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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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nicht selbst Untersuchungen an, sondern bringen die Ergebnisse fremder Forschungen,
sie enthalten nicht eigene Arbeit, sondern die Früchte fremde" Schaffens. Da
sie auf den Beifall einer denkfaulen großen Masse von bequemen Zeitungslesern
angewiesen sind, die weder Lust noch Fähigkeit besitzen, einer folgerechten Unter¬
suchung mit Anstrengung zu folgen, so fällt auch hier der geschickten Mache der
Löwenanteil zu. Hinter der pikant unterhaltenden Zurichtung verschwindet für
den blöden Leser die Bedeutsamkeit des Inhalts, und die Kunst des eigensüch¬
tigen Feuilletonisten ist eitel genug, die Sorge um den Gegenstand dem selbst-
genügsamen Schillern der Darstellung nachzusetzen.

Wir haben die einzelnen Arten des Feuilletons in Umrissen zu zeichnen
versucht. Dies Bild eingehend auszumalen, kann uns uicht einfallen. Wir be¬
gnügen uus mit der Gesammtansicht lind geben der Versuchung nicht nach, die
hervorragendsten Feuilletonisten, z. V. den Wiener Daniel spitzer, wohl den
bezeichnendsten Vertreter des zweideutig boshaften Wiener Feuilletons, den zweite"
Heine, wie seine Verehrer (er hat deren wirklich!) ihn nennen, mit der gleichen
Bosheit abzuzeichnen, mit der sie die Opfer ihrer Charakteristik aufzuspießen
Pflegen. Wir verzichten auch darauf, die verschiedenen Hauptrichtungen der
Feuilletomstik, etwa die beiden Gegenfüßler, das Wiener und das Berliner
Feuilleton, von denen das erste in der "Neuen freien Presse," das zweite im
"Berliner Montagsblatt" sein Hauptquartier hat, im einzelnen vergleichend ein-
ander gegenüberzustellen.


3.

Jung' und Alte, Groß und Klein,
Gräßliches Gelichter!
Niemand will ein Schuster sein,
Jedermnun ein Dichter.

Mit dem eigentlichen Feuilleton, wie es die Spalten der Tagesblätter füllt,
sind wir, vorbehaltlich einer spätern Prüfung seines sittlichen Wertes, zu Ende.
Es könnte hier genugsam Unheil stiften und thut das reichlich. Damit aber
nicht zufrieden, steigt es anspruchsvoll in die wirkliche Literatur hinauf, um auch
dort sein Wesen fortzusetzen. Schon in den Zeitungen hat das Feuilleton vor
den andern Gebieten vornns, daß es mit dem vollen Namen oder wenigstens
mit einem durchsichtigen Pseudonym, einer gewählten "Chiffre" unterzeichnet
wird -- der erste Schritt aus der zeituugsmüßigeu Nameulosigkeit zu literarischen
Ansprüchen. Mau kaun denn auch ohne Übertreibung behaupten, daß der Einfluß
des Feuilletons bereits in allen Gattungen der heutigen Literatur zu spüren
ist; die jüngste, kleinste Form beherrscht die ganze Literatur. Es ist das er¬
klärlich zu eiuer Zeit, in der Schriftsteller. Dichter, Liternt und Journalist fast
gleichbedeutende Begriffe geworden sind, und es kemizeichuet eine Literatur, die


nicht selbst Untersuchungen an, sondern bringen die Ergebnisse fremder Forschungen,
sie enthalten nicht eigene Arbeit, sondern die Früchte fremde« Schaffens. Da
sie auf den Beifall einer denkfaulen großen Masse von bequemen Zeitungslesern
angewiesen sind, die weder Lust noch Fähigkeit besitzen, einer folgerechten Unter¬
suchung mit Anstrengung zu folgen, so fällt auch hier der geschickten Mache der
Löwenanteil zu. Hinter der pikant unterhaltenden Zurichtung verschwindet für
den blöden Leser die Bedeutsamkeit des Inhalts, und die Kunst des eigensüch¬
tigen Feuilletonisten ist eitel genug, die Sorge um den Gegenstand dem selbst-
genügsamen Schillern der Darstellung nachzusetzen.

Wir haben die einzelnen Arten des Feuilletons in Umrissen zu zeichnen
versucht. Dies Bild eingehend auszumalen, kann uns uicht einfallen. Wir be¬
gnügen uus mit der Gesammtansicht lind geben der Versuchung nicht nach, die
hervorragendsten Feuilletonisten, z. V. den Wiener Daniel spitzer, wohl den
bezeichnendsten Vertreter des zweideutig boshaften Wiener Feuilletons, den zweite«
Heine, wie seine Verehrer (er hat deren wirklich!) ihn nennen, mit der gleichen
Bosheit abzuzeichnen, mit der sie die Opfer ihrer Charakteristik aufzuspießen
Pflegen. Wir verzichten auch darauf, die verschiedenen Hauptrichtungen der
Feuilletomstik, etwa die beiden Gegenfüßler, das Wiener und das Berliner
Feuilleton, von denen das erste in der „Neuen freien Presse," das zweite im
„Berliner Montagsblatt" sein Hauptquartier hat, im einzelnen vergleichend ein-
ander gegenüberzustellen.


3.

Jung' und Alte, Groß und Klein,
Gräßliches Gelichter!
Niemand will ein Schuster sein,
Jedermnun ein Dichter.

Mit dem eigentlichen Feuilleton, wie es die Spalten der Tagesblätter füllt,
sind wir, vorbehaltlich einer spätern Prüfung seines sittlichen Wertes, zu Ende.
Es könnte hier genugsam Unheil stiften und thut das reichlich. Damit aber
nicht zufrieden, steigt es anspruchsvoll in die wirkliche Literatur hinauf, um auch
dort sein Wesen fortzusetzen. Schon in den Zeitungen hat das Feuilleton vor
den andern Gebieten vornns, daß es mit dem vollen Namen oder wenigstens
mit einem durchsichtigen Pseudonym, einer gewählten „Chiffre" unterzeichnet
wird — der erste Schritt aus der zeituugsmüßigeu Nameulosigkeit zu literarischen
Ansprüchen. Mau kaun denn auch ohne Übertreibung behaupten, daß der Einfluß
des Feuilletons bereits in allen Gattungen der heutigen Literatur zu spüren
ist; die jüngste, kleinste Form beherrscht die ganze Literatur. Es ist das er¬
klärlich zu eiuer Zeit, in der Schriftsteller. Dichter, Liternt und Journalist fast
gleichbedeutende Begriffe geworden sind, und es kemizeichuet eine Literatur, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/269>, abgerufen am 03.07.2024.