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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.

und freilich mag ihn das Theater ein wenig verdorben haben. Ich kenne den
Hauptfehler sehr wohl, der ihn von so manchen andern Stilen auszeichnen soll;
und alles, was zu merklich auszeichnet, ist Fehler. . . . Ich denke sogar, selbst
Cicero, wenn er ein besserer Dialogist gewesen wäre, würde in seinen übrigen
in eins fortlaufenden Schriften so wunderbar nicht sein. In diesen bleibt die
Richtung der Gedanken immer die nämliche, die sich in dem Dialog alle
Augenblicke verändert. Jene erfordern einen gesetzten, immer gleichen Schritt,
dieser verlangt mitunter Sprünge, und selten ist ein hoher Springer ein guter,
ebener Tänzer." Das Feuilleton hat dies springende, willkürliche des dialogisch-
dramatischen Stiles sich längst angeeignet, um seiner Mischung im dramatischen
ein lebendiges Element zuzuführen. Lessing, der Dialogist, welcher Dialogist bleibt
in allen prosaischen Schriften, hat nie ein Vues geschrieben, auch nie eins schreibe"
wollen; er hielt sich streng in seinen Grenzen und nannte sogar den "Laokoon"
bescheiden "mehr Kollektaneen zu einem Buche, als ein Buch." Er blieb doch
immer "Fragmentist," wenn auch der größte unter den großen Fragmentisten
des mittlern und ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts. Unsre jungen Zeitungs-
lessinge aber, die den Namen ihres selbsterkornen Meisters stündlich, meist unnütz,
auf den Lippen führen, glauben Bücher zu machen, wenn sie vergilbte Zei-
tuugsblütter zusammenbinden lassen. Der Buchbinder ist es, der das beste
dabei thut.

Der Weg vom Feuilleton zum Buche geht über den Essai. Ein wirkliches
Buch zu schreiben unterfängt sich der Journalist erst als einer, der aufhören
will, Journalist zu sein; meist überläßt er diese schwierige, undankbare Aufgabe
solchen, die sich mit langsameren Erfolgen begnügen; aber Essais glaubt jeder
schreiben zu können, der einmal eine Sonntagsplanderei verbrochen hat. In
seiner bequemen Eigenliebe meint er, jedes Feuilleton wäre an sich schon ein
Essai, und jeder wahre Essai müßte ein Feuilleton sein. Verwandeln wir das
fremde "Essai" in den bescheidenen deutschen "Versuch" und fügen wir deu andern
Namen hinzu, deu solche Werkchen bei gelehrtereu Leuten noch heute haben,
"Abhandlung," so können wir aus den unbestimmten Namen auf die uicht
ganz bestimmbare Sache schließen: auf eine kleinere Form, die einen beliebigen
Gegenstand versuchsweise abhaudelt. Die Grenzen siud dabei so eng oder so
weit, als sie der Verfasser sich selbst steckt; über Kürze und Länge entscheidet
die Natur des Stoffes, der beliebig ist, selbst die Form wird aus letzterer be¬
dingt, da aus allen Gebieten des menschlichen Wissens sich einzelne Punkte
zu gesonderter Betrachtung herausheben lassen. Der Versuch ist die angemessene
Form für alle, die auf systematische Vollständigkeit verzichtend, über gewisse
Sachen nen gefundene oder geordnete Gedanken mitteilen, die lieber andeuten
und hinweisen als erschöpfen. Nicht einmal vollständige Allseitigkeit der Be¬
handlung des einzelnen Gegenstandes verlangt die freie Form des Essais;
die Aufschrift schon kann einseitige Beleuchtung von einem Gesichtspunkte


Das heutige Feuilleton.

und freilich mag ihn das Theater ein wenig verdorben haben. Ich kenne den
Hauptfehler sehr wohl, der ihn von so manchen andern Stilen auszeichnen soll;
und alles, was zu merklich auszeichnet, ist Fehler. . . . Ich denke sogar, selbst
Cicero, wenn er ein besserer Dialogist gewesen wäre, würde in seinen übrigen
in eins fortlaufenden Schriften so wunderbar nicht sein. In diesen bleibt die
Richtung der Gedanken immer die nämliche, die sich in dem Dialog alle
Augenblicke verändert. Jene erfordern einen gesetzten, immer gleichen Schritt,
dieser verlangt mitunter Sprünge, und selten ist ein hoher Springer ein guter,
ebener Tänzer." Das Feuilleton hat dies springende, willkürliche des dialogisch-
dramatischen Stiles sich längst angeeignet, um seiner Mischung im dramatischen
ein lebendiges Element zuzuführen. Lessing, der Dialogist, welcher Dialogist bleibt
in allen prosaischen Schriften, hat nie ein Vues geschrieben, auch nie eins schreibe»
wollen; er hielt sich streng in seinen Grenzen und nannte sogar den „Laokoon"
bescheiden „mehr Kollektaneen zu einem Buche, als ein Buch." Er blieb doch
immer „Fragmentist," wenn auch der größte unter den großen Fragmentisten
des mittlern und ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts. Unsre jungen Zeitungs-
lessinge aber, die den Namen ihres selbsterkornen Meisters stündlich, meist unnütz,
auf den Lippen führen, glauben Bücher zu machen, wenn sie vergilbte Zei-
tuugsblütter zusammenbinden lassen. Der Buchbinder ist es, der das beste
dabei thut.

Der Weg vom Feuilleton zum Buche geht über den Essai. Ein wirkliches
Buch zu schreiben unterfängt sich der Journalist erst als einer, der aufhören
will, Journalist zu sein; meist überläßt er diese schwierige, undankbare Aufgabe
solchen, die sich mit langsameren Erfolgen begnügen; aber Essais glaubt jeder
schreiben zu können, der einmal eine Sonntagsplanderei verbrochen hat. In
seiner bequemen Eigenliebe meint er, jedes Feuilleton wäre an sich schon ein
Essai, und jeder wahre Essai müßte ein Feuilleton sein. Verwandeln wir das
fremde „Essai" in den bescheidenen deutschen „Versuch" und fügen wir deu andern
Namen hinzu, deu solche Werkchen bei gelehrtereu Leuten noch heute haben,
„Abhandlung," so können wir aus den unbestimmten Namen auf die uicht
ganz bestimmbare Sache schließen: auf eine kleinere Form, die einen beliebigen
Gegenstand versuchsweise abhaudelt. Die Grenzen siud dabei so eng oder so
weit, als sie der Verfasser sich selbst steckt; über Kürze und Länge entscheidet
die Natur des Stoffes, der beliebig ist, selbst die Form wird aus letzterer be¬
dingt, da aus allen Gebieten des menschlichen Wissens sich einzelne Punkte
zu gesonderter Betrachtung herausheben lassen. Der Versuch ist die angemessene
Form für alle, die auf systematische Vollständigkeit verzichtend, über gewisse
Sachen nen gefundene oder geordnete Gedanken mitteilen, die lieber andeuten
und hinweisen als erschöpfen. Nicht einmal vollständige Allseitigkeit der Be¬
handlung des einzelnen Gegenstandes verlangt die freie Form des Essais;
die Aufschrift schon kann einseitige Beleuchtung von einem Gesichtspunkte


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[0272] Das heutige Feuilleton. und freilich mag ihn das Theater ein wenig verdorben haben. Ich kenne den Hauptfehler sehr wohl, der ihn von so manchen andern Stilen auszeichnen soll; und alles, was zu merklich auszeichnet, ist Fehler. . . . Ich denke sogar, selbst Cicero, wenn er ein besserer Dialogist gewesen wäre, würde in seinen übrigen in eins fortlaufenden Schriften so wunderbar nicht sein. In diesen bleibt die Richtung der Gedanken immer die nämliche, die sich in dem Dialog alle Augenblicke verändert. Jene erfordern einen gesetzten, immer gleichen Schritt, dieser verlangt mitunter Sprünge, und selten ist ein hoher Springer ein guter, ebener Tänzer." Das Feuilleton hat dies springende, willkürliche des dialogisch- dramatischen Stiles sich längst angeeignet, um seiner Mischung im dramatischen ein lebendiges Element zuzuführen. Lessing, der Dialogist, welcher Dialogist bleibt in allen prosaischen Schriften, hat nie ein Vues geschrieben, auch nie eins schreibe» wollen; er hielt sich streng in seinen Grenzen und nannte sogar den „Laokoon" bescheiden „mehr Kollektaneen zu einem Buche, als ein Buch." Er blieb doch immer „Fragmentist," wenn auch der größte unter den großen Fragmentisten des mittlern und ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts. Unsre jungen Zeitungs- lessinge aber, die den Namen ihres selbsterkornen Meisters stündlich, meist unnütz, auf den Lippen führen, glauben Bücher zu machen, wenn sie vergilbte Zei- tuugsblütter zusammenbinden lassen. Der Buchbinder ist es, der das beste dabei thut. Der Weg vom Feuilleton zum Buche geht über den Essai. Ein wirkliches Buch zu schreiben unterfängt sich der Journalist erst als einer, der aufhören will, Journalist zu sein; meist überläßt er diese schwierige, undankbare Aufgabe solchen, die sich mit langsameren Erfolgen begnügen; aber Essais glaubt jeder schreiben zu können, der einmal eine Sonntagsplanderei verbrochen hat. In seiner bequemen Eigenliebe meint er, jedes Feuilleton wäre an sich schon ein Essai, und jeder wahre Essai müßte ein Feuilleton sein. Verwandeln wir das fremde „Essai" in den bescheidenen deutschen „Versuch" und fügen wir deu andern Namen hinzu, deu solche Werkchen bei gelehrtereu Leuten noch heute haben, „Abhandlung," so können wir aus den unbestimmten Namen auf die uicht ganz bestimmbare Sache schließen: auf eine kleinere Form, die einen beliebigen Gegenstand versuchsweise abhaudelt. Die Grenzen siud dabei so eng oder so weit, als sie der Verfasser sich selbst steckt; über Kürze und Länge entscheidet die Natur des Stoffes, der beliebig ist, selbst die Form wird aus letzterer be¬ dingt, da aus allen Gebieten des menschlichen Wissens sich einzelne Punkte zu gesonderter Betrachtung herausheben lassen. Der Versuch ist die angemessene Form für alle, die auf systematische Vollständigkeit verzichtend, über gewisse Sachen nen gefundene oder geordnete Gedanken mitteilen, die lieber andeuten und hinweisen als erschöpfen. Nicht einmal vollständige Allseitigkeit der Be¬ handlung des einzelnen Gegenstandes verlangt die freie Form des Essais; die Aufschrift schon kann einseitige Beleuchtung von einem Gesichtspunkte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/272>, abgerufen am 26.06.2024.