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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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stiehl von dieser Mummerei (anstatt o still). Wenn das bei Darstellern vor¬
kommt, die dem ganzen deutschen Theater fort und fort als Muster vorgehalten
werden, was sollen dann die andern thun?

Die Betonnngsschnitzer jagten bisweilen förmlich einander; kaum hatte man
sich von dem einen Schrecken erholt, so kam schon ein neuer. Ganz besonders
schlimm wars im Lager. Viele Rollen waren zwar auch hier in den Händen
der besseren Darsteller. Derselbe Künstler z. B., der in den Piccolomini den
Oetavio spielte, hatte es nicht verschmäht, hier den Trompeter zu übernehmen.
Jsolani war der erste Jäger, Questenberg der Bauer, Buttler der Kapuziner u. s. w.
Aber gerade das war das Gefährliche. Es entsteht aus diese Weise kein eigent¬
liches Zusammenspiel, sondern ein Nacheincmderspiel, bei dem jeder aus seiner
kleinen Rolle möglichst viel zu machen bemüht ist, jeder sich in den Vordergrund
drängt und die paar Worte, die er zu sagen hat, mit ganz besondrer Wucht
belasten zu müssen glaubt. Wo der Wachtmeister z. B. die einzelnen nach ihrer
Heimat fragt und der Dichter sie in so hübschen Variationen erwiedern läßt, ant¬
wortete der zweite Jäger: Hinter Wismar ist meiner Eltern Sitz, alle drei
Hauptwörter mit gleicher Wichtigkeit hernuspresseud. Aber auch in deu Piccolomini
fehlte es uicht an schlimmen Verstößen. Max z. B. sagte zu seinem Vater: Es
führte mich der Weg durch Länder, wo der Krieg uicht hingekommen (anstatt:
wo der Krieg nicht hingekommen), und Thekla zu Max: In meiner Seele lebt
ein hoher Mut (anstatt: ein hoher Mut). Es sind das nur ein paar Stellen,
die uns gerade in der Erinnerung geblieben sind, weil sie an beiden Abenden
genan so wiederkehrte".

Trotz des großen Raffinements, mit dem die Meininger bei der Gewinnung
authentischer Dekorationen und Kostüme verfahren, waren ihnen doch anch hierbei
einzelne seltsame Dinge pnssirt. Wir nennen eine Kleinigkeit, ans die vielleicht
niemand geachtet hat. Im ersten Akte der Piccolomini stand im Pilsener Rat¬
haussaale ein anfgebrochner Aktenschrank, und ein Haufe Akten lag herumge¬
worfen am Voden. Diese Fascikel aber sahen genan so aus wie die ersten
besten modernen Alten aus dem Leipziger Amtsgericht. Anno 1634 hatte man
weder so glattes weißes Schreibpapier, noch solche blaue Umschläge.

Ganz besondere Erwartungen hatten wir von dem Lager und dem vierten
Akt der Piccolomini, der großen Vauketszcue, gehegt. Hier, hofften Nur, werde
die vielgerühmte, auch von uus selbst früher gepriesene Meisterschaft der Meininger
in der historisch treuen Ausstattung und Kostümirung ans der einen, in der Ent¬
faltung und Beseelung der Massen auf der andern Seite sich in vollem Glänze
zeigen. Aber gerade diese beiden Akte haben uns am wenigsten befriedigt.

Das Lager zeigte freilich von Anfang bis zu Ende ein äußerst buntes und
bewegtes Bild, aber was mau sah, war doch mehr Unruhe als Leben. Dies
fortwährende Vor- und Hinterläufen und halblaute Plaudern von Unbeteiligten,
dies ewig sich wiederholende Armeeinstemmen, Händenbermkopfzusammenschlagen,


stiehl von dieser Mummerei (anstatt o still). Wenn das bei Darstellern vor¬
kommt, die dem ganzen deutschen Theater fort und fort als Muster vorgehalten
werden, was sollen dann die andern thun?

Die Betonnngsschnitzer jagten bisweilen förmlich einander; kaum hatte man
sich von dem einen Schrecken erholt, so kam schon ein neuer. Ganz besonders
schlimm wars im Lager. Viele Rollen waren zwar auch hier in den Händen
der besseren Darsteller. Derselbe Künstler z. B., der in den Piccolomini den
Oetavio spielte, hatte es nicht verschmäht, hier den Trompeter zu übernehmen.
Jsolani war der erste Jäger, Questenberg der Bauer, Buttler der Kapuziner u. s. w.
Aber gerade das war das Gefährliche. Es entsteht aus diese Weise kein eigent¬
liches Zusammenspiel, sondern ein Nacheincmderspiel, bei dem jeder aus seiner
kleinen Rolle möglichst viel zu machen bemüht ist, jeder sich in den Vordergrund
drängt und die paar Worte, die er zu sagen hat, mit ganz besondrer Wucht
belasten zu müssen glaubt. Wo der Wachtmeister z. B. die einzelnen nach ihrer
Heimat fragt und der Dichter sie in so hübschen Variationen erwiedern läßt, ant¬
wortete der zweite Jäger: Hinter Wismar ist meiner Eltern Sitz, alle drei
Hauptwörter mit gleicher Wichtigkeit hernuspresseud. Aber auch in deu Piccolomini
fehlte es uicht an schlimmen Verstößen. Max z. B. sagte zu seinem Vater: Es
führte mich der Weg durch Länder, wo der Krieg uicht hingekommen (anstatt:
wo der Krieg nicht hingekommen), und Thekla zu Max: In meiner Seele lebt
ein hoher Mut (anstatt: ein hoher Mut). Es sind das nur ein paar Stellen,
die uns gerade in der Erinnerung geblieben sind, weil sie an beiden Abenden
genan so wiederkehrte«.

Trotz des großen Raffinements, mit dem die Meininger bei der Gewinnung
authentischer Dekorationen und Kostüme verfahren, waren ihnen doch anch hierbei
einzelne seltsame Dinge pnssirt. Wir nennen eine Kleinigkeit, ans die vielleicht
niemand geachtet hat. Im ersten Akte der Piccolomini stand im Pilsener Rat¬
haussaale ein anfgebrochner Aktenschrank, und ein Haufe Akten lag herumge¬
worfen am Voden. Diese Fascikel aber sahen genan so aus wie die ersten
besten modernen Alten aus dem Leipziger Amtsgericht. Anno 1634 hatte man
weder so glattes weißes Schreibpapier, noch solche blaue Umschläge.

Ganz besondere Erwartungen hatten wir von dem Lager und dem vierten
Akt der Piccolomini, der großen Vauketszcue, gehegt. Hier, hofften Nur, werde
die vielgerühmte, auch von uus selbst früher gepriesene Meisterschaft der Meininger
in der historisch treuen Ausstattung und Kostümirung ans der einen, in der Ent¬
faltung und Beseelung der Massen auf der andern Seite sich in vollem Glänze
zeigen. Aber gerade diese beiden Akte haben uns am wenigsten befriedigt.

Das Lager zeigte freilich von Anfang bis zu Ende ein äußerst buntes und
bewegtes Bild, aber was mau sah, war doch mehr Unruhe als Leben. Dies
fortwährende Vor- und Hinterläufen und halblaute Plaudern von Unbeteiligten,
dies ewig sich wiederholende Armeeinstemmen, Händenbermkopfzusammenschlagen,


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[0236] stiehl von dieser Mummerei (anstatt o still). Wenn das bei Darstellern vor¬ kommt, die dem ganzen deutschen Theater fort und fort als Muster vorgehalten werden, was sollen dann die andern thun? Die Betonnngsschnitzer jagten bisweilen förmlich einander; kaum hatte man sich von dem einen Schrecken erholt, so kam schon ein neuer. Ganz besonders schlimm wars im Lager. Viele Rollen waren zwar auch hier in den Händen der besseren Darsteller. Derselbe Künstler z. B., der in den Piccolomini den Oetavio spielte, hatte es nicht verschmäht, hier den Trompeter zu übernehmen. Jsolani war der erste Jäger, Questenberg der Bauer, Buttler der Kapuziner u. s. w. Aber gerade das war das Gefährliche. Es entsteht aus diese Weise kein eigent¬ liches Zusammenspiel, sondern ein Nacheincmderspiel, bei dem jeder aus seiner kleinen Rolle möglichst viel zu machen bemüht ist, jeder sich in den Vordergrund drängt und die paar Worte, die er zu sagen hat, mit ganz besondrer Wucht belasten zu müssen glaubt. Wo der Wachtmeister z. B. die einzelnen nach ihrer Heimat fragt und der Dichter sie in so hübschen Variationen erwiedern läßt, ant¬ wortete der zweite Jäger: Hinter Wismar ist meiner Eltern Sitz, alle drei Hauptwörter mit gleicher Wichtigkeit hernuspresseud. Aber auch in deu Piccolomini fehlte es uicht an schlimmen Verstößen. Max z. B. sagte zu seinem Vater: Es führte mich der Weg durch Länder, wo der Krieg uicht hingekommen (anstatt: wo der Krieg nicht hingekommen), und Thekla zu Max: In meiner Seele lebt ein hoher Mut (anstatt: ein hoher Mut). Es sind das nur ein paar Stellen, die uns gerade in der Erinnerung geblieben sind, weil sie an beiden Abenden genan so wiederkehrte«. Trotz des großen Raffinements, mit dem die Meininger bei der Gewinnung authentischer Dekorationen und Kostüme verfahren, waren ihnen doch anch hierbei einzelne seltsame Dinge pnssirt. Wir nennen eine Kleinigkeit, ans die vielleicht niemand geachtet hat. Im ersten Akte der Piccolomini stand im Pilsener Rat¬ haussaale ein anfgebrochner Aktenschrank, und ein Haufe Akten lag herumge¬ worfen am Voden. Diese Fascikel aber sahen genan so aus wie die ersten besten modernen Alten aus dem Leipziger Amtsgericht. Anno 1634 hatte man weder so glattes weißes Schreibpapier, noch solche blaue Umschläge. Ganz besondere Erwartungen hatten wir von dem Lager und dem vierten Akt der Piccolomini, der großen Vauketszcue, gehegt. Hier, hofften Nur, werde die vielgerühmte, auch von uus selbst früher gepriesene Meisterschaft der Meininger in der historisch treuen Ausstattung und Kostümirung ans der einen, in der Ent¬ faltung und Beseelung der Massen auf der andern Seite sich in vollem Glänze zeigen. Aber gerade diese beiden Akte haben uns am wenigsten befriedigt. Das Lager zeigte freilich von Anfang bis zu Ende ein äußerst buntes und bewegtes Bild, aber was mau sah, war doch mehr Unruhe als Leben. Dies fortwährende Vor- und Hinterläufen und halblaute Plaudern von Unbeteiligten, dies ewig sich wiederholende Armeeinstemmen, Händenbermkopfzusammenschlagen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/236>, abgerufen am 03.07.2024.