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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Als der Vorhang gefallen war, hörten wir gleichzeitig zwei Urteile über
das eben gesehene, das eine mit dem rechten, das andre mit dem linken Ohre.
Eine hübsche, elegant gekleidete junge Leipzigerin, die rechts von uns in einer
Loge saß und ihrer Freude nach jedem Akte in lauten Beifallsäußernngen Luft
machte, sagte zu ihrer Nachbarin: "Wnnderscheen! Nich? Die scheenen grimm
Glaskriege! Nich? Un die scheene Serviette mit der Hvhlbeingante! Nich? Un
in die Kriege, da ging was ordentliches rein. Un dann die Flaschen, here, die
hatten so 'ne besondre Fassong. Un die scheenen Vogale auf dem Blocke! Un
die Schaale mit den Frichten war auch so scheen. Jwerhcmpt die ganze Zimmer-
degerativn war wnnderscheen!" Ein guter Freund aber, der zu unsrer Linken
saß, sagte, nachdem er eine Weile still vor sich hingesehen: Weißt du was?
Den Inhalt dieses ganzen Aktes, so wie wir ihn jetzt gesehen, könnte man in
eine Parodie des Goethischen .Lenions auf Stolbergs Velsazer zusammenfassen,
etwa so:


Eh' die Gardine noch steigt, lärmt schon die ganze Gesellschaft,
Lärmet den Akt hindurch, lärmt nach dem Schlüsse noch fort.

Sie hatten beide recht, namentlich aber die hübsche Leipzigern:, die nicht einmal
vom Lärm geschweige denn vom Dialog etwas gehört hatte, sondern offenbar
nnr Ange gewesen war.

Die Meininger werden überall, wohin sie kommen, um ihre Künste zu zeigen,
von der gewerbsmäßigen Theaterkritik derart mit Lobpreisungen überschüttet,
daß es nicht zu verwundern wäre, wenn sie schließlich in Größenwahn verfielen
und gegen jedes abweichende Urteil taub würden. Wir fürchten nicht, daß es
bereits dahin gekommen sei, und deshalb haben wir uns die Mühe genommen,
das unsre niederzuschreiben. Mit so aufrichtiger Begeisterung wir früher die
Lichtseiten des Meiningischen Schauspiels hervorgehoben haben, mit so ehrlicher
Überzeugung glauben wir jetzt ans seine Schattenseiten hinweisen zu müssen.
Die Meininger bewegen sich unzweifelhaft auf abschüssiger Bahn, wenn sie fort¬
fahren, so wie es wieder im Wallenstein geschehen ist, einen auf die Spitze ge¬
triebenen Natnmlismus zu pflegen. Die Schanspielknnst kann ebensowenig wie
irgend eine andre Kunst die Aufgabe haben, die Nntnr zu kopiren. Überall wo
dies geschehen ist, ist die .Kunst in Verfall geraten. Das lehrt die Geschichte
der Künste an allen Ecken und Enden. Schiller selbst aber, dem doch wohl
die Meininger mit ihren Ausführungen seiner Dramen einen Dienst erweisen
und eine Huldigung darbringen wollen, würde am lautesten gegen diese Aus¬
führungen Protestiren und die Künstler beschwören, an einer stilvollen Idealität
festzuhalten. Wie sagt er in den herrlichen Stanzen "An Goethe, als er den
Mahomet von Voltaire ans die Bühne brachte"?


Doch leicht gezimmert nur ist TheSPis' Wagen,
Und er ist gleich dem ncheront'schen Kahn;
Nur Schatten und Idole kann er tragen,
Und drttugt das rohe Leben sich heran,
So droht das leichte Fahrzeug umzuschlagen,
Das nnr die fliicht'gen Geister fassen kann.
Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreichen.
Und siegt Natur, so muß die Kunst entweichen.



Als der Vorhang gefallen war, hörten wir gleichzeitig zwei Urteile über
das eben gesehene, das eine mit dem rechten, das andre mit dem linken Ohre.
Eine hübsche, elegant gekleidete junge Leipzigerin, die rechts von uns in einer
Loge saß und ihrer Freude nach jedem Akte in lauten Beifallsäußernngen Luft
machte, sagte zu ihrer Nachbarin: „Wnnderscheen! Nich? Die scheenen grimm
Glaskriege! Nich? Un die scheene Serviette mit der Hvhlbeingante! Nich? Un
in die Kriege, da ging was ordentliches rein. Un dann die Flaschen, here, die
hatten so 'ne besondre Fassong. Un die scheenen Vogale auf dem Blocke! Un
die Schaale mit den Frichten war auch so scheen. Jwerhcmpt die ganze Zimmer-
degerativn war wnnderscheen!" Ein guter Freund aber, der zu unsrer Linken
saß, sagte, nachdem er eine Weile still vor sich hingesehen: Weißt du was?
Den Inhalt dieses ganzen Aktes, so wie wir ihn jetzt gesehen, könnte man in
eine Parodie des Goethischen .Lenions auf Stolbergs Velsazer zusammenfassen,
etwa so:


Eh' die Gardine noch steigt, lärmt schon die ganze Gesellschaft,
Lärmet den Akt hindurch, lärmt nach dem Schlüsse noch fort.

Sie hatten beide recht, namentlich aber die hübsche Leipzigern:, die nicht einmal
vom Lärm geschweige denn vom Dialog etwas gehört hatte, sondern offenbar
nnr Ange gewesen war.

Die Meininger werden überall, wohin sie kommen, um ihre Künste zu zeigen,
von der gewerbsmäßigen Theaterkritik derart mit Lobpreisungen überschüttet,
daß es nicht zu verwundern wäre, wenn sie schließlich in Größenwahn verfielen
und gegen jedes abweichende Urteil taub würden. Wir fürchten nicht, daß es
bereits dahin gekommen sei, und deshalb haben wir uns die Mühe genommen,
das unsre niederzuschreiben. Mit so aufrichtiger Begeisterung wir früher die
Lichtseiten des Meiningischen Schauspiels hervorgehoben haben, mit so ehrlicher
Überzeugung glauben wir jetzt ans seine Schattenseiten hinweisen zu müssen.
Die Meininger bewegen sich unzweifelhaft auf abschüssiger Bahn, wenn sie fort¬
fahren, so wie es wieder im Wallenstein geschehen ist, einen auf die Spitze ge¬
triebenen Natnmlismus zu pflegen. Die Schanspielknnst kann ebensowenig wie
irgend eine andre Kunst die Aufgabe haben, die Nntnr zu kopiren. Überall wo
dies geschehen ist, ist die .Kunst in Verfall geraten. Das lehrt die Geschichte
der Künste an allen Ecken und Enden. Schiller selbst aber, dem doch wohl
die Meininger mit ihren Ausführungen seiner Dramen einen Dienst erweisen
und eine Huldigung darbringen wollen, würde am lautesten gegen diese Aus¬
führungen Protestiren und die Künstler beschwören, an einer stilvollen Idealität
festzuhalten. Wie sagt er in den herrlichen Stanzen „An Goethe, als er den
Mahomet von Voltaire ans die Bühne brachte"?


Doch leicht gezimmert nur ist TheSPis' Wagen,
Und er ist gleich dem ncheront'schen Kahn;
Nur Schatten und Idole kann er tragen,
Und drttugt das rohe Leben sich heran,
So droht das leichte Fahrzeug umzuschlagen,
Das nnr die fliicht'gen Geister fassen kann.
Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreichen.
Und siegt Natur, so muß die Kunst entweichen.



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/239>, abgerufen am 23.07.2024.