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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.

Mir i" Kleinigkeiten groß ist. Das vorige Jahrhundert schied noch zwischen
Literaten, die sich durch das Zeitungswesen ihr Brot verdienten, und Schrift¬
stellern wie Dichtern, die ihr Dnsein sichrer begründeten und dabei Werke schufen,
die über die Tagesnbsichten Hinalls wahrhaft forderten. Ein Mann wie Lessing,
der jahrelang allein von den Erträgnissen heikler Feder lebend, ein unruhiges
Literatendasein führte, ist unter den Männern unsrer großen Literatur eine ver¬
einzelte Erscheinung. Aber auch er suchte andre Hilfsquellen als die unsichern
Ertrngsaussichten literarische" Erwerbs: bald genug wandte er sich, dieses
Treibens milde, vom ungebundenen Literatentume ab und gründete sein Dasein
wie sein Faiuilienleben auf seine gelehrten Kenntnisse, die ihm zum Wolfen-
bnttler Bibliothekariat Verhalten. Jetzt hat sich im Anschluß an die nber-
wnchernde Entwicklung der Presse ein eigner Stand politischer und schöngeistiger
Literaten gebildet, die auf der goldnen Unterlage bequemer Zeitnngshoiiorare
als Mitglieder der literarischen Republik die deutsche Literatur "machen." Sie
haben es Goethe" bitter verdacht, daß er nicht als berufsmäßiger Dichter in
eben dem engen Kreise von Schriftstellerei aufging, in welchem sie sich mit soviel
Selbstgefühl und Behagen drehen. Sie haben es ihm noch nicht vergeben, daß
er es vorzog, Freund und Minister eines Fürsten zu sein, als, wie sie sagen,
"mit allen Kräften danach zu streben, seinem Volke ein großer Dichter zu werden."
Das heißt, wenn murs übersetzt, daß er es verschmähte, sein ganzes Dasein mit
berufsmäßiger Schriftstellerei an- und auszufüllen, wie es zum Beispiel Jean
Paul that, der eben darum kein großer Dichter ward, weil er mir Schreib-
stubenluft atmete. Den warnenden Zuruf des alten Goethe um junge Dichter,
daß die Muse das Leben "zwar zu begleiten, aber nicht zu leiten verstehe,"
haben sie nicht begriffen oder begreifen wollen. Die neue Muse vollends, die
im Redaktionszimmer waltet, versteht sich noch schlechter als die lyrische, die
Goethe an unsrer Stelle meint, ans die "Leitung" eines Dichterlebens. Umso
besser freilich auf die Honorare.

Diese "Personalunion" zwischen Journalismus und Literatur hat den Jour-
nalismus nicht gehoben, die Literatur herabgezogen. Wenn Journalist und
Dichter eine Person sind, wird eher der Dichter ein Journalist als der Jour-
nalist ein Dichter. Die Dichtkunst wird zum Geschäft, zur "melkenden Kuh."
Es ist eine betrübende Thatsache, daß selbst die ersten unter den heutigen
Alltoren ihre neuesten Werke dein Volke in den Spalten der Zeitungen zerstückelt
vorsetzen. Wenn einige gnr sich nicht scheuen, denselben Roman in sechs Blättern
zugleich erscheinen zu lassen, so erinnert solch nutzbringendes Verfahren doch zu
nahe an das einträglich "arbeitende" Bvrsenkapital. Den Ruhm des "gelesensten"
Autors kann man einem solchen Schriftsteller nicht abstreiten; er hinwieder kann
billig nicht verlangen, daß man an die nützlich angelegten "Produkte" des rech-
nenden Geschäftsmannes einen künstlerischen Maßstab lege. Für den Familien¬
vater mag solche Finanzknnst bisweilen eine Notwendigkeit sein, wer aber heißt


Das heutige Feuilleton.

Mir i» Kleinigkeiten groß ist. Das vorige Jahrhundert schied noch zwischen
Literaten, die sich durch das Zeitungswesen ihr Brot verdienten, und Schrift¬
stellern wie Dichtern, die ihr Dnsein sichrer begründeten und dabei Werke schufen,
die über die Tagesnbsichten Hinalls wahrhaft forderten. Ein Mann wie Lessing,
der jahrelang allein von den Erträgnissen heikler Feder lebend, ein unruhiges
Literatendasein führte, ist unter den Männern unsrer großen Literatur eine ver¬
einzelte Erscheinung. Aber auch er suchte andre Hilfsquellen als die unsichern
Ertrngsaussichten literarische» Erwerbs: bald genug wandte er sich, dieses
Treibens milde, vom ungebundenen Literatentume ab und gründete sein Dasein
wie sein Faiuilienleben auf seine gelehrten Kenntnisse, die ihm zum Wolfen-
bnttler Bibliothekariat Verhalten. Jetzt hat sich im Anschluß an die nber-
wnchernde Entwicklung der Presse ein eigner Stand politischer und schöngeistiger
Literaten gebildet, die auf der goldnen Unterlage bequemer Zeitnngshoiiorare
als Mitglieder der literarischen Republik die deutsche Literatur „machen." Sie
haben es Goethe» bitter verdacht, daß er nicht als berufsmäßiger Dichter in
eben dem engen Kreise von Schriftstellerei aufging, in welchem sie sich mit soviel
Selbstgefühl und Behagen drehen. Sie haben es ihm noch nicht vergeben, daß
er es vorzog, Freund und Minister eines Fürsten zu sein, als, wie sie sagen,
„mit allen Kräften danach zu streben, seinem Volke ein großer Dichter zu werden."
Das heißt, wenn murs übersetzt, daß er es verschmähte, sein ganzes Dasein mit
berufsmäßiger Schriftstellerei an- und auszufüllen, wie es zum Beispiel Jean
Paul that, der eben darum kein großer Dichter ward, weil er mir Schreib-
stubenluft atmete. Den warnenden Zuruf des alten Goethe um junge Dichter,
daß die Muse das Leben „zwar zu begleiten, aber nicht zu leiten verstehe,"
haben sie nicht begriffen oder begreifen wollen. Die neue Muse vollends, die
im Redaktionszimmer waltet, versteht sich noch schlechter als die lyrische, die
Goethe an unsrer Stelle meint, ans die „Leitung" eines Dichterlebens. Umso
besser freilich auf die Honorare.

Diese „Personalunion" zwischen Journalismus und Literatur hat den Jour-
nalismus nicht gehoben, die Literatur herabgezogen. Wenn Journalist und
Dichter eine Person sind, wird eher der Dichter ein Journalist als der Jour-
nalist ein Dichter. Die Dichtkunst wird zum Geschäft, zur „melkenden Kuh."
Es ist eine betrübende Thatsache, daß selbst die ersten unter den heutigen
Alltoren ihre neuesten Werke dein Volke in den Spalten der Zeitungen zerstückelt
vorsetzen. Wenn einige gnr sich nicht scheuen, denselben Roman in sechs Blättern
zugleich erscheinen zu lassen, so erinnert solch nutzbringendes Verfahren doch zu
nahe an das einträglich „arbeitende" Bvrsenkapital. Den Ruhm des „gelesensten"
Autors kann man einem solchen Schriftsteller nicht abstreiten; er hinwieder kann
billig nicht verlangen, daß man an die nützlich angelegten „Produkte" des rech-
nenden Geschäftsmannes einen künstlerischen Maßstab lege. Für den Familien¬
vater mag solche Finanzknnst bisweilen eine Notwendigkeit sein, wer aber heißt


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[0270] Das heutige Feuilleton. Mir i» Kleinigkeiten groß ist. Das vorige Jahrhundert schied noch zwischen Literaten, die sich durch das Zeitungswesen ihr Brot verdienten, und Schrift¬ stellern wie Dichtern, die ihr Dnsein sichrer begründeten und dabei Werke schufen, die über die Tagesnbsichten Hinalls wahrhaft forderten. Ein Mann wie Lessing, der jahrelang allein von den Erträgnissen heikler Feder lebend, ein unruhiges Literatendasein führte, ist unter den Männern unsrer großen Literatur eine ver¬ einzelte Erscheinung. Aber auch er suchte andre Hilfsquellen als die unsichern Ertrngsaussichten literarische» Erwerbs: bald genug wandte er sich, dieses Treibens milde, vom ungebundenen Literatentume ab und gründete sein Dasein wie sein Faiuilienleben auf seine gelehrten Kenntnisse, die ihm zum Wolfen- bnttler Bibliothekariat Verhalten. Jetzt hat sich im Anschluß an die nber- wnchernde Entwicklung der Presse ein eigner Stand politischer und schöngeistiger Literaten gebildet, die auf der goldnen Unterlage bequemer Zeitnngshoiiorare als Mitglieder der literarischen Republik die deutsche Literatur „machen." Sie haben es Goethe» bitter verdacht, daß er nicht als berufsmäßiger Dichter in eben dem engen Kreise von Schriftstellerei aufging, in welchem sie sich mit soviel Selbstgefühl und Behagen drehen. Sie haben es ihm noch nicht vergeben, daß er es vorzog, Freund und Minister eines Fürsten zu sein, als, wie sie sagen, „mit allen Kräften danach zu streben, seinem Volke ein großer Dichter zu werden." Das heißt, wenn murs übersetzt, daß er es verschmähte, sein ganzes Dasein mit berufsmäßiger Schriftstellerei an- und auszufüllen, wie es zum Beispiel Jean Paul that, der eben darum kein großer Dichter ward, weil er mir Schreib- stubenluft atmete. Den warnenden Zuruf des alten Goethe um junge Dichter, daß die Muse das Leben „zwar zu begleiten, aber nicht zu leiten verstehe," haben sie nicht begriffen oder begreifen wollen. Die neue Muse vollends, die im Redaktionszimmer waltet, versteht sich noch schlechter als die lyrische, die Goethe an unsrer Stelle meint, ans die „Leitung" eines Dichterlebens. Umso besser freilich auf die Honorare. Diese „Personalunion" zwischen Journalismus und Literatur hat den Jour- nalismus nicht gehoben, die Literatur herabgezogen. Wenn Journalist und Dichter eine Person sind, wird eher der Dichter ein Journalist als der Jour- nalist ein Dichter. Die Dichtkunst wird zum Geschäft, zur „melkenden Kuh." Es ist eine betrübende Thatsache, daß selbst die ersten unter den heutigen Alltoren ihre neuesten Werke dein Volke in den Spalten der Zeitungen zerstückelt vorsetzen. Wenn einige gnr sich nicht scheuen, denselben Roman in sechs Blättern zugleich erscheinen zu lassen, so erinnert solch nutzbringendes Verfahren doch zu nahe an das einträglich „arbeitende" Bvrsenkapital. Den Ruhm des „gelesensten" Autors kann man einem solchen Schriftsteller nicht abstreiten; er hinwieder kann billig nicht verlangen, daß man an die nützlich angelegten „Produkte" des rech- nenden Geschäftsmannes einen künstlerischen Maßstab lege. Für den Familien¬ vater mag solche Finanzknnst bisweilen eine Notwendigkeit sein, wer aber heißt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/270>, abgerufen am 01.07.2024.