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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.

selbstüberhebendem Stolze gegen den Vorwarf des Epigonentums sträubt, Zwar
glauben wir nichts neues zu sagen, wenn nur zeigen, daß das Feuilleton, bei
aller vielgesichtigen Charakterlosigkeit de^ Zeitungswesens, trotz seines fried¬
lichen Aussehens, mittelbar und öfter, als es scheint, unmittelbar denselben
Zwecken dient, welche den allgemeinen Geist der Zeitungen bestimmen; aber viel¬
leicht ist es uicht nutzlos, darauf im Zusammenhange hinzuweisen. Einen Spruch
zu fallen über deu sittlichen und volksbildenden Wert oder Unwert einer Gat¬
tung, die sich gegen jede sittliche Beurteilung sträubt, scheint um so überflüssiger,
als die innere Empfindung jedes einzelnen ein solches Urteil nnter dem gegen¬
wärtigen Eindruck sicher und lebhaft füllt. Dennoch wird in einer vergleichenden
Darstellung das allgemein gefühlte umfassender mit all seinen Folgen vor Angen
stehen, als es durch Betrachtung eines Bruchstücks geschehen könnte.

1.

Euch ist bekannt, was wir bedürfen,
Wir wollen stark Getränke schlürfen.
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erauickl nud auferbaut.

Unsere Zeit ist arm an großen Werken der Kunst, aber sie ist groß in
kleinen Formen der Kunstfertigkeit: sie glänzt in der Kleinmalerei, sie hat das
moderne Klnvierlicd gebildet, sie rühmt sich der seelenzergliederudeu Novelle;
eine Form ist ihr besonders zu eigen, die kleinste und schillerndste von allen,
das Feuilleton. Sie ist stolz darauf, sehr stolz, wenn wir deu Lobrednern ihrer
Größe, deu Journalisten, glauben wollen, die sich im Glänze zeitungspapierner
Herrlichkeit sonnen. Möge darob stolz sein, wems zukommt; wir Deutschen aber
sollten ganz still sein, denn das Ding ist fremd wie sein Name. Freilich mühen
wir uns redlich, der unhandlicher Sache beizukommen, und sollte dieser Fleiß
weniger rühmenswert sein als bei so viel andern Dingen, in denen wir den
"gallischen Sprung" nachahmen?

Betrachtungen über die Geschichte des Feuilletons würden uns tief ins
vergangene Jahrhundert zu den "moralischen" und andern Wochenschriften zu¬
rückführen. Leiten seine frühesten Spuren auf England hin, das in heftigen
politischen Tageskämpfen zuerst die moderne Gestalt der Tagesschriftstellerci ent¬
wickelte, so gehört doch seine Ausbildung Frankreich an. Die aufwühlende fran¬
zösische Literatur des achtzehnten Jahrhunderts mit ihren politisch praktischen
Zielen und deu heftigen persönlichen Fehden zeigt durchweg einen journalistische"
Zug, und ihr Beherrscher Voltaire kann als das Vorbild eines geistreich bos¬
haften Feuilletonisten gelten. Er verdiente mit mehr Recht als der deutsche
Lessing von unsern literarischen Zeitungsschreibern als Heiliger verehrt zu werden.
Diese Geschichte des Feuilletons näher zu entwickeln, liegt hier, wo wir über


Das heutige Feuilleton.

selbstüberhebendem Stolze gegen den Vorwarf des Epigonentums sträubt, Zwar
glauben wir nichts neues zu sagen, wenn nur zeigen, daß das Feuilleton, bei
aller vielgesichtigen Charakterlosigkeit de^ Zeitungswesens, trotz seines fried¬
lichen Aussehens, mittelbar und öfter, als es scheint, unmittelbar denselben
Zwecken dient, welche den allgemeinen Geist der Zeitungen bestimmen; aber viel¬
leicht ist es uicht nutzlos, darauf im Zusammenhange hinzuweisen. Einen Spruch
zu fallen über deu sittlichen und volksbildenden Wert oder Unwert einer Gat¬
tung, die sich gegen jede sittliche Beurteilung sträubt, scheint um so überflüssiger,
als die innere Empfindung jedes einzelnen ein solches Urteil nnter dem gegen¬
wärtigen Eindruck sicher und lebhaft füllt. Dennoch wird in einer vergleichenden
Darstellung das allgemein gefühlte umfassender mit all seinen Folgen vor Angen
stehen, als es durch Betrachtung eines Bruchstücks geschehen könnte.

1.

Euch ist bekannt, was wir bedürfen,
Wir wollen stark Getränke schlürfen.
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erauickl nud auferbaut.

Unsere Zeit ist arm an großen Werken der Kunst, aber sie ist groß in
kleinen Formen der Kunstfertigkeit: sie glänzt in der Kleinmalerei, sie hat das
moderne Klnvierlicd gebildet, sie rühmt sich der seelenzergliederudeu Novelle;
eine Form ist ihr besonders zu eigen, die kleinste und schillerndste von allen,
das Feuilleton. Sie ist stolz darauf, sehr stolz, wenn wir deu Lobrednern ihrer
Größe, deu Journalisten, glauben wollen, die sich im Glänze zeitungspapierner
Herrlichkeit sonnen. Möge darob stolz sein, wems zukommt; wir Deutschen aber
sollten ganz still sein, denn das Ding ist fremd wie sein Name. Freilich mühen
wir uns redlich, der unhandlicher Sache beizukommen, und sollte dieser Fleiß
weniger rühmenswert sein als bei so viel andern Dingen, in denen wir den
„gallischen Sprung" nachahmen?

Betrachtungen über die Geschichte des Feuilletons würden uns tief ins
vergangene Jahrhundert zu den „moralischen" und andern Wochenschriften zu¬
rückführen. Leiten seine frühesten Spuren auf England hin, das in heftigen
politischen Tageskämpfen zuerst die moderne Gestalt der Tagesschriftstellerci ent¬
wickelte, so gehört doch seine Ausbildung Frankreich an. Die aufwühlende fran¬
zösische Literatur des achtzehnten Jahrhunderts mit ihren politisch praktischen
Zielen und deu heftigen persönlichen Fehden zeigt durchweg einen journalistische»
Zug, und ihr Beherrscher Voltaire kann als das Vorbild eines geistreich bos¬
haften Feuilletonisten gelten. Er verdiente mit mehr Recht als der deutsche
Lessing von unsern literarischen Zeitungsschreibern als Heiliger verehrt zu werden.
Diese Geschichte des Feuilletons näher zu entwickeln, liegt hier, wo wir über


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[0221] Das heutige Feuilleton. selbstüberhebendem Stolze gegen den Vorwarf des Epigonentums sträubt, Zwar glauben wir nichts neues zu sagen, wenn nur zeigen, daß das Feuilleton, bei aller vielgesichtigen Charakterlosigkeit de^ Zeitungswesens, trotz seines fried¬ lichen Aussehens, mittelbar und öfter, als es scheint, unmittelbar denselben Zwecken dient, welche den allgemeinen Geist der Zeitungen bestimmen; aber viel¬ leicht ist es uicht nutzlos, darauf im Zusammenhange hinzuweisen. Einen Spruch zu fallen über deu sittlichen und volksbildenden Wert oder Unwert einer Gat¬ tung, die sich gegen jede sittliche Beurteilung sträubt, scheint um so überflüssiger, als die innere Empfindung jedes einzelnen ein solches Urteil nnter dem gegen¬ wärtigen Eindruck sicher und lebhaft füllt. Dennoch wird in einer vergleichenden Darstellung das allgemein gefühlte umfassender mit all seinen Folgen vor Angen stehen, als es durch Betrachtung eines Bruchstücks geschehen könnte. 1. Euch ist bekannt, was wir bedürfen, Wir wollen stark Getränke schlürfen. In bunten Bildern wenig Klarheit, Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit, So wird der beste Trank gebraut, Der alle Welt erauickl nud auferbaut. Unsere Zeit ist arm an großen Werken der Kunst, aber sie ist groß in kleinen Formen der Kunstfertigkeit: sie glänzt in der Kleinmalerei, sie hat das moderne Klnvierlicd gebildet, sie rühmt sich der seelenzergliederudeu Novelle; eine Form ist ihr besonders zu eigen, die kleinste und schillerndste von allen, das Feuilleton. Sie ist stolz darauf, sehr stolz, wenn wir deu Lobrednern ihrer Größe, deu Journalisten, glauben wollen, die sich im Glänze zeitungspapierner Herrlichkeit sonnen. Möge darob stolz sein, wems zukommt; wir Deutschen aber sollten ganz still sein, denn das Ding ist fremd wie sein Name. Freilich mühen wir uns redlich, der unhandlicher Sache beizukommen, und sollte dieser Fleiß weniger rühmenswert sein als bei so viel andern Dingen, in denen wir den „gallischen Sprung" nachahmen? Betrachtungen über die Geschichte des Feuilletons würden uns tief ins vergangene Jahrhundert zu den „moralischen" und andern Wochenschriften zu¬ rückführen. Leiten seine frühesten Spuren auf England hin, das in heftigen politischen Tageskämpfen zuerst die moderne Gestalt der Tagesschriftstellerci ent¬ wickelte, so gehört doch seine Ausbildung Frankreich an. Die aufwühlende fran¬ zösische Literatur des achtzehnten Jahrhunderts mit ihren politisch praktischen Zielen und deu heftigen persönlichen Fehden zeigt durchweg einen journalistische» Zug, und ihr Beherrscher Voltaire kann als das Vorbild eines geistreich bos¬ haften Feuilletonisten gelten. Er verdiente mit mehr Recht als der deutsche Lessing von unsern literarischen Zeitungsschreibern als Heiliger verehrt zu werden. Diese Geschichte des Feuilletons näher zu entwickeln, liegt hier, wo wir über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/221>, abgerufen am 01.07.2024.