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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der jüngste Tag.

dich warnt. Ich lebe jetzt in Frieden. Aber schau mich an. Siehst du nicht
die Veränderungen eines großen Sturmes? Ich finde ein gewisses Glück in der
Philosophie. Aber was ich sein könnte, wenn der Sturm mich nicht in Stücke
zerrissen hätte in meinen Jugendtagen -- was ich hätte werden können, das
bin ich nicht. Ich bitte dich, vertraue niemals das Glück deines Lebens einem
Weibe zur Verwahrung an.

Hier schob Andrew seinen Arm unter Wehles Arm und begann mit ihm
in dem großen Gemache ein Gäßchen auf- und abzupromeniren, das zu beiden
Seiten von dichten Bücherreihen überragt und von einer Kerze schwach er¬
leuchtet war.

Ich bitte dich, hab Acht, sagte er, seine Rede wieder aufnehmend. Ich war
immer ein sonderbarer Kauz. Die Leute meinten, ich sei entweder ein Genie oder
ein Nnrr, und vielleicht hatte ich von beiden vieles. Aber dies ist eine Ab¬
schweifung. Ich zollte den Frauen wenig Aufmerksamkeit. Ich mied sie. Ich
sagte mir, willst du ein großer Schriftsteller werden, ein philosophischer Denker,
so darfst du kein Mann der Gesellschaft sein. Niemals ging ich zu gemein¬
schaftlichem Hvlzschlcigen, Apfelfchülen, Maisenthülsen, Scheunenbauen oder einem
andern unserer ländlichen Feste. Ich glaube, das stachelte die Eitelkeit der
Mädchen an, und sie setzten sich in den Kopf, mich zu fangen. Ich glaube,
sie dachten, daß ich eine Trophäe fein würde, auf die man sich etwas zu gute
thun, deren man sich rühmen könnte. Ich habe bemerkt, daß die Jnger den
Wert eines Wildes nach der Schwierigkeit abschätzen, die seine Erlegung macht.
Doch das ist eine Abschweifung. Laß uns zur Sache zurückkehren.

In dieser Zeit geschah es, daß Abignil Norman zu uns kam. Sie war
hübsch. Ich schwöre bei allen heiligen Katzen Ägyptens, daß sie eine Schönheit
war. Sie war fleißig, die beste Hauswirtin im ganzen Staate. Sie wollte hoch
hinaus. Ich liebte sie deshalb nur umsomehr. Du siehst, ein Mann von leb¬
hafter Einbildungskraft verliebt sich leicht in eine Theaterprinzessin. Aber das
ist wieder eine Abschweifung. Kehren wir zur Sache zurück.

Sie legte ihre Fallen auf meinen Pfad. Während ich die Wälder durch¬
streifte und Gedichte auf Vögel und Eichhörnchen machte, hatte Abby Norman
den Ehrgeiz, zu hoffen, sie werde mich zu ihrem Sklaven machen können, und
sie that es. Sie las Bücher, von denen sie dachte, ich liebte sie. Sie wußte
es in verschiedner Weise so einzurichten, daß es schien, als ob sie gern hätte,
was mir gefiel, und doch hatte sie Verstand genug, um ein wenig verschieden
von mir zu denken und zu empfinden, sodaß sie interessanter wurde. Ich glaube,
ein Mann, der wirklich Geist hat, wird es niemals gern haben, daß ein Mann
oder Weib ganz und gar mit ihm übereinstimmt. Aber kehren wir zur Sache
zurück.

Ich liebte Abigail ganz verzweifelt. Nein, ich liebte Abignil Norman über¬
haupt nicht. Ich liebte sie nicht, wie sie war, sondern wie sie nach meiner Ein-


Der jüngste Tag.

dich warnt. Ich lebe jetzt in Frieden. Aber schau mich an. Siehst du nicht
die Veränderungen eines großen Sturmes? Ich finde ein gewisses Glück in der
Philosophie. Aber was ich sein könnte, wenn der Sturm mich nicht in Stücke
zerrissen hätte in meinen Jugendtagen — was ich hätte werden können, das
bin ich nicht. Ich bitte dich, vertraue niemals das Glück deines Lebens einem
Weibe zur Verwahrung an.

Hier schob Andrew seinen Arm unter Wehles Arm und begann mit ihm
in dem großen Gemache ein Gäßchen auf- und abzupromeniren, das zu beiden
Seiten von dichten Bücherreihen überragt und von einer Kerze schwach er¬
leuchtet war.

Ich bitte dich, hab Acht, sagte er, seine Rede wieder aufnehmend. Ich war
immer ein sonderbarer Kauz. Die Leute meinten, ich sei entweder ein Genie oder
ein Nnrr, und vielleicht hatte ich von beiden vieles. Aber dies ist eine Ab¬
schweifung. Ich zollte den Frauen wenig Aufmerksamkeit. Ich mied sie. Ich
sagte mir, willst du ein großer Schriftsteller werden, ein philosophischer Denker,
so darfst du kein Mann der Gesellschaft sein. Niemals ging ich zu gemein¬
schaftlichem Hvlzschlcigen, Apfelfchülen, Maisenthülsen, Scheunenbauen oder einem
andern unserer ländlichen Feste. Ich glaube, das stachelte die Eitelkeit der
Mädchen an, und sie setzten sich in den Kopf, mich zu fangen. Ich glaube,
sie dachten, daß ich eine Trophäe fein würde, auf die man sich etwas zu gute
thun, deren man sich rühmen könnte. Ich habe bemerkt, daß die Jnger den
Wert eines Wildes nach der Schwierigkeit abschätzen, die seine Erlegung macht.
Doch das ist eine Abschweifung. Laß uns zur Sache zurückkehren.

In dieser Zeit geschah es, daß Abignil Norman zu uns kam. Sie war
hübsch. Ich schwöre bei allen heiligen Katzen Ägyptens, daß sie eine Schönheit
war. Sie war fleißig, die beste Hauswirtin im ganzen Staate. Sie wollte hoch
hinaus. Ich liebte sie deshalb nur umsomehr. Du siehst, ein Mann von leb¬
hafter Einbildungskraft verliebt sich leicht in eine Theaterprinzessin. Aber das
ist wieder eine Abschweifung. Kehren wir zur Sache zurück.

Sie legte ihre Fallen auf meinen Pfad. Während ich die Wälder durch¬
streifte und Gedichte auf Vögel und Eichhörnchen machte, hatte Abby Norman
den Ehrgeiz, zu hoffen, sie werde mich zu ihrem Sklaven machen können, und
sie that es. Sie las Bücher, von denen sie dachte, ich liebte sie. Sie wußte
es in verschiedner Weise so einzurichten, daß es schien, als ob sie gern hätte,
was mir gefiel, und doch hatte sie Verstand genug, um ein wenig verschieden
von mir zu denken und zu empfinden, sodaß sie interessanter wurde. Ich glaube,
ein Mann, der wirklich Geist hat, wird es niemals gern haben, daß ein Mann
oder Weib ganz und gar mit ihm übereinstimmt. Aber kehren wir zur Sache
zurück.

Ich liebte Abigail ganz verzweifelt. Nein, ich liebte Abignil Norman über¬
haupt nicht. Ich liebte sie nicht, wie sie war, sondern wie sie nach meiner Ein-


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[0294] Der jüngste Tag. dich warnt. Ich lebe jetzt in Frieden. Aber schau mich an. Siehst du nicht die Veränderungen eines großen Sturmes? Ich finde ein gewisses Glück in der Philosophie. Aber was ich sein könnte, wenn der Sturm mich nicht in Stücke zerrissen hätte in meinen Jugendtagen — was ich hätte werden können, das bin ich nicht. Ich bitte dich, vertraue niemals das Glück deines Lebens einem Weibe zur Verwahrung an. Hier schob Andrew seinen Arm unter Wehles Arm und begann mit ihm in dem großen Gemache ein Gäßchen auf- und abzupromeniren, das zu beiden Seiten von dichten Bücherreihen überragt und von einer Kerze schwach er¬ leuchtet war. Ich bitte dich, hab Acht, sagte er, seine Rede wieder aufnehmend. Ich war immer ein sonderbarer Kauz. Die Leute meinten, ich sei entweder ein Genie oder ein Nnrr, und vielleicht hatte ich von beiden vieles. Aber dies ist eine Ab¬ schweifung. Ich zollte den Frauen wenig Aufmerksamkeit. Ich mied sie. Ich sagte mir, willst du ein großer Schriftsteller werden, ein philosophischer Denker, so darfst du kein Mann der Gesellschaft sein. Niemals ging ich zu gemein¬ schaftlichem Hvlzschlcigen, Apfelfchülen, Maisenthülsen, Scheunenbauen oder einem andern unserer ländlichen Feste. Ich glaube, das stachelte die Eitelkeit der Mädchen an, und sie setzten sich in den Kopf, mich zu fangen. Ich glaube, sie dachten, daß ich eine Trophäe fein würde, auf die man sich etwas zu gute thun, deren man sich rühmen könnte. Ich habe bemerkt, daß die Jnger den Wert eines Wildes nach der Schwierigkeit abschätzen, die seine Erlegung macht. Doch das ist eine Abschweifung. Laß uns zur Sache zurückkehren. In dieser Zeit geschah es, daß Abignil Norman zu uns kam. Sie war hübsch. Ich schwöre bei allen heiligen Katzen Ägyptens, daß sie eine Schönheit war. Sie war fleißig, die beste Hauswirtin im ganzen Staate. Sie wollte hoch hinaus. Ich liebte sie deshalb nur umsomehr. Du siehst, ein Mann von leb¬ hafter Einbildungskraft verliebt sich leicht in eine Theaterprinzessin. Aber das ist wieder eine Abschweifung. Kehren wir zur Sache zurück. Sie legte ihre Fallen auf meinen Pfad. Während ich die Wälder durch¬ streifte und Gedichte auf Vögel und Eichhörnchen machte, hatte Abby Norman den Ehrgeiz, zu hoffen, sie werde mich zu ihrem Sklaven machen können, und sie that es. Sie las Bücher, von denen sie dachte, ich liebte sie. Sie wußte es in verschiedner Weise so einzurichten, daß es schien, als ob sie gern hätte, was mir gefiel, und doch hatte sie Verstand genug, um ein wenig verschieden von mir zu denken und zu empfinden, sodaß sie interessanter wurde. Ich glaube, ein Mann, der wirklich Geist hat, wird es niemals gern haben, daß ein Mann oder Weib ganz und gar mit ihm übereinstimmt. Aber kehren wir zur Sache zurück. Ich liebte Abigail ganz verzweifelt. Nein, ich liebte Abignil Norman über¬ haupt nicht. Ich liebte sie nicht, wie sie war, sondern wie sie nach meiner Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/294>, abgerufen am 01.07.2024.