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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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vom Leipziger Theater.

Einzelne Hauptfiguren in den Piccolomini waren in guten Händen. Als
die beste Leistung erschien uns Jsolcmi. Diese Rolle war mit großer Liebe und
Sorgfalt durchgeführt, mau sah das Vergnügen, welches sie dem Darsteller
selber bereitete, lind so bereitete sie auch das größte dem Zuschauer, dem ver¬
ständigen wenigstens. Die große Masse hat diesen Jsolani nicht gewürdigt; für
den feinen Humor, mit dem die Gestalt umspielt war, ist die Meuge unem-
pfindlich. Vortrefflich war auch Oetnvio Piccolomini. An Stellen, wo das
Deklamiren der andern den Geist gar zu wenig beschäftigte, entschädigte dafür
das stumme Spiel Oetavios. Auch hierauf werden nur wenige geachtet haben;
dazu war es nicht aufdringlich genng. Ungewöhnlich liebenswürdig waren Max
und Theiln. Man hat ihnen vorgeworfen, sie seien nicht ideal, nicht ätherisch
genug gewesen, aber gerade das rechnen wir ihnen beiden zum Verdienst an.
Beide wußten durch eine kräftige, realistische Farbe ihren Rollen eine solche
Haltung zu geben, daß man mir wenig von dem Eindrucke hatte, dem man
sonst nie zu entrinnen pflegt: daß diese beiden Gestalten aus dem Rahmen des
Ganzen herausfallen. Wallenstein, Terzky, Bretter, Questenberg, die Herzogin
und die Gräfin haben wir sämmtlich schon besser gesehen. Am wenigsten wollte
uns Illo behagen; abgesehen von dem Schluß der Banketszeue, wo der Dar¬
steller ihn stark berauscht spielte (der Dichter schreibt uur vor "sehr erhitzt")
und in dem Doppelbilde von liebenswürdiger und abstoßender Bczechtheit eine
wahrhaft virtuose Szene bot, machte die ganze Rolle einen etwas philiströsen
Eindruck. Wenn man die Augen schloß -- und wir haben dies an diesem
Abend auch bei einigen andern Mitwirkenden versucht, um genau festzustellen,
was mich Abzug des Kostüms von ihrer Leistung noch übrig bliebe --, so glaubte
man irgend eine räsvunirende Lustspielfigur, einen biedern Gerichtsrat, einen
Pensionirten Hauptmann, einen Onkel Oberförster oder so etwas, vor sich zu
haben.

Was uns diesmal besonders unangenehm aufgefallen ist, das waren die
zahllosen Fälle von schlechter Aussprache und falscher Betonung. Den ganzen
Abend haben wir z. B. von Bieeolomini reden hören. Der erste Kürassier fing
an damit, dann kam der Wachtmeister, und schließlich sagten sie's alle. Der
erste Jäger im Lager renommirte: Fllltt will ich leben und müßig gehen, und
der Wachtmeister fragte ihn darauf: Nu, nu, verlangt ihr saust nichts mehr?
Selbst Wallenstein sagte zur Herzogin: Wie war die Ansnahm' saust am Hose?
Der erste.Kürassier, der übrigeus entsetzlich schnaufte und brüllte, und dem die
Worte dabei fo mühsam abgingen, als ob er einen Kloß im Munde hätte, liebte
es, die s vor Vokaleu besonders zu aspirireu, er sagte z. B.: Jetzt sind wir noch
helf'sammen im Land, oder: Für meine Wallonen s'sag ich gut. Thekln, die
uns sonst sehr zu Danke spielte, hat doch ein paarmal unser Ohr durch Breit¬
zerren eines kurzen i verletzt; das einemal sagte sie zu ihrer Mutter, sie habe
den Vater auf deu ersten "Blick" wiedererkannt, ein andermal bat sie Max: O


vom Leipziger Theater.

Einzelne Hauptfiguren in den Piccolomini waren in guten Händen. Als
die beste Leistung erschien uns Jsolcmi. Diese Rolle war mit großer Liebe und
Sorgfalt durchgeführt, mau sah das Vergnügen, welches sie dem Darsteller
selber bereitete, lind so bereitete sie auch das größte dem Zuschauer, dem ver¬
ständigen wenigstens. Die große Masse hat diesen Jsolani nicht gewürdigt; für
den feinen Humor, mit dem die Gestalt umspielt war, ist die Meuge unem-
pfindlich. Vortrefflich war auch Oetnvio Piccolomini. An Stellen, wo das
Deklamiren der andern den Geist gar zu wenig beschäftigte, entschädigte dafür
das stumme Spiel Oetavios. Auch hierauf werden nur wenige geachtet haben;
dazu war es nicht aufdringlich genng. Ungewöhnlich liebenswürdig waren Max
und Theiln. Man hat ihnen vorgeworfen, sie seien nicht ideal, nicht ätherisch
genug gewesen, aber gerade das rechnen wir ihnen beiden zum Verdienst an.
Beide wußten durch eine kräftige, realistische Farbe ihren Rollen eine solche
Haltung zu geben, daß man mir wenig von dem Eindrucke hatte, dem man
sonst nie zu entrinnen pflegt: daß diese beiden Gestalten aus dem Rahmen des
Ganzen herausfallen. Wallenstein, Terzky, Bretter, Questenberg, die Herzogin
und die Gräfin haben wir sämmtlich schon besser gesehen. Am wenigsten wollte
uns Illo behagen; abgesehen von dem Schluß der Banketszeue, wo der Dar¬
steller ihn stark berauscht spielte (der Dichter schreibt uur vor „sehr erhitzt")
und in dem Doppelbilde von liebenswürdiger und abstoßender Bczechtheit eine
wahrhaft virtuose Szene bot, machte die ganze Rolle einen etwas philiströsen
Eindruck. Wenn man die Augen schloß — und wir haben dies an diesem
Abend auch bei einigen andern Mitwirkenden versucht, um genau festzustellen,
was mich Abzug des Kostüms von ihrer Leistung noch übrig bliebe —, so glaubte
man irgend eine räsvunirende Lustspielfigur, einen biedern Gerichtsrat, einen
Pensionirten Hauptmann, einen Onkel Oberförster oder so etwas, vor sich zu
haben.

Was uns diesmal besonders unangenehm aufgefallen ist, das waren die
zahllosen Fälle von schlechter Aussprache und falscher Betonung. Den ganzen
Abend haben wir z. B. von Bieeolomini reden hören. Der erste Kürassier fing
an damit, dann kam der Wachtmeister, und schließlich sagten sie's alle. Der
erste Jäger im Lager renommirte: Fllltt will ich leben und müßig gehen, und
der Wachtmeister fragte ihn darauf: Nu, nu, verlangt ihr saust nichts mehr?
Selbst Wallenstein sagte zur Herzogin: Wie war die Ansnahm' saust am Hose?
Der erste.Kürassier, der übrigeus entsetzlich schnaufte und brüllte, und dem die
Worte dabei fo mühsam abgingen, als ob er einen Kloß im Munde hätte, liebte
es, die s vor Vokaleu besonders zu aspirireu, er sagte z. B.: Jetzt sind wir noch
helf'sammen im Land, oder: Für meine Wallonen s'sag ich gut. Thekln, die
uns sonst sehr zu Danke spielte, hat doch ein paarmal unser Ohr durch Breit¬
zerren eines kurzen i verletzt; das einemal sagte sie zu ihrer Mutter, sie habe
den Vater auf deu ersten „Blick" wiedererkannt, ein andermal bat sie Max: O


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/235>, abgerufen am 01.07.2024.