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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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vom Leipziger Theater.

Kopfnicken, Kopfschütteln wirkt höchstens eine Minute lang. Dann hat man
vollständig geung und wünschte, daß die zappelnden Statisten sich verzogen, den
eigentlichen Aktenrs Platz machten und sie so zu Worte kommen ließen, daß diese
nicht fortwährend zu schreien brauchten. Geht es den ganzen Akt hindurch, so
wird es zur Unnatur und ermüdet in hohem Grade. Auch von der Kostümi-
rnng könnte man sagen: Weniger wäre mehr, und die gepriesene historische Echt¬
heit war doch nnr teilweise vorhanden. Rechts im Vordergründe z. B. saßen
vor einem Zelte zwei Flickschneider; es waren ein paar wohlfrisirte und pomadi-
sirte Statisten, wie sie jedes andre Theater auch hinsetzen könnte. Auch die
Marketenderin sammt ihrem Fräulein Nichte erschienen so schmuck und wie ans
dem Ele geschält, als ob sie eben zur Maskerade gehen wollten. Und einer
Maskerade glich das ganze Lager.

Eine Menge einzelner Züge, welche die Mcininger in ihrer Jnszeuirung
des Lagers angebracht haben und ans welche sich der Herr "Jntendanzrnt"
gewiß das meiste zu gute thut, sind eine ebenso große Anzahl von Geschmack¬
losigkeiten. Wo der Svldatenschnlmeister den kleinen Jungen der Marketenderin
in die Schule jagt und sich dabei allerdings des Plurals bedient: Fort in die
Feldschule! Marsch, ihr Buben! raunten plötzlich aus den Kulissen ein Dutzend
Jungen und würgten sich gröhlend hindurch nach dem Hintergründe. Ob das
wirklich den Absichten des Dichters entspricht? Wo der erste Jäger seine Kriegs¬
fahrten erzählt und an die Worte kommt: Da nahm ich Handgeld von den
Sachsen, nahm der Schauspieler auf einmal den singenden Tonfall des Dresdner
Philisters an; es hätte nur noch gefehlt, daß er hinzusetzte: El herrcheeses! Paßt
das in die Rolle? Hat Schiller entfernt an so etwas gedacht? Welche Über¬
treibung ferner, wenn der Bauer, der beim falschen Spiel ertappt worden ist,
ans die Bühne geschleppt, wie ein Stück Vieh da herumgeschmissen, getreten und
mit Füßen gestoßen wird! Gewiß höchst naturalistisch! Aber gehört dergleichen
in ein Schillersches Stück?

Ein ganz unangenehmer Patron war der Rekrut. Dieser feiste, stumpf¬
nasige Bursche drehte sich, nachdem er sein Liedchen abgesungen, ununterbrochen
mit seiner Flasche im Vordergrunde der Bühne herum und spielte -- deu Clown.
Wo z. V. der Wachtmeister deu übrigen gravitätisch seine "Gedanken sagt" und
an die Stelle kommt: Zum Exempel, dn sank' mir eiuer vou den fünf Fingern,
die ich hab, hier an der Rechten den kleinen ab, trottete er mit einem Degen
heran, that als ob er dem Wachtmeister wirklich deu Finger abhacken wollte,
bekam dafür seine Ohrfeige und trottete wieder ab mit einem Schafsgesicht
wie Angust im Zirkus. Wo bietet das Stück auch nur deu leisesten Anhalt zu
solchen Narrenspossen!

Die verpfuschteste Gestalt im ganzen Lager war jedenfalls der Kapuziner.
Wir haben nie eine so schlechte Kapuzinerpredigt gehört. Die Deklamation war
geradezu sinnlos, die Betonung voller Fehler. Von irgend einer einheitlichen


vom Leipziger Theater.

Kopfnicken, Kopfschütteln wirkt höchstens eine Minute lang. Dann hat man
vollständig geung und wünschte, daß die zappelnden Statisten sich verzogen, den
eigentlichen Aktenrs Platz machten und sie so zu Worte kommen ließen, daß diese
nicht fortwährend zu schreien brauchten. Geht es den ganzen Akt hindurch, so
wird es zur Unnatur und ermüdet in hohem Grade. Auch von der Kostümi-
rnng könnte man sagen: Weniger wäre mehr, und die gepriesene historische Echt¬
heit war doch nnr teilweise vorhanden. Rechts im Vordergründe z. B. saßen
vor einem Zelte zwei Flickschneider; es waren ein paar wohlfrisirte und pomadi-
sirte Statisten, wie sie jedes andre Theater auch hinsetzen könnte. Auch die
Marketenderin sammt ihrem Fräulein Nichte erschienen so schmuck und wie ans
dem Ele geschält, als ob sie eben zur Maskerade gehen wollten. Und einer
Maskerade glich das ganze Lager.

Eine Menge einzelner Züge, welche die Mcininger in ihrer Jnszeuirung
des Lagers angebracht haben und ans welche sich der Herr „Jntendanzrnt"
gewiß das meiste zu gute thut, sind eine ebenso große Anzahl von Geschmack¬
losigkeiten. Wo der Svldatenschnlmeister den kleinen Jungen der Marketenderin
in die Schule jagt und sich dabei allerdings des Plurals bedient: Fort in die
Feldschule! Marsch, ihr Buben! raunten plötzlich aus den Kulissen ein Dutzend
Jungen und würgten sich gröhlend hindurch nach dem Hintergründe. Ob das
wirklich den Absichten des Dichters entspricht? Wo der erste Jäger seine Kriegs¬
fahrten erzählt und an die Worte kommt: Da nahm ich Handgeld von den
Sachsen, nahm der Schauspieler auf einmal den singenden Tonfall des Dresdner
Philisters an; es hätte nur noch gefehlt, daß er hinzusetzte: El herrcheeses! Paßt
das in die Rolle? Hat Schiller entfernt an so etwas gedacht? Welche Über¬
treibung ferner, wenn der Bauer, der beim falschen Spiel ertappt worden ist,
ans die Bühne geschleppt, wie ein Stück Vieh da herumgeschmissen, getreten und
mit Füßen gestoßen wird! Gewiß höchst naturalistisch! Aber gehört dergleichen
in ein Schillersches Stück?

Ein ganz unangenehmer Patron war der Rekrut. Dieser feiste, stumpf¬
nasige Bursche drehte sich, nachdem er sein Liedchen abgesungen, ununterbrochen
mit seiner Flasche im Vordergrunde der Bühne herum und spielte — deu Clown.
Wo z. V. der Wachtmeister deu übrigen gravitätisch seine „Gedanken sagt" und
an die Stelle kommt: Zum Exempel, dn sank' mir eiuer vou den fünf Fingern,
die ich hab, hier an der Rechten den kleinen ab, trottete er mit einem Degen
heran, that als ob er dem Wachtmeister wirklich deu Finger abhacken wollte,
bekam dafür seine Ohrfeige und trottete wieder ab mit einem Schafsgesicht
wie Angust im Zirkus. Wo bietet das Stück auch nur deu leisesten Anhalt zu
solchen Narrenspossen!

Die verpfuschteste Gestalt im ganzen Lager war jedenfalls der Kapuziner.
Wir haben nie eine so schlechte Kapuzinerpredigt gehört. Die Deklamation war
geradezu sinnlos, die Betonung voller Fehler. Von irgend einer einheitlichen


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[0237] vom Leipziger Theater. Kopfnicken, Kopfschütteln wirkt höchstens eine Minute lang. Dann hat man vollständig geung und wünschte, daß die zappelnden Statisten sich verzogen, den eigentlichen Aktenrs Platz machten und sie so zu Worte kommen ließen, daß diese nicht fortwährend zu schreien brauchten. Geht es den ganzen Akt hindurch, so wird es zur Unnatur und ermüdet in hohem Grade. Auch von der Kostümi- rnng könnte man sagen: Weniger wäre mehr, und die gepriesene historische Echt¬ heit war doch nnr teilweise vorhanden. Rechts im Vordergründe z. B. saßen vor einem Zelte zwei Flickschneider; es waren ein paar wohlfrisirte und pomadi- sirte Statisten, wie sie jedes andre Theater auch hinsetzen könnte. Auch die Marketenderin sammt ihrem Fräulein Nichte erschienen so schmuck und wie ans dem Ele geschält, als ob sie eben zur Maskerade gehen wollten. Und einer Maskerade glich das ganze Lager. Eine Menge einzelner Züge, welche die Mcininger in ihrer Jnszeuirung des Lagers angebracht haben und ans welche sich der Herr „Jntendanzrnt" gewiß das meiste zu gute thut, sind eine ebenso große Anzahl von Geschmack¬ losigkeiten. Wo der Svldatenschnlmeister den kleinen Jungen der Marketenderin in die Schule jagt und sich dabei allerdings des Plurals bedient: Fort in die Feldschule! Marsch, ihr Buben! raunten plötzlich aus den Kulissen ein Dutzend Jungen und würgten sich gröhlend hindurch nach dem Hintergründe. Ob das wirklich den Absichten des Dichters entspricht? Wo der erste Jäger seine Kriegs¬ fahrten erzählt und an die Worte kommt: Da nahm ich Handgeld von den Sachsen, nahm der Schauspieler auf einmal den singenden Tonfall des Dresdner Philisters an; es hätte nur noch gefehlt, daß er hinzusetzte: El herrcheeses! Paßt das in die Rolle? Hat Schiller entfernt an so etwas gedacht? Welche Über¬ treibung ferner, wenn der Bauer, der beim falschen Spiel ertappt worden ist, ans die Bühne geschleppt, wie ein Stück Vieh da herumgeschmissen, getreten und mit Füßen gestoßen wird! Gewiß höchst naturalistisch! Aber gehört dergleichen in ein Schillersches Stück? Ein ganz unangenehmer Patron war der Rekrut. Dieser feiste, stumpf¬ nasige Bursche drehte sich, nachdem er sein Liedchen abgesungen, ununterbrochen mit seiner Flasche im Vordergrunde der Bühne herum und spielte — deu Clown. Wo z. V. der Wachtmeister deu übrigen gravitätisch seine „Gedanken sagt" und an die Stelle kommt: Zum Exempel, dn sank' mir eiuer vou den fünf Fingern, die ich hab, hier an der Rechten den kleinen ab, trottete er mit einem Degen heran, that als ob er dem Wachtmeister wirklich deu Finger abhacken wollte, bekam dafür seine Ohrfeige und trottete wieder ab mit einem Schafsgesicht wie Angust im Zirkus. Wo bietet das Stück auch nur deu leisesten Anhalt zu solchen Narrenspossen! Die verpfuschteste Gestalt im ganzen Lager war jedenfalls der Kapuziner. Wir haben nie eine so schlechte Kapuzinerpredigt gehört. Die Deklamation war geradezu sinnlos, die Betonung voller Fehler. Von irgend einer einheitlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/237>, abgerufen am 03.07.2024.