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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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immer genaueren zu machen, um das Auge zu immer schärferem und richtigeren
Sehen der Dinge zu erziehen, das immer tiefere Eindringen in die Geheimnisse
der malerischen Perspektive, die Verwertung dieser Errungenschaften für Zeich¬
nung, Licht- und Schattengebnng, Farbenabstufnng im künstlerischen Bilde, das
Studium der Geometrie zu bildnerischen Zwecken, das Streben nach Proportio¬
nalität und Rhythmus, dies und noch vieles andre findet hier ausführliche Be¬
handlung, Mancherlei Erleuchtung wird der Leser daraus empfangen, vor allem
aber wird ihm zweierlei klar werden: einmal, daß die Kunst eine Sache ange¬
strengten Fleißes, umsichtiger Überlegung, tiefcindringenden Denkens, nicht ein
Geschäft ist, welches sich mit einem geringen Maß von Können und einem großen
Vorrat vou phrasenhafter Begeisterung und augemaßter Genialität betreiben
ließe; sodann, daß jener bildnerische Geist, wie ihn Ludwig darstellt, unsrer Zeit
fremd ist. Wer einmal die Grundlagen erkannt hat, auf deuen die seltne Voll¬
eichung wahrhafter Kunstwerke ruht, der wird deu Unverstand begreifen, welcher
der so oft gehörten Vergleichung moderner Leistungen mit alten Werken zu
Grunde liegt.

Und noch eins: in einem Abschnitt, der die Überschrift trägt "Innerer Zu¬
sammenhang der Entwicklung der Wissenschaft des Mächens in der Malerei,"
und in einigen folgenden Abschnitten giebt Ludwig einige Andeutungen, wie sich
die historische Entwicklung der Malerei von seinem Standpunkte aus darstellt.
Wer es empfunden hat, wie die moderne Geschichtschreibung der Kunst zwischen
zwei Extremen hin- und herschwankt, wie sie einmal nach hohen außerhalb des
künstlerischen Bereichs liegenden Gesichtspunkten greift, sich das nndremal an
die scheinbar sachlichsten und doch uur nebensächlichen Details anklammert, der
wird deu vorliegenden Versuch mit Freuden begrüßen. Für den wichtigsten Ab¬
schnitt der italienischen Malerei entwickelt er die wesentlichen Fortschritte, die "im
Ringen um die Vollendung des sinnlichen Darstellens" gemacht worden sind,
und sondert so den thatsächlich künstlerischen Zusammenhang der so verschieden¬
artigen Werke von den andern Arten des Zusammenhangs, in welche die histo¬
rische Betrachtung dieselben Werke zu bringen gewohnt ist.

Ich breche hier ab, um diesen zustimmenden Bemerkungen nun einige ab-,
lehnende folgen zu lassen. Ludwigs vortreffliche, durch Sachlichkeit ausgezeichnete
Erörterungen über die bildnerische Thätigkeit sind allenthalben begleitet von bald
zornigen, bald spöttischen Äußerungen über die Laien und Gelehrten. Er trifft
anch hierin einen Punkt vou allgemeinem Interesse und, ob er Zustimmung
oder Widerspruch verdient, jedenfalls hat das, was er sagt, Anspruch darauf,
zur Kenntnis weiterer Kreise zu kommen. Er steht nicht allein. Das Ver¬
hältnis der prodnzirenden Künstler zu den denkenden, untersuchenden, forschenden
Theoretikern der Kunst, welches an sich ein für beide Teile ersprießliches sein
könnte, hat sich in neuerer Zeit zu einem feindseligen Gegensatz entwickelt, und
mancher unliebsame öffentliche Ausbruch geheimen Widerwillens ist wohl noch


immer genaueren zu machen, um das Auge zu immer schärferem und richtigeren
Sehen der Dinge zu erziehen, das immer tiefere Eindringen in die Geheimnisse
der malerischen Perspektive, die Verwertung dieser Errungenschaften für Zeich¬
nung, Licht- und Schattengebnng, Farbenabstufnng im künstlerischen Bilde, das
Studium der Geometrie zu bildnerischen Zwecken, das Streben nach Proportio¬
nalität und Rhythmus, dies und noch vieles andre findet hier ausführliche Be¬
handlung, Mancherlei Erleuchtung wird der Leser daraus empfangen, vor allem
aber wird ihm zweierlei klar werden: einmal, daß die Kunst eine Sache ange¬
strengten Fleißes, umsichtiger Überlegung, tiefcindringenden Denkens, nicht ein
Geschäft ist, welches sich mit einem geringen Maß von Können und einem großen
Vorrat vou phrasenhafter Begeisterung und augemaßter Genialität betreiben
ließe; sodann, daß jener bildnerische Geist, wie ihn Ludwig darstellt, unsrer Zeit
fremd ist. Wer einmal die Grundlagen erkannt hat, auf deuen die seltne Voll¬
eichung wahrhafter Kunstwerke ruht, der wird deu Unverstand begreifen, welcher
der so oft gehörten Vergleichung moderner Leistungen mit alten Werken zu
Grunde liegt.

Und noch eins: in einem Abschnitt, der die Überschrift trägt „Innerer Zu¬
sammenhang der Entwicklung der Wissenschaft des Mächens in der Malerei,"
und in einigen folgenden Abschnitten giebt Ludwig einige Andeutungen, wie sich
die historische Entwicklung der Malerei von seinem Standpunkte aus darstellt.
Wer es empfunden hat, wie die moderne Geschichtschreibung der Kunst zwischen
zwei Extremen hin- und herschwankt, wie sie einmal nach hohen außerhalb des
künstlerischen Bereichs liegenden Gesichtspunkten greift, sich das nndremal an
die scheinbar sachlichsten und doch uur nebensächlichen Details anklammert, der
wird deu vorliegenden Versuch mit Freuden begrüßen. Für den wichtigsten Ab¬
schnitt der italienischen Malerei entwickelt er die wesentlichen Fortschritte, die „im
Ringen um die Vollendung des sinnlichen Darstellens" gemacht worden sind,
und sondert so den thatsächlich künstlerischen Zusammenhang der so verschieden¬
artigen Werke von den andern Arten des Zusammenhangs, in welche die histo¬
rische Betrachtung dieselben Werke zu bringen gewohnt ist.

Ich breche hier ab, um diesen zustimmenden Bemerkungen nun einige ab-,
lehnende folgen zu lassen. Ludwigs vortreffliche, durch Sachlichkeit ausgezeichnete
Erörterungen über die bildnerische Thätigkeit sind allenthalben begleitet von bald
zornigen, bald spöttischen Äußerungen über die Laien und Gelehrten. Er trifft
anch hierin einen Punkt vou allgemeinem Interesse und, ob er Zustimmung
oder Widerspruch verdient, jedenfalls hat das, was er sagt, Anspruch darauf,
zur Kenntnis weiterer Kreise zu kommen. Er steht nicht allein. Das Ver¬
hältnis der prodnzirenden Künstler zu den denkenden, untersuchenden, forschenden
Theoretikern der Kunst, welches an sich ein für beide Teile ersprießliches sein
könnte, hat sich in neuerer Zeit zu einem feindseligen Gegensatz entwickelt, und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/254>, abgerufen am 03.07.2024.