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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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brächten. Als ob sie deshalb unternommen würden! Das philosophische und
das wissenschaftliche Interesse hat um seiner selbst willen ein Anrecht auf das
Gebiet der Kunst sogut wie auf andre Gebiete menschlicher Angelegenheiten oder
natürlicher Dinge; um einen Nutzen für das, womit es sich beschäftigt, handelt
es sich da ganz und gar nicht. Der Künstler als solcher hat mit diesen Unter¬
suchungen nichts zu thun. Wendet er ihnen seine Aufmerksamkeit zu, so thut
er dies nicht um seiner künstlerischen Begabung willen, sondern er beweist damit
mir, daß ihm außer dieser noch ein philosophisches oder wissenschaftliches In¬
teresse innewohnt; ist ihm dieses fremd, was berechtigt ihn, über Wert oder
Unwert von Bemühungen zu urteilen, für die seine geistige Begabung keine Em¬
pfänglichkeit besitzt? Und im vorliegenden Falle scheint mir dieses Argument
ganz besonders unangebracht. Wollte man die so vortrefflichen Auseinander¬
setzungen Ludwigs vom Standpunkte des Nutzens ans beurteilen, der für die
zeitgenössische Kunst von ihnen zu erwarten sei, man würde wohl genötigt sein,
sie in dieselbe Rumpelkammer zu werfen, zu der Ludwig die Resultate so viel¬
fältiger geistiger Arbeit verurteilt. Deun darin irrt er mit vielen seiner Zeit¬
genossen, daß er meint, Belehrung könne einigermaßen dem Mangel an Be¬
gabung abhelfen.

Ein zweites Mißverständnis aber, welches Verwirrung in das Verhältnis
der Künstler zu den Kuustgelehcten bringt, besteht darin, daß jene um der Irr¬
tümer willen, die von diesen begangen werden, das Streben selbst, welches auch
diesen Irrtümern zu Grunde liegt, verdammen. Wer wollte leugnen, daß das
Gebiet ästhetischer und kunsttheorctischer Forschungen sehr reich an Absonderlichkeiten
und Irrtümern ist? Wer möchte nicht den Künstlern Recht geben, wenn sie
besonders empfindlich gegen Irrtümer sind, die gleichsam auf ihre Kosten be¬
gangen werden? Aber wenn eine Sache deshalb zu verdammen wäre, weil sich
gelegentlich dilettantische Anmaßung, Beschränktheit und Unverstand derselben
bemächtigt, welches Schicksal dürfte der Kunst selbst bevorstehen! Mir scheint,
daß in Zeiten, in denen die Künstler selbst bedeutendes leisteten, sie auch ge¬
recht und vorurteilsfrei die Bemühungen derer zu beurteilen vermochten, die sich
ihre Werke auf ihre Weise anzueignen suchten.

Des ärgsten Mißverständnisses, dessen sich die Künstler schuldig zu machen
pflegen, gedenke ich zuletzt. Sie sind immer bereit, denjenigen einen Laien und
Dilettanten zu nennen, der die Kunst nicht künstlerisch betreibt, sondern wissen¬
schaftlich oder philosophisch betrachtet, für sich selbst aber nehmen sie die Be¬
rechtigung in Anspruch, über gar viele Fragen zu urteilen, in denen sie doch
nicht hiulünglich kompetent sind. Ich meine, man beruft sich heutzutage über¬
haupt zu gern auf die Autorität des Fachurteils und ist zu freigebig mit dem
Vorwurf des Dilettantismus. Manche Unzulänglichkeit läßt sich dadurch ver¬
decken, manches gedeihliche Zusammenwirken wird dadurch unmöglich gemacht.
Ludwig richtet besonders scharfe Äußerungen gegen diejenigen, deren Philosophisches


brächten. Als ob sie deshalb unternommen würden! Das philosophische und
das wissenschaftliche Interesse hat um seiner selbst willen ein Anrecht auf das
Gebiet der Kunst sogut wie auf andre Gebiete menschlicher Angelegenheiten oder
natürlicher Dinge; um einen Nutzen für das, womit es sich beschäftigt, handelt
es sich da ganz und gar nicht. Der Künstler als solcher hat mit diesen Unter¬
suchungen nichts zu thun. Wendet er ihnen seine Aufmerksamkeit zu, so thut
er dies nicht um seiner künstlerischen Begabung willen, sondern er beweist damit
mir, daß ihm außer dieser noch ein philosophisches oder wissenschaftliches In¬
teresse innewohnt; ist ihm dieses fremd, was berechtigt ihn, über Wert oder
Unwert von Bemühungen zu urteilen, für die seine geistige Begabung keine Em¬
pfänglichkeit besitzt? Und im vorliegenden Falle scheint mir dieses Argument
ganz besonders unangebracht. Wollte man die so vortrefflichen Auseinander¬
setzungen Ludwigs vom Standpunkte des Nutzens ans beurteilen, der für die
zeitgenössische Kunst von ihnen zu erwarten sei, man würde wohl genötigt sein,
sie in dieselbe Rumpelkammer zu werfen, zu der Ludwig die Resultate so viel¬
fältiger geistiger Arbeit verurteilt. Deun darin irrt er mit vielen seiner Zeit¬
genossen, daß er meint, Belehrung könne einigermaßen dem Mangel an Be¬
gabung abhelfen.

Ein zweites Mißverständnis aber, welches Verwirrung in das Verhältnis
der Künstler zu den Kuustgelehcten bringt, besteht darin, daß jene um der Irr¬
tümer willen, die von diesen begangen werden, das Streben selbst, welches auch
diesen Irrtümern zu Grunde liegt, verdammen. Wer wollte leugnen, daß das
Gebiet ästhetischer und kunsttheorctischer Forschungen sehr reich an Absonderlichkeiten
und Irrtümern ist? Wer möchte nicht den Künstlern Recht geben, wenn sie
besonders empfindlich gegen Irrtümer sind, die gleichsam auf ihre Kosten be¬
gangen werden? Aber wenn eine Sache deshalb zu verdammen wäre, weil sich
gelegentlich dilettantische Anmaßung, Beschränktheit und Unverstand derselben
bemächtigt, welches Schicksal dürfte der Kunst selbst bevorstehen! Mir scheint,
daß in Zeiten, in denen die Künstler selbst bedeutendes leisteten, sie auch ge¬
recht und vorurteilsfrei die Bemühungen derer zu beurteilen vermochten, die sich
ihre Werke auf ihre Weise anzueignen suchten.

Des ärgsten Mißverständnisses, dessen sich die Künstler schuldig zu machen
pflegen, gedenke ich zuletzt. Sie sind immer bereit, denjenigen einen Laien und
Dilettanten zu nennen, der die Kunst nicht künstlerisch betreibt, sondern wissen¬
schaftlich oder philosophisch betrachtet, für sich selbst aber nehmen sie die Be¬
rechtigung in Anspruch, über gar viele Fragen zu urteilen, in denen sie doch
nicht hiulünglich kompetent sind. Ich meine, man beruft sich heutzutage über¬
haupt zu gern auf die Autorität des Fachurteils und ist zu freigebig mit dem
Vorwurf des Dilettantismus. Manche Unzulänglichkeit läßt sich dadurch ver¬
decken, manches gedeihliche Zusammenwirken wird dadurch unmöglich gemacht.
Ludwig richtet besonders scharfe Äußerungen gegen diejenigen, deren Philosophisches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/256>, abgerufen am 24.08.2024.