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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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dos Wesen des neueren deutschen Feuilletons handeln wollen, nicht am Wege.
Eins nur müssen wir betonen: das deutsche Feuilleton stammt aus französischer
Quelle und ist französisch geblieben bis heute, trotz alles liberalen Deutschtums.
Heine und Börne, die Vorbilder und Hauptvertreter des sich bildenden deutschen
literarisch-politischen Feuilletons, sind bis heute seine Meister geblieben. Beide
lebten in Paris; Heine schrieb auch französisch für Pariser und Pariserinnen
und wurde als französischer Schriftsteller geachtet; Vorne schwärmte für eine
Verschmelzung der Deutschen und Franzosen zu einem "Salat," denn "die
Franzosen allein sind Öl, die Deutschen allein Essig, und sind für sich gar nicht
zu gebrauchen, außer in Krankheiten." Die einzige frühreife Frucht dieser "welt¬
geschichtlichen" Verbindung, die leider nicht zustande kam, ist das französisch-
deutsche Feuilleton, das leicht Gesunde trank machen könnte. Über Heines boshaft
prickelnde, mit gefallsüchtiger Gefühlsseligkeit gemischte Frivolitäten und Vörnes
epigrammatisch bissige Sarkasmen sind die heutigen Feuilletonisten noch nicht
hinausgekommen. Daß sie nicht mehr wie jene "großen Politiker" sich offen
zu dem demokratischen Republikanismus bekennen dürfen, ist eine Ungunst der
Zeit, in welche sie sich als kluge Leute zu schicken wissen. Noch ein Element ist
dein Feuilleton seit jenen Tagen beigemischt, das jüdische. Die Entwicklung
unsrer gesammten Presse war nicht darnach angethan, den Einfluß dieses mäch¬
tigsten Volkstumcs zu verringern, welches das Feuilleton wie das ganze Zei-
tungswesen durchsäuert. Daß Heine, der Sohn eines jüdischen Kaufmanns,
schmutzig erniedrigende Witze gegen seine eignen Stnmmcsgenossen kehrte, macht
ihm persönlich keine Ehre, es ist zugleich bezeichnend für den Geist des
Feuilletons, das mit selbstgenügsamen Witze alles würzt, was ihm vorkommt,
und "entschieden darüber aufgeklärt ist, daß es nicht um die vorkommende Sache,
sondern um die Würze zu thun sei."

Diesem Gemengsel von Nationalitäten entspricht die schillernde, vielfarbig
ineinander gerührte Mischuntur des Feuilletons. Es bewegt sich auf alleu mög¬
lichen Grenzgebieten aller denkbaren Dinge, ohne sich einem einzelnen ehrlich
hinzugeben; seinem Zurichtungseifer entgeht nichts, woraus es hofft, ein Körnlein
Interesse herauspresfeu zu können. Die Summe aller Gesetze für seine Ge¬
staltung liegt in dein Worte Voltaires: r"a8 l"L Mnrss Lord bonL hors 1" Mur"
ouum^<znx. Als Erzeugnis einer Zeit, die überall Gegensätze aufhebt und Grenzen
verwischt, als eigenste liternrische Form eines schnelllebigen Journalismus, der
hinter geistreichelnder Zusammenfassung mannichfacher Formen und Gebiete den
Mangel an Gründlichkeit versteckt, tummelt sich das Feuilleton auf einem gemein¬
samen Grenzrain von Poesie, Kunst, Gelehrsamkeit, Politik und Geselligkeit, den
es sich in den untern Spalten der großen Zeitungen hergerichtet hat. Man
müßte über die Mannichfaltigkeit des Inhalts dieser Plauderecke erstaunen, die
"vieles bringt, um manchem etwas zu bringen," man würde sich über die wissen¬
schaftlichen Bedürfnisse des großen Publikums wundern, wenn man nicht wüßte,


dos Wesen des neueren deutschen Feuilletons handeln wollen, nicht am Wege.
Eins nur müssen wir betonen: das deutsche Feuilleton stammt aus französischer
Quelle und ist französisch geblieben bis heute, trotz alles liberalen Deutschtums.
Heine und Börne, die Vorbilder und Hauptvertreter des sich bildenden deutschen
literarisch-politischen Feuilletons, sind bis heute seine Meister geblieben. Beide
lebten in Paris; Heine schrieb auch französisch für Pariser und Pariserinnen
und wurde als französischer Schriftsteller geachtet; Vorne schwärmte für eine
Verschmelzung der Deutschen und Franzosen zu einem „Salat," denn „die
Franzosen allein sind Öl, die Deutschen allein Essig, und sind für sich gar nicht
zu gebrauchen, außer in Krankheiten." Die einzige frühreife Frucht dieser „welt¬
geschichtlichen" Verbindung, die leider nicht zustande kam, ist das französisch-
deutsche Feuilleton, das leicht Gesunde trank machen könnte. Über Heines boshaft
prickelnde, mit gefallsüchtiger Gefühlsseligkeit gemischte Frivolitäten und Vörnes
epigrammatisch bissige Sarkasmen sind die heutigen Feuilletonisten noch nicht
hinausgekommen. Daß sie nicht mehr wie jene „großen Politiker" sich offen
zu dem demokratischen Republikanismus bekennen dürfen, ist eine Ungunst der
Zeit, in welche sie sich als kluge Leute zu schicken wissen. Noch ein Element ist
dein Feuilleton seit jenen Tagen beigemischt, das jüdische. Die Entwicklung
unsrer gesammten Presse war nicht darnach angethan, den Einfluß dieses mäch¬
tigsten Volkstumcs zu verringern, welches das Feuilleton wie das ganze Zei-
tungswesen durchsäuert. Daß Heine, der Sohn eines jüdischen Kaufmanns,
schmutzig erniedrigende Witze gegen seine eignen Stnmmcsgenossen kehrte, macht
ihm persönlich keine Ehre, es ist zugleich bezeichnend für den Geist des
Feuilletons, das mit selbstgenügsamen Witze alles würzt, was ihm vorkommt,
und „entschieden darüber aufgeklärt ist, daß es nicht um die vorkommende Sache,
sondern um die Würze zu thun sei."

Diesem Gemengsel von Nationalitäten entspricht die schillernde, vielfarbig
ineinander gerührte Mischuntur des Feuilletons. Es bewegt sich auf alleu mög¬
lichen Grenzgebieten aller denkbaren Dinge, ohne sich einem einzelnen ehrlich
hinzugeben; seinem Zurichtungseifer entgeht nichts, woraus es hofft, ein Körnlein
Interesse herauspresfeu zu können. Die Summe aller Gesetze für seine Ge¬
staltung liegt in dein Worte Voltaires: r«a8 l«L Mnrss Lord bonL hors 1« Mur«
ouum^<znx. Als Erzeugnis einer Zeit, die überall Gegensätze aufhebt und Grenzen
verwischt, als eigenste liternrische Form eines schnelllebigen Journalismus, der
hinter geistreichelnder Zusammenfassung mannichfacher Formen und Gebiete den
Mangel an Gründlichkeit versteckt, tummelt sich das Feuilleton auf einem gemein¬
samen Grenzrain von Poesie, Kunst, Gelehrsamkeit, Politik und Geselligkeit, den
es sich in den untern Spalten der großen Zeitungen hergerichtet hat. Man
müßte über die Mannichfaltigkeit des Inhalts dieser Plauderecke erstaunen, die
„vieles bringt, um manchem etwas zu bringen," man würde sich über die wissen¬
schaftlichen Bedürfnisse des großen Publikums wundern, wenn man nicht wüßte,


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[0222] dos Wesen des neueren deutschen Feuilletons handeln wollen, nicht am Wege. Eins nur müssen wir betonen: das deutsche Feuilleton stammt aus französischer Quelle und ist französisch geblieben bis heute, trotz alles liberalen Deutschtums. Heine und Börne, die Vorbilder und Hauptvertreter des sich bildenden deutschen literarisch-politischen Feuilletons, sind bis heute seine Meister geblieben. Beide lebten in Paris; Heine schrieb auch französisch für Pariser und Pariserinnen und wurde als französischer Schriftsteller geachtet; Vorne schwärmte für eine Verschmelzung der Deutschen und Franzosen zu einem „Salat," denn „die Franzosen allein sind Öl, die Deutschen allein Essig, und sind für sich gar nicht zu gebrauchen, außer in Krankheiten." Die einzige frühreife Frucht dieser „welt¬ geschichtlichen" Verbindung, die leider nicht zustande kam, ist das französisch- deutsche Feuilleton, das leicht Gesunde trank machen könnte. Über Heines boshaft prickelnde, mit gefallsüchtiger Gefühlsseligkeit gemischte Frivolitäten und Vörnes epigrammatisch bissige Sarkasmen sind die heutigen Feuilletonisten noch nicht hinausgekommen. Daß sie nicht mehr wie jene „großen Politiker" sich offen zu dem demokratischen Republikanismus bekennen dürfen, ist eine Ungunst der Zeit, in welche sie sich als kluge Leute zu schicken wissen. Noch ein Element ist dein Feuilleton seit jenen Tagen beigemischt, das jüdische. Die Entwicklung unsrer gesammten Presse war nicht darnach angethan, den Einfluß dieses mäch¬ tigsten Volkstumcs zu verringern, welches das Feuilleton wie das ganze Zei- tungswesen durchsäuert. Daß Heine, der Sohn eines jüdischen Kaufmanns, schmutzig erniedrigende Witze gegen seine eignen Stnmmcsgenossen kehrte, macht ihm persönlich keine Ehre, es ist zugleich bezeichnend für den Geist des Feuilletons, das mit selbstgenügsamen Witze alles würzt, was ihm vorkommt, und „entschieden darüber aufgeklärt ist, daß es nicht um die vorkommende Sache, sondern um die Würze zu thun sei." Diesem Gemengsel von Nationalitäten entspricht die schillernde, vielfarbig ineinander gerührte Mischuntur des Feuilletons. Es bewegt sich auf alleu mög¬ lichen Grenzgebieten aller denkbaren Dinge, ohne sich einem einzelnen ehrlich hinzugeben; seinem Zurichtungseifer entgeht nichts, woraus es hofft, ein Körnlein Interesse herauspresfeu zu können. Die Summe aller Gesetze für seine Ge¬ staltung liegt in dein Worte Voltaires: r«a8 l«L Mnrss Lord bonL hors 1« Mur« ouum^<znx. Als Erzeugnis einer Zeit, die überall Gegensätze aufhebt und Grenzen verwischt, als eigenste liternrische Form eines schnelllebigen Journalismus, der hinter geistreichelnder Zusammenfassung mannichfacher Formen und Gebiete den Mangel an Gründlichkeit versteckt, tummelt sich das Feuilleton auf einem gemein¬ samen Grenzrain von Poesie, Kunst, Gelehrsamkeit, Politik und Geselligkeit, den es sich in den untern Spalten der großen Zeitungen hergerichtet hat. Man müßte über die Mannichfaltigkeit des Inhalts dieser Plauderecke erstaunen, die „vieles bringt, um manchem etwas zu bringen," man würde sich über die wissen¬ schaftlichen Bedürfnisse des großen Publikums wundern, wenn man nicht wüßte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/222>, abgerufen am 03.07.2024.