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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Ameisenleben.

Bedürfnis sich nicht bei der Thatsache beruhigt, daß die Bildnerei Bilder schafft;
denn darauf läuft seine Definition hinaus, und sie ist auch als Grundlage für
feine Erörterungen hinreichend. Mir scheint es aber im gegenwärtigen Moment
besonders verhängnisvoll, wenn das Bündnis der Kunst mit der Philosophie
aufgekündigt wird. Am Schlüsse eines ausgezeichneten Aufsatzes von Rudolf
Seydel über Lotze fand ich kürzlich folgenden Satz: "Poesie und Kunst schöpfen
ihre Begeisterung und Kraft aus Überzeugungen, aus einem Jdealglauben, mit
dessen Schwächung, kritischer Zersetzung und Verdächtigung auch ihr Feuer zu¬
sammensinkt und ihr Licht verbleicht. Poetischer und künstlerischer Idealismus
nehmen in gleichen Schritten ab mit einer idealen, seherischen Philosophie."
Malt mag darüber streiten, ob der in diesen Worten angenommene Zusammen¬
hang ein thatsächlicher sei, in die Klage um die Verlorne Würde der Kunst wird
man einstimmen müssen. Die Zeit ist einer idealen, seherischen Philosophie nicht
günstig; eine Weltanschauung ist in mächtiger Entwicklung begriffen, in der der
Kunst unter den notwendigen Mächten des Lebens kein Platz vergönnt werden
soll. Die Kunst ist in den Augen ernster Männer zum Spielwerk, zur bloßen
Zierde des Lebens herabgesunken. Möglich, daß eine Zeit wiederkommt, in der
sie aus eigner Kraft den Beweis ihres Wertes und ihrer Notwendigkeit liefern
wird. Heutzutage scheint eine solche Zeit noch fern zu sein, und so sollten die
einzelnen unter den Künstlern, die es ernst mit der Kunst meinen, die Bemüh¬
ungen derer nicht zurückweisen, die innerhalb der großen Wandlungen, welche
wir im geistigen Zustand der Menschheit sich vollziehen sehen, die ewigen Rechte
der Kunst aufrecht zu erhalten suchen.


Lonrad Fiedler.


Ameisenleben.

chon durch die Beobachtungen Kirbys, Latreilles und Hubers
waren wir über das, was man das politische und wirtschaftliche
Leben der Ameise nennen kann, ziemlich gut unterrichtet. Wir
wußten, daß ihre Staaten oder Kolonien aus drei Klassen von
Ameisen, männlichen, weiblichen lind geschlechtslosen, bestehen, daß
die letztgenannten allein alle Arbeit besorgen, Nahrung herbeischaffen, das Nest
bauen, die Jungen und die Weibchen säubern und füttern und dergleichen, daß
die Ameisen beinahe allen andern Insekten feindlich gegenüberstehen, daß die
einzelnen Völker oder Gemeindell derselben einander bekriegen, daß die rote
Gattung Feldzüge nach den Ansiedelungen der schwarzen unternimmt, um sich


Grenzboten III. 1882. 32
Ameisenleben.

Bedürfnis sich nicht bei der Thatsache beruhigt, daß die Bildnerei Bilder schafft;
denn darauf läuft seine Definition hinaus, und sie ist auch als Grundlage für
feine Erörterungen hinreichend. Mir scheint es aber im gegenwärtigen Moment
besonders verhängnisvoll, wenn das Bündnis der Kunst mit der Philosophie
aufgekündigt wird. Am Schlüsse eines ausgezeichneten Aufsatzes von Rudolf
Seydel über Lotze fand ich kürzlich folgenden Satz: „Poesie und Kunst schöpfen
ihre Begeisterung und Kraft aus Überzeugungen, aus einem Jdealglauben, mit
dessen Schwächung, kritischer Zersetzung und Verdächtigung auch ihr Feuer zu¬
sammensinkt und ihr Licht verbleicht. Poetischer und künstlerischer Idealismus
nehmen in gleichen Schritten ab mit einer idealen, seherischen Philosophie."
Malt mag darüber streiten, ob der in diesen Worten angenommene Zusammen¬
hang ein thatsächlicher sei, in die Klage um die Verlorne Würde der Kunst wird
man einstimmen müssen. Die Zeit ist einer idealen, seherischen Philosophie nicht
günstig; eine Weltanschauung ist in mächtiger Entwicklung begriffen, in der der
Kunst unter den notwendigen Mächten des Lebens kein Platz vergönnt werden
soll. Die Kunst ist in den Augen ernster Männer zum Spielwerk, zur bloßen
Zierde des Lebens herabgesunken. Möglich, daß eine Zeit wiederkommt, in der
sie aus eigner Kraft den Beweis ihres Wertes und ihrer Notwendigkeit liefern
wird. Heutzutage scheint eine solche Zeit noch fern zu sein, und so sollten die
einzelnen unter den Künstlern, die es ernst mit der Kunst meinen, die Bemüh¬
ungen derer nicht zurückweisen, die innerhalb der großen Wandlungen, welche
wir im geistigen Zustand der Menschheit sich vollziehen sehen, die ewigen Rechte
der Kunst aufrecht zu erhalten suchen.


Lonrad Fiedler.


Ameisenleben.

chon durch die Beobachtungen Kirbys, Latreilles und Hubers
waren wir über das, was man das politische und wirtschaftliche
Leben der Ameise nennen kann, ziemlich gut unterrichtet. Wir
wußten, daß ihre Staaten oder Kolonien aus drei Klassen von
Ameisen, männlichen, weiblichen lind geschlechtslosen, bestehen, daß
die letztgenannten allein alle Arbeit besorgen, Nahrung herbeischaffen, das Nest
bauen, die Jungen und die Weibchen säubern und füttern und dergleichen, daß
die Ameisen beinahe allen andern Insekten feindlich gegenüberstehen, daß die
einzelnen Völker oder Gemeindell derselben einander bekriegen, daß die rote
Gattung Feldzüge nach den Ansiedelungen der schwarzen unternimmt, um sich


Grenzboten III. 1882. 32
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[0257] Ameisenleben. Bedürfnis sich nicht bei der Thatsache beruhigt, daß die Bildnerei Bilder schafft; denn darauf läuft seine Definition hinaus, und sie ist auch als Grundlage für feine Erörterungen hinreichend. Mir scheint es aber im gegenwärtigen Moment besonders verhängnisvoll, wenn das Bündnis der Kunst mit der Philosophie aufgekündigt wird. Am Schlüsse eines ausgezeichneten Aufsatzes von Rudolf Seydel über Lotze fand ich kürzlich folgenden Satz: „Poesie und Kunst schöpfen ihre Begeisterung und Kraft aus Überzeugungen, aus einem Jdealglauben, mit dessen Schwächung, kritischer Zersetzung und Verdächtigung auch ihr Feuer zu¬ sammensinkt und ihr Licht verbleicht. Poetischer und künstlerischer Idealismus nehmen in gleichen Schritten ab mit einer idealen, seherischen Philosophie." Malt mag darüber streiten, ob der in diesen Worten angenommene Zusammen¬ hang ein thatsächlicher sei, in die Klage um die Verlorne Würde der Kunst wird man einstimmen müssen. Die Zeit ist einer idealen, seherischen Philosophie nicht günstig; eine Weltanschauung ist in mächtiger Entwicklung begriffen, in der der Kunst unter den notwendigen Mächten des Lebens kein Platz vergönnt werden soll. Die Kunst ist in den Augen ernster Männer zum Spielwerk, zur bloßen Zierde des Lebens herabgesunken. Möglich, daß eine Zeit wiederkommt, in der sie aus eigner Kraft den Beweis ihres Wertes und ihrer Notwendigkeit liefern wird. Heutzutage scheint eine solche Zeit noch fern zu sein, und so sollten die einzelnen unter den Künstlern, die es ernst mit der Kunst meinen, die Bemüh¬ ungen derer nicht zurückweisen, die innerhalb der großen Wandlungen, welche wir im geistigen Zustand der Menschheit sich vollziehen sehen, die ewigen Rechte der Kunst aufrecht zu erhalten suchen. Lonrad Fiedler. Ameisenleben. chon durch die Beobachtungen Kirbys, Latreilles und Hubers waren wir über das, was man das politische und wirtschaftliche Leben der Ameise nennen kann, ziemlich gut unterrichtet. Wir wußten, daß ihre Staaten oder Kolonien aus drei Klassen von Ameisen, männlichen, weiblichen lind geschlechtslosen, bestehen, daß die letztgenannten allein alle Arbeit besorgen, Nahrung herbeischaffen, das Nest bauen, die Jungen und die Weibchen säubern und füttern und dergleichen, daß die Ameisen beinahe allen andern Insekten feindlich gegenüberstehen, daß die einzelnen Völker oder Gemeindell derselben einander bekriegen, daß die rote Gattung Feldzüge nach den Ansiedelungen der schwarzen unternimmt, um sich Grenzboten III. 1882. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/257>, abgerufen am 24.08.2024.