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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Gin Künstler über Kunst und Aunstgelehrte.

denken der Kunst widmen. Jenes zeugt von selbständigem Geiste und von ge¬
sundem Sinne, dieses scheint mir von mancherlei Mißverständnissen nicht frei
zu sein.

Den Ausgangspunkt jener ausgezeichnetem Erörterungen bezeichnet um besten
eine Definition der Vildnerei, die Ludwig als die Quintessenz einer großen
Anzahl von Aussprüchen den Schriften der Renaissance entnimmt. Sie lautet:
"Die Bildnerei zeichnet sich vor den andern Illusion erregenden Künsten aus,
indem sie nachgeahmte Gegenstände der Natur und innere Erfindungen des
Menschengeistes in sinnlicher Gestalt und mit künstlichen, selbsterfundenen Mit¬
teln neben die Werke der Natur hinstellt und so ein gleichfalls sinnlich er¬
schaffendes Töchterlein der Schöpfern? wird." Dieser scheinbar einfache Satz
stellt moderner Begriffsverwirrung und moderner Mißpraxis die klaren und ge¬
sunden Grundlagen jeder tüchtigen Kunstübung gegenüber. Er bezeichnet un¬
zweideutig den Punkt, ans den derjenige die ganze Kraft des Nachdenkens und
der Untersuchung zu richten hat, dem es um einen sachlichen Einblick in die
Welt der bildenden Kunst zu thun ist. Ausgeschieden ist damit von vornherein
eine Frage, die in den Zeiten eines falschen Idealismus sogut wie in den Zeiten
eines falschen Realismus eine große Rolle spielt, die Frage nach dem Gegen¬
stande der Darstellung. Die Beschränkung ans das sinnlich Gegebene ist so wenig
ein künstlerisches Verdienst wie die Wahl bedeutender Gegenstände und Vor¬
gänge oder die Verbildlichung erhabener Ideen. naiven Sinnes mag der Künstler
im Grunde alles für darstellbar halten: sein Realismus muß darin bestehen,
daß er das Bild, welches er schafft, auch wenn es kein der Natur nachgeahmtes
ist, zu so hoher Vollendung bringt, daß es die Illusion der Wirklichkeit erweckt;
sein Idealismus aber muß auf der Einsicht beruhen, daß er nicht mit den Mit¬
teln der Natur, sondern mit selbsterfundenen Mitteln arbeitet, und daß das, was
er hervorbringt, nicht ein Naturprodukt, sondern ein Werk seines Geistes, eben
ein Kunstwerk ist. An verschiedenen Stellen findet alles dies ausführliche Er¬
örterung. Besonders aber ist auf deu Abschnitt hinzuweisen, der die Überschrift
trägt "Harmonie zwischen seelischem Inhalt und Erscheinungsform des Kunst¬
werkes"; selten wird eine Frage, die vom Unverstand und vom Überverstcmd so
geflissentlich verwirrt worden ist, eine so einfach klare und vernünftige Lösung
finden.

Ist min das Hervorbringen der "künstlerisch sinnlichen Erscheinung" als
der eigentliche Zweck bezeichnet, den der bildnerische Geist verfolgt, fo deckt
Ludwig an dem Beispiel, welches die Meister der guten Zeit gegeben haben,
die stufenweise fortschreitende geistige Arbeit auf, die gethan werden mußte, um
das zu erreichen, was wir in den erhaltenen Werken vor uns sehen. Nutzlos
würde ein Versuch sein, den reichen Inhalt der Kapitel auch uur anzudeuten,
die uns in die geistige Werkstatt jener großen Künstler einführen. Die Hilfs¬
mittel, die erfunden wurden, um das Studium des Nnturvorbildes zu einem


Gin Künstler über Kunst und Aunstgelehrte.

denken der Kunst widmen. Jenes zeugt von selbständigem Geiste und von ge¬
sundem Sinne, dieses scheint mir von mancherlei Mißverständnissen nicht frei
zu sein.

Den Ausgangspunkt jener ausgezeichnetem Erörterungen bezeichnet um besten
eine Definition der Vildnerei, die Ludwig als die Quintessenz einer großen
Anzahl von Aussprüchen den Schriften der Renaissance entnimmt. Sie lautet:
„Die Bildnerei zeichnet sich vor den andern Illusion erregenden Künsten aus,
indem sie nachgeahmte Gegenstände der Natur und innere Erfindungen des
Menschengeistes in sinnlicher Gestalt und mit künstlichen, selbsterfundenen Mit¬
teln neben die Werke der Natur hinstellt und so ein gleichfalls sinnlich er¬
schaffendes Töchterlein der Schöpfern? wird." Dieser scheinbar einfache Satz
stellt moderner Begriffsverwirrung und moderner Mißpraxis die klaren und ge¬
sunden Grundlagen jeder tüchtigen Kunstübung gegenüber. Er bezeichnet un¬
zweideutig den Punkt, ans den derjenige die ganze Kraft des Nachdenkens und
der Untersuchung zu richten hat, dem es um einen sachlichen Einblick in die
Welt der bildenden Kunst zu thun ist. Ausgeschieden ist damit von vornherein
eine Frage, die in den Zeiten eines falschen Idealismus sogut wie in den Zeiten
eines falschen Realismus eine große Rolle spielt, die Frage nach dem Gegen¬
stande der Darstellung. Die Beschränkung ans das sinnlich Gegebene ist so wenig
ein künstlerisches Verdienst wie die Wahl bedeutender Gegenstände und Vor¬
gänge oder die Verbildlichung erhabener Ideen. naiven Sinnes mag der Künstler
im Grunde alles für darstellbar halten: sein Realismus muß darin bestehen,
daß er das Bild, welches er schafft, auch wenn es kein der Natur nachgeahmtes
ist, zu so hoher Vollendung bringt, daß es die Illusion der Wirklichkeit erweckt;
sein Idealismus aber muß auf der Einsicht beruhen, daß er nicht mit den Mit¬
teln der Natur, sondern mit selbsterfundenen Mitteln arbeitet, und daß das, was
er hervorbringt, nicht ein Naturprodukt, sondern ein Werk seines Geistes, eben
ein Kunstwerk ist. An verschiedenen Stellen findet alles dies ausführliche Er¬
örterung. Besonders aber ist auf deu Abschnitt hinzuweisen, der die Überschrift
trägt „Harmonie zwischen seelischem Inhalt und Erscheinungsform des Kunst¬
werkes"; selten wird eine Frage, die vom Unverstand und vom Überverstcmd so
geflissentlich verwirrt worden ist, eine so einfach klare und vernünftige Lösung
finden.

Ist min das Hervorbringen der „künstlerisch sinnlichen Erscheinung" als
der eigentliche Zweck bezeichnet, den der bildnerische Geist verfolgt, fo deckt
Ludwig an dem Beispiel, welches die Meister der guten Zeit gegeben haben,
die stufenweise fortschreitende geistige Arbeit auf, die gethan werden mußte, um
das zu erreichen, was wir in den erhaltenen Werken vor uns sehen. Nutzlos
würde ein Versuch sein, den reichen Inhalt der Kapitel auch uur anzudeuten,
die uns in die geistige Werkstatt jener großen Künstler einführen. Die Hilfs¬
mittel, die erfunden wurden, um das Studium des Nnturvorbildes zu einem


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[0253] Gin Künstler über Kunst und Aunstgelehrte. denken der Kunst widmen. Jenes zeugt von selbständigem Geiste und von ge¬ sundem Sinne, dieses scheint mir von mancherlei Mißverständnissen nicht frei zu sein. Den Ausgangspunkt jener ausgezeichnetem Erörterungen bezeichnet um besten eine Definition der Vildnerei, die Ludwig als die Quintessenz einer großen Anzahl von Aussprüchen den Schriften der Renaissance entnimmt. Sie lautet: „Die Bildnerei zeichnet sich vor den andern Illusion erregenden Künsten aus, indem sie nachgeahmte Gegenstände der Natur und innere Erfindungen des Menschengeistes in sinnlicher Gestalt und mit künstlichen, selbsterfundenen Mit¬ teln neben die Werke der Natur hinstellt und so ein gleichfalls sinnlich er¬ schaffendes Töchterlein der Schöpfern? wird." Dieser scheinbar einfache Satz stellt moderner Begriffsverwirrung und moderner Mißpraxis die klaren und ge¬ sunden Grundlagen jeder tüchtigen Kunstübung gegenüber. Er bezeichnet un¬ zweideutig den Punkt, ans den derjenige die ganze Kraft des Nachdenkens und der Untersuchung zu richten hat, dem es um einen sachlichen Einblick in die Welt der bildenden Kunst zu thun ist. Ausgeschieden ist damit von vornherein eine Frage, die in den Zeiten eines falschen Idealismus sogut wie in den Zeiten eines falschen Realismus eine große Rolle spielt, die Frage nach dem Gegen¬ stande der Darstellung. Die Beschränkung ans das sinnlich Gegebene ist so wenig ein künstlerisches Verdienst wie die Wahl bedeutender Gegenstände und Vor¬ gänge oder die Verbildlichung erhabener Ideen. naiven Sinnes mag der Künstler im Grunde alles für darstellbar halten: sein Realismus muß darin bestehen, daß er das Bild, welches er schafft, auch wenn es kein der Natur nachgeahmtes ist, zu so hoher Vollendung bringt, daß es die Illusion der Wirklichkeit erweckt; sein Idealismus aber muß auf der Einsicht beruhen, daß er nicht mit den Mit¬ teln der Natur, sondern mit selbsterfundenen Mitteln arbeitet, und daß das, was er hervorbringt, nicht ein Naturprodukt, sondern ein Werk seines Geistes, eben ein Kunstwerk ist. An verschiedenen Stellen findet alles dies ausführliche Er¬ örterung. Besonders aber ist auf deu Abschnitt hinzuweisen, der die Überschrift trägt „Harmonie zwischen seelischem Inhalt und Erscheinungsform des Kunst¬ werkes"; selten wird eine Frage, die vom Unverstand und vom Überverstcmd so geflissentlich verwirrt worden ist, eine so einfach klare und vernünftige Lösung finden. Ist min das Hervorbringen der „künstlerisch sinnlichen Erscheinung" als der eigentliche Zweck bezeichnet, den der bildnerische Geist verfolgt, fo deckt Ludwig an dem Beispiel, welches die Meister der guten Zeit gegeben haben, die stufenweise fortschreitende geistige Arbeit auf, die gethan werden mußte, um das zu erreichen, was wir in den erhaltenen Werken vor uns sehen. Nutzlos würde ein Versuch sein, den reichen Inhalt der Kapitel auch uur anzudeuten, die uns in die geistige Werkstatt jener großen Künstler einführen. Die Hilfs¬ mittel, die erfunden wurden, um das Studium des Nnturvorbildes zu einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/253>, abgerufen am 01.07.2024.