¬
lichkeit mehr liebte, als sie sich bewußt war. Als ich ihre Verräterei entdeckte,
schiffte ich mich auf dem ersten besten Flachboot ein, das anf dem Flusse ankam.
Ich war nahe daran, einen Selbstmord zu begehen, und würde eines Nachts
in den Strom gesprungen sein, hätte ich mir nicht überlegt, daß das ihrer Eitel¬
keit geschmeichelt haben würde. Ich kehrte nach einiger Zeit hierher zurück und
ignorirte sie. Sie brach mit Samuel und versuchte, meine Neigung wiederzu¬
gewinnen. Ich begegnete ihr mit Verachtung und Hohn. Ich trat ihr Herz
unter meine Füße. Ich stampfte ihren Stolz in den Staub. Ich war grausam.
Ich sagte ihr, daß ich sie verabscheue. Ich war dem Wahnsinn nahe. Dann
kehrte sie zu Samuel zurück und nötigte ihn, sie zu heiraten. Dann zwang
sie meinen geistesschwachen alten Vater auf seinem Sterbebette, seinen gesammten
Besitz mit Ausnahme dieses Stücks rauhen Hügellandes und tausend Dollars
meinem Bruder Samuel zu vermachen. Aber hier erbaute ich diese Burg.
Meine tausend Dollars verwendete ich auf den Ankauf von Büchern. Ich lernte
die Bettdecken weben, die unsre Landleute so lieben, und auf diesem Wege sowie
durch Verkauf von Holz an die Dampfboote erwarb ich mir meinen Unterhalt
Und vermehrte meine Bibliothek, ohne die Hälfte meiner Zeit arbeiten zu müssen.
Ich war entschlossen, nie von hier wegzuziehen. Ich schwor bei allen Armen
Wischnus, daß sie nie sagen können sollte, sie habe mich weggetrieben. Ich weiß
durchaus nichts von Julien. Aber ich weiß, wessen Tochter sie ist. Mein junger
Freund, sei auf deiner Hut! Ich bitte dich, nimm dich recht in Acht. Der
Hinterwaldsphilosoph warnt dich! (Fälschung folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/295>, abgerufen am 03.07.2024.