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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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ihn denn, sein bürgerliches Dasein uns ein Fach zu gründen, das ihn zu solchen,
mit einem zarten literarischen Ehrgefühl unvereinbarer Mitteln zwingt?

Die erste Berührung des Feuilletons mit der Literatur liegt in den zahl¬
reichen Fenilletvufainmlungen, die nach den Absichten ihrer Verfasser Bücher
darstellen mochten. Sie hoffe" ihren für den Tag geschriebene" Blüttcheu ein
längeres Dasein zu fristen, wenn sie die zerstreuten Zettelchen zu wohlbeleibten
Bänden anfeinanderschichten. Die heutigen Feuilletonisten folgen darin nnr ihren
"Klassikern": Börne war nach seinem eigenen Geständnis "bestimmt zu einem
Autor, der Bücher macht, indem er Blättchen ans Blättchen legt"; und Heine,
der geniale Lyriker, der mit seiner einzigen Tragödie verunglückte, hat als Poet
das umfangreichste in seinen skizzenhaften "Reisebildern" nud den vier losen
Feuilletonbänden des "Salon" gegeben. Aus den Heineschen Bruchstücken sind
bei seinen Nachfolgern immer winzigere Stücklein und Stückchen geworden. Ein
artiges Feuilleton hat heute nicht mehr als zwölf niedrige Spalten. So geben
diese Sammlungen ein wunderliches Mosaik, dessen Steinchen sich nicht einmal
zu einem Bilde zusammenfügen.

Es wäre überflüssig, den Unterschied zwischen dem flüchtig andeutenden
Feuilleton und dem gewissenhaft erschöpfenden Buche hervorzuheben, wenn nicht
hente selbst viele Bücher nach dem bestechenden Fenilletonstile haschten. Gewiß
ist es zu bedauern, daß wir Deutschen bei unsrer tiefen Gelehrsamkeit und dem
reichen Gedankenschntze die Gabe stilistisch schöner und klarer Darstellung so
selten besitzen, aber der willkürliche, springende Fenilletvnstil sollte am wenigsten
als Heilmittel hiergegen empfohlen werden. Hält die unbeholfene Dunkelheit
vieler wertvoller Bücher auch solche ub, die wohl fähig wären, sie in sich auf¬
zunehmen, so würde die fenilletonistische Schreibart zu jener verwerflich stachen
Popularisirung führen, welche die Unberufenstem an: verführerischsten anlockt.
Wir müssen hier die oben gegebenen Andeutungen über den Gegensatz von Buch
und Feuilleton vervollständigen. Das Feuilleton vereinzelt, zerstückelt und
bröckelt in einzelne Prachtstückchen auseinander; das Buch will sammelnd viele
Teile zu einem Ganzen fügen. Die geistreichen Spitzen und Gegensätze, in
denen sich das Feuilleton bewegt, sind ein zweideutiger, vielleicht gefährlicher
Vorzug für ein Buch, das in einheitlich zielbewußter Bewegung große Ge-
danlenmassen zu einem Bau ordnet; jedenfalls sind sie ein entbehrlicher Schmuck,
der dem Inhalte wesensnngleich ist, mehr blendet als befriedigt. Die Schrift¬
steller aber, die um des lieben Erfolges willen ihre Vüchelchen mit derlei
kurzweiligen Sächelchen verbrämen, sollten bedenken, daß ein Ding, welches
zwischen Buch und Feuilleton unentschlossen hin- und herschwankt, eine Mi߬
geburt werden muß. Lessing äußert sich ganz ähnlich an einer Stelle, wo er
seinen in Metaphern, Gleichnissen, Bildern mutwillig spielenden Stil ver¬
teidigt, aber auch preisgiebt, über deu Unterschied des "Dialogisten" und
"Prosaikers" und sagt: "Ich gebe den meinen (den Stil) aller Welt preis,


ihn denn, sein bürgerliches Dasein uns ein Fach zu gründen, das ihn zu solchen,
mit einem zarten literarischen Ehrgefühl unvereinbarer Mitteln zwingt?

Die erste Berührung des Feuilletons mit der Literatur liegt in den zahl¬
reichen Fenilletvufainmlungen, die nach den Absichten ihrer Verfasser Bücher
darstellen mochten. Sie hoffe» ihren für den Tag geschriebene« Blüttcheu ein
längeres Dasein zu fristen, wenn sie die zerstreuten Zettelchen zu wohlbeleibten
Bänden anfeinanderschichten. Die heutigen Feuilletonisten folgen darin nnr ihren
„Klassikern": Börne war nach seinem eigenen Geständnis „bestimmt zu einem
Autor, der Bücher macht, indem er Blättchen ans Blättchen legt"; und Heine,
der geniale Lyriker, der mit seiner einzigen Tragödie verunglückte, hat als Poet
das umfangreichste in seinen skizzenhaften „Reisebildern" nud den vier losen
Feuilletonbänden des „Salon" gegeben. Aus den Heineschen Bruchstücken sind
bei seinen Nachfolgern immer winzigere Stücklein und Stückchen geworden. Ein
artiges Feuilleton hat heute nicht mehr als zwölf niedrige Spalten. So geben
diese Sammlungen ein wunderliches Mosaik, dessen Steinchen sich nicht einmal
zu einem Bilde zusammenfügen.

Es wäre überflüssig, den Unterschied zwischen dem flüchtig andeutenden
Feuilleton und dem gewissenhaft erschöpfenden Buche hervorzuheben, wenn nicht
hente selbst viele Bücher nach dem bestechenden Fenilletonstile haschten. Gewiß
ist es zu bedauern, daß wir Deutschen bei unsrer tiefen Gelehrsamkeit und dem
reichen Gedankenschntze die Gabe stilistisch schöner und klarer Darstellung so
selten besitzen, aber der willkürliche, springende Fenilletvnstil sollte am wenigsten
als Heilmittel hiergegen empfohlen werden. Hält die unbeholfene Dunkelheit
vieler wertvoller Bücher auch solche ub, die wohl fähig wären, sie in sich auf¬
zunehmen, so würde die fenilletonistische Schreibart zu jener verwerflich stachen
Popularisirung führen, welche die Unberufenstem an: verführerischsten anlockt.
Wir müssen hier die oben gegebenen Andeutungen über den Gegensatz von Buch
und Feuilleton vervollständigen. Das Feuilleton vereinzelt, zerstückelt und
bröckelt in einzelne Prachtstückchen auseinander; das Buch will sammelnd viele
Teile zu einem Ganzen fügen. Die geistreichen Spitzen und Gegensätze, in
denen sich das Feuilleton bewegt, sind ein zweideutiger, vielleicht gefährlicher
Vorzug für ein Buch, das in einheitlich zielbewußter Bewegung große Ge-
danlenmassen zu einem Bau ordnet; jedenfalls sind sie ein entbehrlicher Schmuck,
der dem Inhalte wesensnngleich ist, mehr blendet als befriedigt. Die Schrift¬
steller aber, die um des lieben Erfolges willen ihre Vüchelchen mit derlei
kurzweiligen Sächelchen verbrämen, sollten bedenken, daß ein Ding, welches
zwischen Buch und Feuilleton unentschlossen hin- und herschwankt, eine Mi߬
geburt werden muß. Lessing äußert sich ganz ähnlich an einer Stelle, wo er
seinen in Metaphern, Gleichnissen, Bildern mutwillig spielenden Stil ver¬
teidigt, aber auch preisgiebt, über deu Unterschied des „Dialogisten" und
„Prosaikers" und sagt: „Ich gebe den meinen (den Stil) aller Welt preis,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/271>, abgerufen am 29.06.2024.